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WÜRZBURG: Was die Steine vor der Residenz erzählen

WÜRZBURG

Was die Steine vor der Residenz erzählen

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    Altes Pflaster: Merkwürdig gekurvte, schwungvolle Linien hatte das Pflaster vor der Residenz, das hier dokumentiert ist, einst. Das neue Pflaster lehnt sich daran an.HELMUT KLEMM
    Altes Pflaster: Merkwürdig gekurvte, schwungvolle Linien hatte das Pflaster vor der Residenz, das hier dokumentiert ist, einst. Das neue Pflaster lehnt sich daran an.HELMUT KLEMM Foto: Foto:

    Die wahre Größe des Residenzplatzes? Beim Blick in den Projektplan, den Gerhard Weiler in seinem Büro im Nordflügel der Residenz auffaltet, ist er allenfalls zu erahnen. Auf dem Plan ist der Platz in 25 Felder unterteilt, die alle nach und nach neu gepflastert worden sind. 16 Jahre dauerte es insgesamt, bis der Belag erneuert war, sagt der Leiter der Würzburger Außenstelle der Bayerischen Schlösserverwaltung.

    Das erste Feld wurde 1999 gepflastert, das letzte nun in diesem Mai. Den als holprig verrufenen, aber auch gerühmten, in vielerlei Hinsicht großen, monumentalen Platz in einem Stück zu pflastern hätte laut Weiler den jährlichen Finanzrahmen weit überstiegen.

    Das ersetzte Pflaster bestand aus schmalen, bereits erodierenden Muschelkalksteinen, die über den Platz mäanderten. An diese kurvigen Linien sollte sich die Neupflasterung – wieder mit Muschelkalk – anlehnen. Helmut Schätzlein, der mit seiner Firma Würzburger Pflasterbau viele Felder erneuerte, hat deshalb „geschwungene Reihen“ legen lassen, die das linke und das rechte Drittel des Platzes optisch beleben. Das mittlere Drittel ist durch „gerade Reihen“ beruhigt.

    Das nach dem Augenschein nun älteste, gröbste, aber bewusst nicht ersetzte Pflaster liegt in einem schmalen Streifen vor den beiden Gebäudeflügeln und besteht zum Teil aus eher großen Steinen, fast Platten. Dort erscheint Pflaster auch erstmals auf grafischen Blättern der Residenz.

    Manche zeigen den durch Fahrspuren zerfurchten Platz und 1743 erstmals halbkreisförmige Pflasterstücke, die wie Fußabtreter vor den Einfahrten der Gebäudeflügel liegen. Auf einem Blatt aus dem Jahr 1775 scheint das Pflaster aus dem Ehrenhof heraus auf den Platz gequollen zu sein. Damals war die Residenz fast fertig – einschließlich Innenausbau. Der Grundstein war am 22. Mai 1720 gelegt worden. Ende Dezember 1744 stand der Rohbau.

    Die Grafiken sind im Hinblick auf die Residenz meist unzuverlässig, denn sie reproduzierten oft ältere Bilder und damit Planungsphasen, die bereits überholt waren. Allerdings wollten sie ohnehin mehr imponieren als darstellen.

    Umso seltsamer bleibt die filigrane Kartierung des banalen Pflasters. Es wirkt wie ein Einbruch des Realismus in eine idealisierende Bildgattung – und damit tendenziell glaubwürdig. Bestätigt wird das von den jährlich ausgegebenen Summen für den Residenzbau, die von dem in Würzburg geborenen Kunsthistoriker Richard Sedlmaier und seinem Co-Autor Rudolf Pfister in ihrem Residenzbuch von 1923 aufgelistet wurden. Danach waren Pflasterer zwar vom ersten Baujahr an – mit großen Pausen – bis zum Bauabschluss beschäftigt. Anfangs hatten sie aber vor allem Zufahrten zu pflastern, später die Höfe.

    Wie der Historiker Herbert Schott in einer Studie von 1995 darlegt, musste das Pflaster auch immer wieder erneuert werden. Ein Hofkammer-Protokoll von 1781 mahnt zum Beispiel, dass zu viel Sand zum „baldigen Verderben des Pflasters“ beitrage.

    Der generelle Zustand des Platzes wird erstmals im Jahr 1748 angesprochen, als ein „Decretum“ an den „Bürgermeister und Rath“ verfügt, den „verwüstet liegen gebliebenen Vorplatz“ zu pflastern und die Hälfte der Kosten zu tragen.

    Daraus wurde nichts. Die Versuche der Hofkammer, die Stadt für die Pflasterung des Platzes heranzuziehen, dauerten laut Schott aber bis zu einer Vereinbarung an, in der die Zuständigkeiten abgegrenzt wurden.

    Ein „Extractus“ dieses Dokuments von 1780 rekapituliert auch die Vorgeschichte: „Der ganze Residenz Plaz“ – heißt es da – „seyn von 1748 bis hieher nach und nach stückweis gepflastert worden.“

    Nach dieser Notiz müsste der Platz 1780 gepflastert gewesen sein; andererseits wurde in den zwei folgenden Jahren fast so viel wie seit Baubeginn für Pflasterer ausgegeben. Trotz dieser Kostenexplosion haben aber nur Drechsler weniger am Residenzbau verdient als Pflasterer – die Gärtner ungleich viel mehr.

