Die Wirtschaft kommt wieder in Schwung, die Inflation steigt. Der Würzburger Professor für Wirtschaftswissenschaften Peter Bofinger beschäftigt sich seit über einem Jahr mit den wirtschaftspolitischen Herausforderungen der Corona-Pandemie. Im Interview spricht er über gutes Krisenmanagement, die Wahrscheinlichkeit einer Inflation und "Wirtschaftspolitik mit der Schrotflinte".
Frage: Die Weltwirtschaft wächst, dieOECD hebt ihre Konjunkturprognosen an, Wachstum auch in Deutschland - hat die Wirtschaft die Corona-Krise schon überwunden?
Peter Bofinger: Wir sind aus dem Gröbsten raus. Und das haben wir einem weltweit guten Krisenmanagement zu verdanken. Die Regierungen und die Notenbanken haben in allen Staaten alles dafür getan, diesen massiven Schock so gut es geht abzufedern. Und sie waren bereit, dafür auch hohe Schulden in Kauf zu nehmen. Dabei muss man sehen, dass die USA und China deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, um ihre Wirtschaften zu beleben, als der Euroraum. Davon profitieren gerade auch unsere Unternehmen.
Ist die Wirtschaft besser oder schlechter durch die Pandemie gekommen, als Sie es zu Beginn erwartet haben?
Bofinger: Wenn ich vor einem Jahr gewusst hätte, wie lange diese Lähmung anhält und wie viele Bereiche unserer Wirtschaft sie betrifft, wäre ich viel pessimistischer gewesen. Und nicht nur ich. Vor einem guten Jahr haben doch die meisten geglaubt, das geht deutlich schneller vorbei und dann läuft es wieder rund.
Läuft es schon wieder rund, sind wir im Post-Corona-Boom, oder steht die große Pleitewelle noch bevor?
Bofinger: Weder noch. Der Konsum während der Corona-Krise war ja gar nicht so schwach. Es hat sich vieles in den Online-Handel verlagert, aber es sind natürlich Sparpolster entstanden, die jetzt in Konsum umgesetzt werden können.
Bräuchten Handel und Gastronomie oder die Wirtschaft insgesamt verlässlichere Öffnungsperspektiven, um besser in Schwung zu kommen?
Bofinger: Das hängt nun einmal von der Pandemie ab. Wenn immer von der Politik mehr Verlässlichkeit gefordert wird, kann ich nur sagen: die müsste man von der Pandemie fordern. Die Politik kann noch so gute Öffnungspläne und Strategien entwickeln, wenn dann eine neue, schlimme Mutante dazwischenkommt, war alles umsonst. Die Pandemie und ihre Entwicklung sind nun einmal nicht verlässlich.
Die Wirtschaft kommt in Schwung, die Preise steigen. Droht jetzt eine Inflation?
Bofinger: Nein, die sehe ich weder für Deutschland noch für den Euroraum. Wir hatten ziemlich genau vor einem Jahr einen extremen Einbruch bei den Energiepreisen. Was wir jetzt sehen, ist eine Kompensation dessen, was vor einem Jahr passiert ist. Nehmen Sie den Euroraum und rechnen die Energiepreise unverarbeiteter Nahrungsmittel raus, dann liegt die sogenannte Kerninflationsrate unter einem Prozent. In Deutschland kommt die höhere CO2-Besteuerung dazu. Deshalb werden wir kurzfristig noch etwas höhere Inflationsraten sehen, aber über 2021 hinaus kommen wir wieder in ganz normales Fahrwasser - irgendwo unter zwei Prozent.

Gibt es aber nicht auch eine coronabedingte Teuerung - etwa weil Gastronomie, Einzelhandel oder Tourismus Verluste wettmachen müssen?
Bofinger: Ja, aber das fällt bei dem Verbraucherpreisindex (Anmerkung der Redaktion: durchschnittliche Preisentwicklung aller Waren und Dienstleistungen) insgesamt nicht stark ins Gewicht. Außerdem müssen die Konsumenten bereit sein, die höheren Preise zu bezahlen. Es mag in einzelnen Bereichen leichte Preissteigerungen geben, aber keine Inflationsentwicklung in der Breite. Dazu müssten dann auch die Löhne kräftig steigen. Dazu sehe ich aktuell aber keinen Anlass.
Würde das bedeuten, dass auch die Zinsen im Keller bleiben?
Bofinger: Es gibt kein Gesetz, das besagt, dass die Zinsen immer negativ sein müssen. Das kommt auf die Entwicklung im Euroraum an. Die Europäische Zentralbank macht ja die Geldpolitik für den gesamten Euroraum, also auch für Länder wie Italien oder Spanien, wo die Corona-Krise härter zugeschlagen hat. Man muss jetzt sehen, wie sich die Perspektiven im Euroraum entwickeln. Wenn die Inflationsprognosen dabei deutlicher nach oben zeigen, wird dieEZB die Zinsen eher wieder anheben.
Auffallend war, dass die Aktienmärkte nach der ersten Corona-Welle überhaupt nicht mehr tangiert waren. Wie ist das zu erklären?
Bofinger: Es fällt mir immer schwer, den Aktienmarkt zu erklären. Aber klar lag es an den extrem niedrigen Zinsen, dass nach anderen Anlageformen gesucht wurde. Wichtig war für die Investoren zudem, dass wir eine weltweite Wirtschaftspolitik hatten, die alles unternahm, damit die Wirtschaft gut durch diese Krise kommt. Doppelt so starke Impulse als der Euroraum setzen die USA. Dort müssen wir dann schon zeitlich begrenzt mit einer höheren Inflationsrate rechnen. Vor allem die Privathaushalte haben in den USA deutlich mehr Geld in die Taschen bekommen als bei uns in Deutschland. Auch das hat die Aktienmärkte befeuert.
Hat die Bundesregierung die Krise gut gemanagt, die Hilfen an der richtigen Stelle investiert?
Bofinger: Das beste Instrument war das Kurzarbeitergeld. Das hat sowohl den Unternehmen geholfen, die von Lohnkosten entlastet wurden, als auch den Arbeitnehmern, die ihren Arbeitsplatz behalten konnten. Das war auch psychologisch sehr wichtig und hat sehr zur Stabilisierung beigetragen. Eher skeptisch sehe ich die Mehrwertsteuersenkung. Das war Wirtschaftspolitik mit der Schrotflinte. Davon haben vor allem der durch Corona eh schon boomende Onlinehandel, der gar nicht betroffene Lebensmittelhandel oder die ebenfalls nicht betroffene Bauwirtschaft profitiert.
Was kann die Politik jetzt noch für die Wirtschaft tun?
Bofinger: Im Steuerrecht müsste der Verlustrücktrag auf zwei Jahre ausgeweitet werden. Verlustrücktrag heißt, ich kann Verluste in diesem Jahr mit Gewinnen aus dem Vorjahr verrechnen. Das nutzt zum Beispiel dem Gastronomen dieses Jahr nichts, wenn er wegen Corona in diesem und im Vorjahr Verluste gemacht hat. Sehr wichtig wären zudem Möglichkeiten der Sofortabschreibung für Unternehmen, die jetzt investieren müssen. Das erhöht deren Liquidität und dem Staat kann es bei noch negativen Zinsen egal sein, wenn er seine Steuer erst später bekommt.