Lächelnd wendet die Frau ihr Gesicht in Richtung Haustür. Ihr langer, geflochtener, dunkler Zopf liegt über ihrer Schulter, im Haar steckt ein Diadem. Die Augen sind geschlossen. Eine Schönheit ist sie nicht, dazu sind ihre Züge zu scharf und prägnant, aber sie ist interessant anzusehen. Und in der Tat sah die hier Dargestellte im wirklichen Leben nicht so aus: Helena Petrovna Blavatsky war deutlich runder und gedrungener. Doch Künstlerin Renate Jung hat sie ihrer Vorstellung entsprechend dargestellt, maßgeblich dafür waren Blavatskys Werke und ihr Schaffen, das sich im okkult-esoterischen Bereich bewegte.
Helena Blavatsky interessierte sich schon als Kind für Esoterik
"Die bei ihrem Großvater, einem hohen Regierungsbeamten, im russischen Großreich aufgewachsene Helena hatte schon als Kind ein ausgeprägtes Interesse für Esoterik", sagt Renate Jung. Blavatsky war davon überzeugt, eine Art Medium zu sein und Worte von Verstorbenen zu empfangen, die sie aufschreiben soll. Angeregt von der umfangreichen Bibliothek ihres Urgroßvaters, eines Freimaurers mit rosenkreuzerischer Ausrichtung, widmete sie ihr Leben zunächst der Erforschung verschiedener spiritueller Richtungen, um schließlich selbst eine solche zu gründen. Sie reiste viel und immer hatten ihre Reisen das gleiche Ziel: das spirituelle Leben des Ortes kennenzulernen.
"In Québec untersuchte sie zum Beispiel den indianischen Schamanismus, in New Orleans den Voodoo-Kult, im Nahen Osten befasste sie sich mit den Drusen-Mysterien", schildert die Künstlerin den Forschungsdrang der jungen Frau. Ihre Studien flossen 1875 in die Gründung des "Miracle-Clubs", den sie zusammen mit dem Juristen Henry Steel Olcott ins Leben rief und der in die Theosophical Society (Theosophische Gesellschaft) überging. Rudolf Steiner trat 1902 der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft bei. Die Satzung sah vor, "Wissen über die Gesetze, welche das Universum beherrschen, zu sammeln und zu verbreiten". Nun sollten keine Botschaften aus dem Jenseits mehr empfangen und übermittelt werden, stattdessen wolle man sich "alte Geheimlehren" aneignen und eine neue Weltreligion schaffen.
1879 reisten Olcott und Blavatsky nach Indien, wo sie drei theosophische Prinzipien ausarbeiteten, die bis heute die Grundlage der Theosophischen Gesellschaft sind: zum einen die Bildung eines Nucleus einer Universellen Bruderschaft ohne Unterschied von Rasse, Glaubensbekenntnis, Geschlecht, Kaste und Hautfarbe. Zum anderen die Förderung vergleichender Studien der Weltreligionen, Philosophie und Naturwissenschaften. Und drittens die Erforschung bisher unentdeckter Naturgesetze und psychischer Kräfte des Menschen. Helena von Blavatsky konvertierte zum Buddhismus und widmete sich der Arbeit an ihrer "Geheimlehre", die sich auf den Buddhismus, den Hinduismus und andere Weisheitslehren gründete.
Immer wieder Vorwürfe wegen Betrugs und Plagiats
Sie hatte viele Anhänger und Bewunderer, die Theosophische Gesellschaft wuchs. Immer wieder jedoch wurde sie des Plagiats und des Betrugs bezichtigt, 1884/85 wurden die Vorwürfe so schwerwiegend, dass sie, zumal schwer erkrankt, regelrecht aus Indien fliehen musste. Noch im selben Jahr kam sie nach Würzburg und lebte in dem Haus in der Ludwigstraße 6, auf das heute das Porträt aufgemalt ist. Dort vollendete sie auch ihre "Geheimlehre". "Man kann also sagen, dass diese Geheimlehre in Würzburg fertiggestellt wurde", sagt Renate Jung. Und das sollte nach dem Willen des Hausbesitzers nicht in Vergessenheit geraten.
Deshalb wurde die bekannte Würzburger Künstlerin damit betraut, ein Konterfei der Helena von Blavatzki auf die Hauswand zu malen. Das Porträt zeigt eine junge Frau. Als sie nach Würzburg kam, war Blavatzky jedoch schon recht betagt – und gebrochen, als Hochstaplerin verschrien und gejagt. Doch wenn sie am Ende ihres Lebens auch einsam gewesen sein mag: Ihr Wirken blieb nicht ohne Folgen: Die von ihr gegründete Theosophische Gesellschaft bekam durch Rudolf Steiner eine andere Ausrichtung. Er entwickelte sie zur Anthroposophie weiter und schuf unter anderem das pädagogische Konzept, das die Grundlage der Waldorfschulen bildet. Eine solche wird heute auch in Würzburg von unzähligen Schülern besucht. Allein: Mit Geistern, wie Blavatsky das tat, spricht hier niemand. Dem Geistigen jedoch fühlt man sich verpflichtet.
Text: Eva-Maria Bast
Der Text stammt aus dem Buch „Würzburger Geheimnisse - Band 2“ von Eva-Maria Bast, das in Kooperation mit der Main-Post entstand. Das Buch enthält 50 Geschichten zu historischen Geschehnissen und Orten. Präsentiert werden die Begebenheiten jeweils von Würzburger Bürgern.