Der Weg zum Wunschkind ist für jedes sechste Paar in Deutschland nicht auf natürlichem Weg möglich, sondern laut Deutschem IVF-Register mit medizinischer Hilfe verbunden. Doch die Chancen, nach mehreren Behandlungszyklen durch eine künstliche Befruchtung ein Kind zu bekommen, sind hoch. In den 131 deutschen Kinderwunschzentren gab es 108 000 Behandlungen im Jahr 2020, ein Jahr vorher waren es 99 000. Doch für wen kommt eine Kinderwunschbehandlung in Frage? Wie teuer ist die Behandlung - und wie läuft sie ab? Antworten auf diese Fragen hat die Würzburger Gynäkologin Prof. Dr. Ursula Zollner. Sie führt Kinderwunschbehandlungen durch und leitet seit 2015 die Bayerische Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik.
Frage: Brauchen immer mehr Paare beim Kinderwunsch medizinische Hilfe?
Prof. Dr. Ursula Zollner: Die Anzahl der Kinderwunschbehandlungen nimmt seit 20 Jahren kontinuierlich zu. Dabei spielt das Alter eine entscheidende Rolle. Frauen – und auch Männer – bekommen ihr erstes Kind tatsächlich immer später im Leben. Viele Paare fangen erst mit Ende 30 mit der Kinderplanung an. Das ist oft zu spät. Beim Erstgespräch für eine Kinderwunschbehandlung sind die Patientinnen durchschnittlich oft älter als 36 Jahre.

Immer mehr Paare gehen für die Kinderwunschbehandlung ins Ausland, zum Beispiel nach Tschechien. Wo liegt der Unterschied zu Deutschland?
Zollner: In Tschechien sind - im Gegensatz zu Deutschland - sowohl die Eizellenspende als auch die Präimplantationsdiagnostik (PID) erlaubt. Das heißt: bevor der Embryo in die Gebärmutter eingesetzt wird, wird er untersucht. So kann man feststellen, ob er eine Chromosomenstörung hat.
Sie sind Vorsitzende der Bayerischen Ethikkommission. Warum ist die PID in Deutschland nicht erlaubt? Und über welche Anträge entscheidet die Kommission?
Zollner: Die PID ist in Deutschland nur in Ausnahmefällen und nach Zustimmung einer Ethikkommission möglich. Die genetische Untersuchung eines Embryos gehört in Deutschland nicht zur Routine. Doch viele Frauen mit Kinderwunsch sind über 38 oder 40 Jahre alt. Konkret heißt das: 90 Prozent aller Eizellen von Frauen über 40 sind chromosomal krank. Das bedeutet, die künstliche Befruchtung bleibt häufig erfolglos oder es kommt zu Fehlgeburten. Der häufigste Grund für eine PID ist jedoch die Untersuchung auf eine schwere Erbkrankheit. Die Ethikkommission tagt fünfmal im Jahr. In vielen Fällen stimmen wir einer genetischen Untersuchung zu. Es gibt natürlich auch kritische Fälle, bei denen man sehr lange diskutieren muss.

Ab wann spricht man überhaupt von ungewollter Kinderlosigkeit?
Zollner: Wenn eine Schwangerschaft trotz regelmäßigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr über zwölf Monate ausbleibt, sprechen wir von Sterilität oder Unfruchtbarkeit.
Was sind die Gründe dafür?
Zollner: Die Ursachen sind zwischen Mann und Frau relativ gleich verteilt. Ist ein Mann zeugungsunfähig, liegt es an der schlechten Qualität seines Spermas. Manchmal befinden sich zu wenige Spermien im Ejakulat – entweder weil die Produktion oder der Transport der Samenzellen nicht optimal funktionieren. Bei Frauen können Übergewicht, Zyklus- oder Hormonstörungen, Funktionsstörungen der Eileiter oder der Gebärmutter, aber auch Untergewicht, Stress oder starke psychische Belastungen Gründe sein, warum sie nicht schwanger werden. Auch wer an Endometriose leidet, hat ein erhöhtes Risiko, unfruchtbar zu sein oder schwerer schwanger zu werden.
Wie stellt man fest, ob man Endometriose hat?
Zollner: Endometriose ist eine der häufigsten Unterleibserkrankungen bei Frauen. Doch die Diagnostik ist nicht einfach, denn das Leitsymptom sind starke Schmerzen während der Periode. Dies trifft bei sehr vielen Frauen zu. Eine eindeutige Diagnose gibt es erst durch eine Bauchspiegelung – unter Vollnarkose. Daher wird die Krankheit oft erst relativ spät festgestellt.
Bis zu welchem Alter ist eine Kinderwunschbehandlung sinnvoll?
Zollner: Mit 30 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit, durch In-vitro-Fertilisation (IVF) schwanger zu werden, noch bei 40 Prozent. (Anm. der Redaktion: Bei einer IVF werden in einem Reagenzglas einzelne Eizellen mit aufbereiteten Spermien zusammengebracht, damit es zu einer spontanen Befruchtung kommt) Im 36. Lebensjahr liegt die Erfolgsquote bei 35 Prozent. Mit jedem zunehmenden Lebensjahr nimmt die Schwangerschafts- und Geburtenrate deutlich ab, während die Fehlgeburtenrate deutlich zunimmt. Die Wahrscheinlichkeit eines Aborts liegt bei einer 44-Jährigen bereits bei fast 60 Prozent. Jedes Paar muss individuell entscheiden, wie lange es eine Behandlung machen möchte.
Wie werden Paare mit Kinderwunsch behandelt?
Zollner: Es kommt immer auf die Ursache an. Bei einer Zyklusstörung kann man zuerst mit einer Hormonbehandlung starten. Des Weiteren gibt es die Möglichkeit der Samenübertragung (Insemination), wenn die Spermienqualität nicht allzu sehr eingeschränkt ist. Dabei werden aufbereitete Spermien kurz vor dem Eisprung in die Gebärmutter eingeführt. Die Spermien treffen auf die Eizelle und es kommt zu einer natürlichen Befruchtung. In anderen Fällen kommt nur eine künstliche Befruchtung in Frage.

