Großmutter Nana öffnet die Tür; vier Mädchen haben geklingelt. Die Teenager bitten sie, ihnen Geschichten aus der Bibel zu erzählen. Jeder im Kleinstädtchen Gary, Indiana, USA, weiß, dass Großmutter Nana sie gerne erzählt. Ruth Pelke, so heißt die 78 Jahre alte Dame, bittet die Vier ins Haus.
Die Mädchen wollen keine Geschichten hören, sie brauchen Geld für die Spielhalle. Sie bringen Oma Nana um, mit 33 Messerstichen, durchsuchen ihr Haus und türmen. Ihre Beute: zehn Dollar und ein Autoschlüssel. Es ist der 14. Mai 1985.
16-Jährige zum Tode verurteilt
Im Jahr darauf schickt ein Gericht drei der 14 bis 16 Jahre alten Mädchen ins Gefängnis, für 25 bis 60 Jahre. Die 16-jährige Paula Cooper aber, die mit einem 30 Zentimeter langen Metzgermesser zugestochen hat, verurteilt der Richter zum Tode. Nach dem Spruch schreit im Zuschauerraum ein alter Mann auf: „Sie werden mein Baby töten! Sie werden mein Baby töten!“ Der Richter verweist ihn des Saales. Es ist Paula Coopers Großvater.
Amnesty International (AI) weiß von über 1000 Hinrichtungen im Jahr 2016. Die Zahl aus China kennt AI nicht. Die Menschenrechtsorganisation hält das Land dennoch für den „weltweit führenden Henkerstaat“. Für 55 Prozent der bekannten Exekutionen war laut AI der Iran verantwortlich. Henker in vier Ländern – Iran, Saudi-Arabien, Irak und Pakistan – hätten 87 Prozent der weltweit erfassten Hinrichtungen vollstreckt.
Pharma-Unternehmen liefern kein Gift mehr
Nach AI-Angaben rangieren die USA zum ersten Mal seit 2006 nicht unter den Top 5 der Henkerstaaten. Ursache dafür sei, dass Pharma-Unternehmen sich weigern, weiterhin das Gift für die Todesspritze zu liefern.
Der Kranführer Bill Pelke, Großmutter Nanas Enkel und strenggläubig wie sie, war einverstanden mit dem Todesurteil gegen Paula Cooper. Er wusste, es würde ihm die geliebte Oma nicht wiederbringen, aber er fand es gerecht – eineinhalb Jahre lang. Heute gehört er zu den bekanntesten Gegnern der Todesstrafe in den USA. Mit anderen hat er die Organisation „Journey of Hope“ – Reise der Hoffnung – gegründet, er hält Vorträge in vielen Ländern der Erde. Die Gemeinschaft Sant'Egidio hat ihn auch nach Würzburg geladen.
Da erzählte er von einem müßigen Abend hoch oben in seinem Kranführerhäuschen. An Großmutter Nana habe er gedacht, vor Augen sei sie ihm gestanden und geweint habe sie, aus Mitleid mit Paula Coopers Großvater. In seiner Kabine, 50 Schritt über dem Boden, sei ihm bewusst geworden, dass Nana nicht gewollt hätte, dass die Bürger Indianas Hass und Wut über ihre Mörderin ausgießen wie sie es taten. Dann sei Jesus Christus ihm erschienen, ans Kreuz geschlagen und Vergebung predigend, und wieder die weinende, mitleidige Großmutter.
Als „mein Herz vom Mitleid berührt wurde“, berichtete er, „dachte ich nicht mehr an den Mord, sondern an Nana und wie sie allen gut getan hat“. Er habe „die heilende Kraft der Vergebung“ erlebt.
Unter Hinrichtungen leiden auch Angehörige
Pelke beschrieb seinen Sinneswandel als ein religiöses Erweckungserlebnis. Seinem Gott habe er versprochen, über Vergebung zu reden, wo man ihm die Tür öffne.
Er argumentiert gegen die Todesstrafe, weil sie auch Unschuldige und psychisch Kranke treffe, weil Angehörige von Hingerichteten litten, Dunkelhäutige härter bestraft würden als Hellhäutige, weil sie „nicht heilt, sondern die Gewaltspirale antreibt“.
Sein Glaube ist sein Fundament. Ohne die Religion, sagte er im Gespräch mit unserer Redaktion, hätte er wahrscheinlich nicht vergeben können. Aber mit christlichen Geboten argumentiert er nicht. Sie könnten christliche Befürworter der Todesstrafe kaum überzeugen. Auch sie schöpfen aus Altem und Neuem Testament, etwa aus dem Römerbrief des Paulus (Kapitel 13, Vers 4), wonach die Obrigkeit Gottes Dienerin sei und „das Schwert nicht umsonst“ trage. Sie vollziehe „das Strafgericht an dem, der Böses tut“.
