Als "Held" wird er in seinem Bekannten- und Freundeskreis verehrt, Engelsflügel zieren seine Fotos an der Gedenkstätte am Würzburger Haugerkirchplatz: Viele Menschen kannten und mochten den 28-Jährigen mit dem Spitznamen Ling Ling, der im September 2023 vor dem Würzburger Club "Studio" durch Messerstiche starb.
Welche Rolle hatte Ling Ling bei dem Konflikt, der zu seinem gewaltsamen Tod führte? Wollte er lediglich schlichten, wie in der Anklage angenommen? Oder verschärfte sein Verhalten die angebliche Notwehr-Situation, mit der der Angeklagte seine Tat zu Prozessbeginn vor Gericht erklärt hatte?
Der Prozess hat an diesem Montag begonnen. Um nachzuvollziehen, wie der Getötete war, hatte das Landgericht Würzburg am dritten Verhandlungstag seinen Vater und seine frühere Freundin geladen. Sie zeichneten am Mittwoch im Zeugenstand ein tragisches Bild: Der 28-Jährige sei liebenswert, zwanghaft hilfsbereit und manchmal aufbrausend gewesen. Traumata und eine psychische Krankheit hätten sein Leben geprägt.
Opfer hatte Nacht in Zelle verbracht, weil er sich in Streit eingemischt hatte
"Er hat nie mit dem Kopf agiert, es kam aus dem Herzen raus", sagte der Vater des Getöteten. Er berichtete, wie sein Sohn sich als Jugendlicher von der Familie distanziert und später wieder angenähert habe. Und dass Ling Ling Probleme in der Schule gehabt und länger auf der Straße gelebt habe.

Später sei das Borderline-Syndrom bei seinem Sohn diagnostiziert worden. Er habe deswegen zahlreiche Medikamente genommen. Die Ex-Freundin sagte, sie habe wenige Tage nach seinem Tod mindestens fünf verschiedene starke Psychopharmaka in Ling Lings Wohnung gefunden.

Die psychische Störung Borderline erschwert die Impulskontrolle und fördert die soziale Instabilität. Nach Angaben des Vaters habe der 28-Jährige ein permanentes Bedürfnis gehabt, sich schlichtend in Konflikte einzumischen. Neu für den Vater war ein Hinweis des Vorsitzenden Richters am Mittwoch: Dass sein Sohn rund ein Jahr vor der tödlichen Auseinandersetzung eine Nacht in der Zelle verbracht hatte, weil er sich vor einem Club in einen Streit eingemischt haben soll, wusste er nicht.
Ex-Freundin: Opfer der Würzburger Messerattacke hatte Streit "gesucht"
Der öffentlichen Darstellung von Ling Ling als gut gelauntem "Helden" konnte seine Ex-Freundin nur wenig abgewinnen: "Er war nicht immer der Grinsemann, wie ihn alle erlebt haben", sagte sie. Zu Hause sei er schwermütig gewesen. Erfahrungen aus Kindheit und Jugend sowie die psychische Erkrankung hätten ihm sehr zugesetzt.

Einmal habe er gesagt: "Warum soll ich rausgehen? Ich kenne zwar viele Leute, aber wenn es darauf ankommt, ist niemand für mich da." Ihr früherer Freund habe zwar viele Menschen herzlich "Bruder" oder "Schwester" genannt. Doch selbst zu den besten Freundinnen und Freunde hätte er außer beim Feiern nur unregelmäßig Kontakt gehabt.
Ling Ling sei tatsächlich äußerst hilfsbereit gewesen, sagte seine langjährige Partnerin. Besonders wenn Frauen belästigt wurden, sei er "sehr schnell hochgefahren". Er habe in vielen Situationen "Streit gesucht" und gemeint, diesen schlichten zu müssen. Aus seinen Erzählungen von Party-Nächten habe sie geschlossen, dass er Konflikte eher "mit Fäusten" als verbal geregelt habe.
Dennoch beschrieben die Ex-Partnerin und weitere Zeugen den 28-Jährigen grundsätzlich als harmoniebedürftig: Ihm sei es darum gegangen, Konflikte zu beenden.
Widersprüche: Türsteher des Würzburger Clubs Studio rückt in den Fokus
Eine konkrete Situation schilderte die Zeugin ausführlich: Ein Türsteher des Studios habe einmal mehrere Besucher zusammengetrommelt, um einen Mann zu "hauen", der seine Freundin belästigt habe. Darunter sei auch Ling Ling gewesen, doch sie haben ihn davon abgehalten. Eben diesem Türsteher wirft die Verteidigung jetzt vor, den angeklagten 22-Jährigen vor dessen tödlichen Stichen verprügelt zu haben.

Für den weiteren Prozess relevant sein könnte eine weitere Aussage der Ex-Freundin. Ihr habe derselbe Türsteher direkt nach dem Vorfall an jenem 17. September 2023 gesagt, von dem ganzen Tatgeschehen nichts mitbekommen zu haben. Als er den Club in den frühen Morgenstunden verlassen habe, seien ihm schon blutende Menschen entgegengekommen. Mit den Darstellungen sowohl der Verteidiger als auch der Staatsanwaltschaft sowie anderen Zeugenaussagen würde dies jedoch nicht zusammenpassen.
Der Prozess wird am Donnerstag, 13. Juni, um 8 Uhr fortgesetzt.