Wie ist der Ablauf einer künstlichen Befruchtung?
Zollner: Mit einer Hormonbehandlung steuern wir den Zyklus, um einen unkontrollierten Eisprung zu verhindern. Wir stimulieren die Eierstöcke, damit mehrere Eizellen gleichzeitig heranreifen. Mit der Follikelpunktion werden dann für eine IVF Eizellen entnommen und außerhalb des Körpers befruchtet. Bei der Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) wird ein einzelnes Spermium mit einer sehr feinen Nadel in die Eizelle eingebracht. Diese besondere Methode wird angewendet, wenn die Spermienqualität sehr schlecht ist. Anschließend werden die Embryonen in die Gebärmutter übertragen.
Wie viel kostet eine künstliche Befruchtung?
Zollner: Die Kosten für die Durchführung eines In-vitro-Fertilisations-Zyklus betragen 3000 bis 4000 Euro pro Behandlungszyklus. Hinzu kommen die Kosten für die notwendigen Medikamente. Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen 50 Prozent der Kosten für drei Behandlungen, allerdings nur, wenn das Paar verheiratet ist und die Frau zwischen 25 und 40 Jahre, beziehungsweise der Mann zwischen 25 und 50 Jahre alt ist.
Wie erfolgreich sind die Behandlungen?
Zollner: Die Chance, mit Unterstützung einer Kinderwunschbehandlung schwanger zu werden, liegt pro Behandlungszyklus bei etwa 30 Prozent. Am erfolgreichsten ist die konventionelle IVF-Behandlung. Bei der Insemination liegt die Erfolgsquote bei zehn bis 20 Prozent.
Welche Nebenwirkungen kann die Hormonstimulation haben?
Zollner: Das bei der IVF und ICSI-Therapie gewünschte Wachstum von mehreren Eibläschen im Eierstock kann zu Schmerzen im Unterbauch führen. Im Notfall kann es auch zu einer Überstimulation kommen, das trifft auf etwa zwei Prozent zu. Dadurch steigt auch das Thromboserisiko.
Vielen Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch fällt es schwer, ihre Sorgen und Nöte im Freundeskreis oder in der Familie zu teilen. Wann ist eine psychologische Betreuung sinnvoll?
Zollner: Wenn jemand schnell schwanger wird, stellt sich das Problem nicht. Aber wenn jemand mehrere Behandlungszyklen benötigt, bieten wir auch eine psychologische Mitbetreuung an.
Bayerisches FörderprogrammProf. Dr. Ursula Zollner hat bis 2015 als Oberärztin am Kinderwunschzentrum der Uniklinik in Würzburg gearbeitet und war Leiterin der Hormon- und Kinderwunschsprechstunde. Seit 2015 leitet sie die Bayerische Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik. Zollner ist seit 2016 niedergelassen und betreibt mit Kolleginnen eine gynäkologische Praxis mit Schwerpunkt Pränatalmedizin sowie das private Kinderwunschzentrum MainKid in Würzburg.Seit November 2020 fördert der Freistaat gemeinsam mit dem Bund Kinderwunschbehandlungen von verheirateten und nicht verheirateten Paaren mit einem gemeinsamen Hauptwohnsitz in Bayern. Unterstützt werden die erste bis vierte Behandlung der In-Vitro-Fertilisation (IVF) sowie der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI). Der Zuschuss beträgt bei der ersten bis dritten Behandlung bis zu 800 Euro (IVF) beziehungsweise 900 Euro (ICSI) und bei der vierten Behandlung bis zu 1600 Euro (IVF) beziehungsweise 1800 Euro (ICSI). Bund und Freistaat übernehmen jeweils die Hälfte.Weil derzeit keine ausreichenden Bundesmittel zur Verfügung stehen, werden nur Anträge von Paaren angenommen, bei denen bis 30. Juni 2022 die Altersgrenze erreicht wird - das heißt, der 40. Geburtstag der Frau oder der 50. Geburtstag des Mannes. In diesen Fällen können auch weiterhin Anträge gestellt werden beim Zentrum Bayern Familie und Soziales (ZBFS).Quelle: clk