    Sedlmaier und Pfister hatten das Erlebnis des „in grandioser Öde“ sich dehnenden Platzes gefeiert und ihn damit ästhetisch erhöht. Der in Würzburg lehrende Kunsthistoriker Erich Hubala stufte den Platz in seinem 1984 erschienenen Residenzbuch herunter zum „Vorplatz“, der nur Distanz schaffe, dem selbst keine Bedeutung zukomme.

    Das wurde aber auch anders gesehen: „Der Vorplatz darf nicht leer, nicht dürftig seyn“, dekretierte zum Beispiel der 1795 publizierte Teil der Oeconomischen Enzyklopädie von Johann Georg Krünitz. Die „angenehmste Bekleidung der Vorplätze“ sei grüner Rasen.

    Diese Grundsätze sollten allerdings für Lustschlösser gelten. Residenzen waren meist Stadtschlösser vom älteren Typus geschlossener Vierflügelanlagen. Offene Dreiflügelanlagen, in der Regel als Jagd- oder Lustschlösser auf dem Land angelegt, übernahmen wie Versailles aber auch die Residenzfunktion.

    Dazu kamen Mischformen wie die Würzburger Residenz. Ihre „überzeugende Verschmelzung“ der beiden Bautypen begründe ihre besondere Stellung, schrieb der emeritierte Kunsthistoriker Stefan Kummer, der in Würzburg als Nachfolger Hubalas lehrte.

    Aus dieser Sicht wäre in Würzburg ein grüner Platz möglich gewesen – wie etwa in Münster. Dort wurde 2012 im Stadtmuseum in einer Ausstellung über das Schlossplatzensemble dokumentiert, dass Rasen vor der ab 1767 gebauten fürstbischöflichen Residenz von Beginn an geplant und angelegt war. In Würzburg scheint eine Begrünung nie erwogen worden zu sein. Außerdem wurde schon in der Planungsphase nach dem Schwenk der Residenz um etwa 30 Grad die lange Perspektive in der frontseitigen Achse abgeschnitten, in der eine zentrale Anfahrt am Stadtkern vorbei mit Grünflächen hätte gestaltet werden können. Der „königlich vorplaz“, mit dem ein Gutachten vor Baubeginn für den Standort „ufm Rennweeg“ geworben hatte, prallte nun gewissermaßen gegen die Stadtmauer.

    Darüber hinaus ging auch in Würzburg wie bei vielen Schlossbauten die Planung in Improvisation über – in eine „Minimallösung“, meint der Kunsthistoriker Jarl Kremeier. Auf diesem Niveau dürfte auch das Pflaster liegen. Ein ästhetisches Statement scheint es nicht gewesen zu sein, eher ein zivilisatorisches Minimum.

    In letzter Instanz war für den Zuschnitt eines Vorplatzes dem Kunsthistoriker Matthias Müller zufolge der Status eines Hofes entscheidend. Große leere Plätze seien für das höchste Protokoll bei einem Kaiserbesuch angelegt gewesen – und als Abstellplatz für die Kutschen.

    Eher praktische Motive verrät auch der Plan, anstelle der zwei nicht gebauten Brunnen zentral auf dem Platz eine Pferdetränke zu errichten. Sie sollte nicht ohne „Zier“ bleiben wie damals alle Bauwerke und vielleicht auch das Pflaster, in dem das Barockzeitalter die Spur seiner „unbezähmbaren Kurvenlust“ – so Sedlmaier und Pfister – hinterlassen haben könnte.

    Nach dem Verlust der Residenzfunktion wurden meist zwei Haltungen gegenüber dem funktionslos und fremd gewordenen Platz eingenommen. Man versuchte, ihm zu geben, was ihm fehlte – eine Auffahrt, eine Struktur – oder ihm zu nehmen, womit er angeblich entwürdigt worden war: das „Gerümpel des ruhenden Verkehrs“, wie Hubala schreibt.

    Die Leere sollte gefüllt oder bewahrt, der Platz belebt oder stillgelegt werden. Von diesen beiden Seiten sieht sich auch Gerhard Weiler noch in die Zange genommen. Er ist deshalb nicht unglücklich darüber, mit dem moderaten Parkbetrieb – das mittlere Drittel bleibt von Autos frei – die nie versiegenden Gestaltungsfantasien abwehren zu können.

    Die wohl seltsamste dieser Visionen ist von Thomas Memminger überliefert, der in seinem Buch „Würzburgs Straßen und Bauten“ den Vorplatz als Vorgarten mit Auffahrt zum Mitteltor imaginierte: „Es muß ein bezaubernder Anblick gewesen sein“, schwärmte der Würzburger Verleger 1911 in dem Buch, „wenn vor den beiden stolzen Schloßflügeln inmitten grüner Rasenflächen zwei Fontänen plätscherten.“

    Dieses Idyll hatte er angeblich „auf alten Kupferstichen“ gesehen. Allerdings könnte der gepflasterte Platz ihm auch von dem Traum erzählt haben, ein Garten zu sein. Memminger glaubte jedenfalls, dass „die Steine reden“.

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