„Wir dürfen uns nicht mehr sehen.“ Dieser Satz seines damaligen Freundes veränderte das Leben von Herbert F. (Name geändert). Der Freund teilte ihm telefonisch mit, er habe HIV. Auch Herbert F. solle sich testen lassen. Wie sich herausstellte, war auch er infiziert. Das war 1984. Damals gab es kaum Wissen über die „Seuche“, wie Aids in Zeitschriften genannt wurde. Auch existierte in Unterfranken noch keine Beratungsstelle, berichtet Herbert F. anlässlich des Welt-Aids-Tags am 1. Dezember.
Zunächst normales Leben
Drei Jahre lebte der homosexuelle Würzburger trotz Infektion ein relativ normales Leben. Erst 1987, in jenem Jahr, in dem die unterfränkische Aids-Beratungsstelle der Caritas gegründet wurde, erkrankte der heute 66-Jährige schwer an einer Lungenentzündung: „Ich lag ein Vierteljahr in der Klinik.“ Die Ärzte bemühten sich, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Herbert F. erhielt mit Zidovudin erstmals ein Medikament gegen HIV. Doch wegen schwerer Nebenwirkungen setzte er es wieder ab.
Immer mehr infiziert
Von immer mehr Bekannten erfuhr der Würzburger, dass sie ebenfalls infiziert sind. Viele kämpften vergebens gegen das Virus an: „Zwischen 1990 und 1995 verlor ich um die 50 Bekannte, manchmal hörte ich von drei Todesfällen in einer Woche.“ Herbert F. wollte sich davon nicht unterkriegen lassen. Er ging weiter seiner Arbeit nach. Gleichzeitig hielt er sich in Sachen HIV auf dem Laufenden.
Neues Medikament brachte schlagartig Besserung
Allmählich traten bei ihm immer mehr mit HIV assoziierte Krankheiten auf. Etliche Male wurde Herbert F. operiert. 1995 erhielt er endlich ein wirksames und verträgliches Medikament: „Mir ging es innerhalb von drei Wochen schlagartig besser.“ Die Viruslast sank unter die Nachweisgrenze. Bis heute nimmt Herbert F. täglich sechs Dosen von drei verschiedenen Medikamenten ein. Die Mittel retteten ihm das Leben. Allerdings muss Herbert F. inzwischen mit Nebenwirkungen aufgrund der Langzeiteinnahme fertig werden: Letztes Jahr erkrankte er schwer am Herzen.
Stigmatisierungen blieben
In den letzten 33 Jahren kämpfte Herbert F. nicht nur körperlich gegen seine Infektion an. Immer wieder wurde und wird er mit Stigmatisierungen konfrontiert. Vor zwei Jahren zum Beispiel geschah dies in einer Würzburger Klinik. Er wartete, bereits narkotisiert, auf die OP: „Dann kam eine Krankenschwester und sagte mir, dass ich wegen der ,Sache' im Moment nicht drangenommen werden könne.“ Er wurde heimgeschickt und sollte später wiederkommen, wenn alle anderen operiert wären. Herbert F. konnte nicht fassen, dass ihm das im Jahr 2015 passierte: „Warum sind Ärzte immer noch nicht besser aufgeklärt?“
Schon ein halbes Leben lang infiziert
Dass er HIV hat, mit dieser Information geht Jens T. (Name geändert), ein anderer Klient der Aids-Beratungsstelle, extrem sparsam um. Der 52-Jährige ist selbstständig. Wüssten seine Kunden, dass er HIV-Medikamente nimmt, würde ihm das beruflich schaden, ist er überzeugt. Mit der Diagnose lebt Jens T. bereits weit mehr als die Hälfte seines Lebens: „Ich wurde 1982 durch eine Bluttransfusion infiziert.“
Zum Welt-Aids-Tag wünschen sich Herbert F. und Jens T., dass die Aufklärung in Sachen HIV und Aids nicht nachlässt. Denn noch immer erleben Betroffene Demütigungen und Abwehr, so Jens T.: „Ich flog schon aus mehreren Zahnarztpraxen heraus.“ Bedenklich findet er es außerdem, dass es nach wie vor zu Neuinfektionen kommt.
Jährlich 30 Infizierte mehr
Michael Koch, Leiter der Aids-Beratungsstelle, bestätigt, dass sich jährlich um die 30 Menschen in Unterfranken neu infizieren: „16 Neuinfizierte kamen in diesem Jahr bisher zu uns.“ Insgesamt rund 250 Betroffene haben zu der Einrichtung gegenüber des Hauptbahnhofs Kontakt. Sie lassen sich beraten, begegnen über die Caritas-Einrichtung gleichfalls Betroffenen und halten sich über neueste HIV-Forschungsergebnisse auf dem Laufenden.
Eine Frau schämt sich
„Die Beratungsstelle ist heute noch genauso notwendig wie 1987“, betont Jens T. Nach wie vor, bestätigt Michael Koch, würden Menschen durch die Diagnose in eine tiefe Krise gestürzt. Aktuell begleitet der Psychologe zum Beispiel eine Klientin, die nicht damit fertig wird, dass sie sich durch einen einzigen leichtsinnigen Moment angesteckt hat: „Sie schämt sich entsetzlich.“
Tagelang verließ die Frau nicht mehr ihre Wohnung, weil sie sich vorstellte, jeder würde ihr ihre HIV-Erkrankung ansehen. Mehrmals schon traf sich Koch mit ihr, um sie zu beruhigen. Ganz allmählich wächst in der Klientin das Vertrauen, dass ein Leben mit HIV auch für sie möglich sein könnte.
Veranstaltungen zum Welt-Aids-Tag
Unter der Überschrift „Ist Aids Geschichte?“ geben Experten und Betroffene am 29. November um 20 Uhr in der Katholischen Hochschulgemeinde einen Einblick in die ersten Jahre von HIV und Aids in Unterfranken. Sie stellen dar, wie die Situation heute ist, und was geschehen muss, um HIV global zu besiegen. Veranstalter ist der Würzburger „Ethik-AK“ in Kooperation mit dem Aktionsbündnis „Würzburg zeigt Schleife“.
Am 1. Dezember wird um 18 Uhr in der Franziskanerkirche ein ökumenischer Gottesdienst unter der Überschrift „Perspektivwechsel“ gefeiert. Dabei wird der Blick ebenfalls auf mehr als 30 Jahre HIV gerichtet. Gleichzeitig wird an alle Menschen aus der Region erinnert, die in den vergangenen Jahren an Aids verstorben sind. Im Anschluss findet ein Empfang im Caritashaus (Franziskanergasse 3) statt.