Pelke argumentiert auch nicht mit dem, was hierzulande der tiefste Grund gegen die Todesstrafe ist: mit der Unverletzlichkeit der Würde des Menschen. Die Einsicht, dass jeder Mensch ein unveräußerliches Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat, wie im zweiten Artikel des Grundgesetzes geschrieben steht, ist relativ neu. Rechtswirksam wurde sie mit dem Grundgesetz, samt Artikel 102 - „Die Todesstrafe ist abgeschafft“ - am 23. Mai 1947.
Würzburger Hinrichtungen auf dem Galgenberg
Über 1200 Jahre lang vereinbarten auch in Würzburg Christen Religion und Todesstrafe. So diente der Pleidenturm neben dem Wirsberg-Gymnasium, wo heute die KaGe Elferrat zuhause ist, als Stockturm. Hier lagen die Todeskandidaten in den Stock, eine hölzerne Fessel, gelegt, bis sie zur Hinrichtung auf den Galgenberg geführt wurden. Auf ihrem letzten Weg gingen sie durch die Landwehrstraße, die im 18. Jahrhundert „Armesündergasse“ hieß, und über den heutigen Gerbrunner Weg (damals „Armesünderweg“), bis sie auf der Höhe angekommen waren, wo der Henker auf sie wartete.
Wie viele Menschen in Würzburg von Gerichts wegen umgebracht wurden, ist nach Kenntnis unserer Redaktion nicht erforscht. Den Tageszeitungen war eine Hinrichtung nur eine kurze Meldung wert. So berichtete der „Würzburger Anzeiger“ am 29. August 1859, dass am Morgen des gleichen Tages der Mörder Philipp Suffel aus Großwallstadt hingerichtet wurde. „Die Hinrichtung ging sehr rasch von Statten; es war hier die erste, die mit dem Fallschwert“ (die Guillotine, d. Red.) „vorgenommen wurde. Trotz der frühen Stunde hatte sich eine zahlreiche Zuschauermenge eingefunden.“
Unbekannt ist auch die Zahl der Hinrichtungen durch die Nazi-Justiz in Würzburg. Herbert Schott berichtet in „Die Amerikaner als Besatzungsmacht in Würzburg (1945 bis 1949)“, dass ein amerikanisches Militärgericht 1946 in der Stadt einen Polen zum Tode verurteilte, weil er einen Deutschen umgebracht hat.
Begnadigung zu 60 Jahren Gefängnis
Bill Pelke hat der Mörderin seiner Großmutter vergeben. Sein erster Kampf gegen die Todesstrafe war der Einsatz für ihre Begnadigung. Er hat wohl seinen Anteil daran, dass der Bundesstaat Indiana 1987 das Mindestalter für die Delinquenten von zehn auf 16 Jahre erhöhte. Cooper war zur Tatzeit 15 Jahre alt, sie wurde zu 60 Jahren Gefängnis begnadigt. Pelke kümmerte sich um sie, besuchte sie im Gefängnis und schrieb sich mit ihr.
2013, nach 27 Jahren, entließ Indiana Paula Cooper wegen guter Führung aus dem Gefängnis. Zwei Jahre später brachte sie sich, geplagt von schweren Depressionen, um.
In der Bayerischen Verfassung stand die Todesstrafe bis 1998, dann schafften sie die Bürger mittels Volksentscheid ab. Ausgesprochen wurde sie nach Mai 1949 aber nicht mehr, weil Bundesrecht Landesrecht bricht.
Aktion gegen die Todesstrafe In Würzburg leuchtet am Donnerstag, 30. November, die Festung Marienberg wieder in grünem Licht. Damit zeigt sich Würzburg mit der Forderung, die Todesstrafe weltweit abzuschaffen, solidarisch. Um auf dieses Thema aufmerksam zu machen, beteiligt sich die Stadt Würzburg erneut an der weltweiten Aktion „Städte für das Leben – Städte gegen die Todesstrafe“. Allein in Deutschland hätten sich laut Pressemitteilung in den vergangenen Jahren fast 200 Städte der Aktion angeschlossen und symbolisieren durch die Beleuchtung einer Sehenswürdigkeit ihre Solidarität. Die italienische Gemeinschaft Sant'Egidio führt seit dem 30. November 2002 den Welttag gegen die Todesstrafe durch. Dieses Datum ist dem Jahrestag des 30. November 1786 gewidmet, an dem das Großherzogtum Toskana als erster Staat der Welt Todesstrafe und Folter abgeschafft hat.
„Als mein Herz vom Mitleid berührt wurde, dachte ich nicht mehr an den Mord.“
Bill Pelke, amerikanischer Todesstrafen-Gegner