Die Pandemie hinterlässt ihre Spuren, körperlich und seelisch: Im Psychotherapeutischen Beratungsdienst des Sozialdienstes katholischer Frauen Würzburg (SkF) steht das Telefon nicht mehr still. Immer mehr Menschen wollen beraten werden. In der Krise sind es so viele, dass manche Anrufer auf den Folgemonat vertröstet werden müssen. Im Interview spricht die Leiterin des Dienstes, Verena Delle Donne, über Belastungen und Bewältigungsstrategien.
Frage: Seit über einem Jahr müssen wir nun schon mit der Corona-Pandemie leben. Bemerken Sie eine Auswirkung der Krise auf Ihre Erziehungsberatung?
Verena Delle Donne: Ja, auf jeden Fall und in sehr starkem Maß. Wir haben viel mehr Anmeldungen. Und wir haben härtere Fälle als sonst. Auffällig ist auch, dass im Gegensatz zu früher kaum ein Termin abgesagt wird. Alle wollen kommen und nehmen sowohl die Telefonberatungstermine, die Beratung per Video wie auch die Präsenztermine wahr. Unsere elf Beraterinnen und Berater arbeiten hart am Anschlag.
Wenn Sie die Lebenssituation Ihrer Beratungssuchenden in einem Satz zusammenfassen müssten, wie würde er lauten?
Delle Donne: Der entscheidende Satz heißt: "Ich kann nicht mehr!“ Diesen Satz hören wir häufig. Ist ja auch nachvollziehbar, denn seit über einem Jahr leben wir alle in einer Ausnahmesituation und haben uns lange von der Aussicht genährt, dass alles besser wird. Aktuell hat aber niemand mehr die Illusion, dass die Besserung in den nächsten zwei Wochen eintritt; gerade jetzt angesichts steigender Fallzahlen und der dritten Pandemie-Welle. Die meisten Familien leben seit Monaten im gefühlten Dauer-Lockdown auf engem Raum zusammen, müssen einerseits Arbeit, andererseits Dauer-Kinderbetreuung und Homeschooling stemmen. Diese Mehrbelastung dauerhaft durchzuhalten, überfordert viele.

Sind es dann überwiegend die Eltern, die anrufen?
Delle Donne: Ja. Offenbar hält in vielen Fällen die Partnerschaft dem Druck nicht stand; unser Eindruck ist, dass es aktuell mehr Trennungs- und Scheidungsfälle gibt und die Leute hier Beratungsbedarf haben. Eben wegen der Überbelastung und dem Gefühl, nicht mehr weitermachen zu können.
Wie können Sie da helfen? Denn an der Lage Ihrer Anrufer können Sie ja auch nichts ändern ...
Delle Donne: Tatsächlich hilft es vielen Anrufern, entlastet es viele Anrufer, wenn sie in uns jemanden haben, der ihnen vorurteilsfrei eine Stunde zuhört. Es hilft vielen auch, wenn wir ihnen versichern, dass das Gefühl, nicht mehr weitermachen zu können, nicht unnatürlich ist, sondern ganz im Gegenteil vollkommen normal. Die Beratung stellt sich für viele Hilfesuchende als positive Auszeit dar, in der sie das Recht haben, ihr Leid zu klagen, in der sie das Recht haben, Trauer zuzulassen und über sich nachdenken dürfen. Wir versuchen dann gemeinsam, Tricks oder Hilfen zu finden, wie man den Alltag besser aushaltbar machen kann. Es geht dann um Fragen wie: Was brauche ich jetzt als Mutter? Was sind die kleinen Dinge, die mich als Vater entlasten würden? Manchmal hilft es, den Alltag neu zu strukturieren, sodass für den besonders belasteten Elternteil mehr kleine Freiräume - etwa für eine Tasse Kaffee - entstehen. Für Sport ist häufig keine Zeit. Manchmal hilft es auch, die guten Momente des Tages aufzuschreiben und die kleinen Freuden des Alltags bewusst wahrzunehmen.
Geht es in den Beratungsgesprächen auch um Verhaltensänderungen bei Kindern? Wie zum Beispiel um den siebenjährigen Grundschüler, der in den kurzen Tagen der Lockerung Fußball trainieren durfte, das Training aber selbst abbrach, weil er "sich nicht sicher“ fühlte?
Delle Donne: Diese Geschichte höre ich, in Variationen, gerade vermehrt. Wichtig ist es da, dass die Eltern so eine Angst nicht abtun, sondern ernst nehmen und das Kind fragen: "Woran merkt du, dass es nicht sicher ist?" Es kann ja durchaus sein, dass der Junge Recht hat, etwa, wenn er sich in engen Zweikampfsituationen ohne Maske unwohl fühlt. Vielleicht ist seine Angst aber größer als die Gefahr; und dann wäre es Aufgabe der Eltern, dem Kind zu erklären, dass die Ansteckungsgefahr unter freiem Himmel mit Abstand sehr klein ist.

Von welchen Problemen mit Kindern wird Ihnen verstärkt berichtet?
Delle Donne: Es geht verstärkt um Schulabsentismus. Gerade Schüler aus den Klassenstufen fünf bis neun hatten ja jetzt über Monate hauptsächlich Distanzunterricht.Von Eltern, aber auch von Lehrern, hören wir, dass sich eine gewisse Zahl dieser Schüler aus dem Unterricht rausgezogen hat. Manchmal aus Überforderung, manchmal aus Antriebslosigkeit, die nah an einer Depression liegen kann. Es wäre gut, hier zeitnah das Gespräch mit der Schule zu suchen, denn je länger die Antriebslosigkeit und der Rückzug andauern, umso größer werden ja die schulischen Lücken, umso größer wird die Versagensangst. Auch hier hilft es zu fragen, was dem Kind oder Jugendlichen gut täte, was sein Leben – und damit auch die Lust aufs Lernen – erleichtern würde. Mit Bezug auf die Corona-Ansteckungsgefahr hören wir mittlerweile auch von Kindern, die sich schuldig fühlen, weil sie glauben, ein Familienmitglied angesteckt zu haben. In solchen Fällen ist Beratung ganz wichtig, um das Kind zu entlasten. Denn für Corona kann es nichts und die Entscheidung über Kontakte treffen die Erwachsenen.
Was wünschen Sie sich in dieser schwierigen Zeit von der Politik?
Delle Donne: Dass die Erziehungs- und Familienberatungsstellen gestärkt und erweitert werden. Angesichts zunehmenden Beratungsbedarfs wünschen wir uns das und sehen das als notwendig an.