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Würzburg: Wohnen in Würzburg ohne Kühlschrank: Eis aus dem Main hielt Wurst und Käse frisch

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Wohnen in Würzburg ohne Kühlschrank: Eis aus dem Main hielt Wurst und Käse frisch

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    Ein Wohnblock der sogenannten Laubengangkolonie in der Zellerau für "sozial schwierige Fälle" kurz vor dem Abriss im Juli 1972.
    Ein Wohnblock der sogenannten Laubengangkolonie in der Zellerau für "sozial schwierige Fälle" kurz vor dem Abriss im Juli 1972. Foto: Walter Röder

    Vor hundert Jahren hatten viele Wohnungen in Würzburg noch keinen Stromanschluss – und erst recht keinen elektrischen Kühlschrank. Wie also konnte man Lebensmittel frisch halten? Gertrud Hinterberger, die 1920 geborene Tochter eines Maßschneiders, verriet in ihren Erinnerungen die Lösung: Eisblöcke, die aus dem gefrorenen Main gestochen und in kühlen Kellern bis zum Sommer aufbewahrt wurden. Diese Stangen landeten in der heimischen Küche in einem speziellen Eisschrank, mussten aber naturgemäß häufig ersetzt werden.

    Gertrud Hinterberger lebte in der Theresienstraße in gehobenen Verhältnissen. Später beschrieb sie den "wunderschönen Terrazzoboden im Treppenhaus und die Jugendstilmalerei an den Wänden". Ganz in der Nähe existierte mit dem Kroatendorf eine völlig andere Welt. Gertrud faszinierte die Atmosphäre in der heutigen Kroatengasse, in die sie, wenn sie Schulkameradinnen besuchte, eintauchen durfte: "Die Häuser waren schmal; links eine Stube, geradeaus eine Wohnküche, oben eine schräge Kammer, irgendwo ein Plumpsklo." In den Häusern lag deshalb "ein sanfter Hauch von Landwirtschaft in der Luft".

    Schlafgänger mieteten ein Bett nur für einige Stunden am Tag

    Das Mädchen, das zu Hause ein WC mit fließendem Wasser und ein Bad hatte, liebte es, die exotischen Toiletten zu erkunden: "Da war ein großer Holzkasten, zu dem meist auch noch eine Stufe hinaufführte. Das Holz war mit den Jahren seidig glatt gewetzt. Auf der runden Öffnung saß ein Holzdeckel mit Griff, daneben lag ein Stoß zurechtgeschnittenes Zeitungspapier." Am komfortabelsten fand Gertrud einen Zweisitzer in der Textorstraße.

    Gertrud Hinterberger – damals Gertrud Horbach – mit ihren Brüdern Bernhard und Wilhelm. Die Kinder wuchsen mit den Eltern in der eleganten Theresienstraße auf.
    Gertrud Hinterberger – damals Gertrud Horbach – mit ihren Brüdern Bernhard und Wilhelm. Die Kinder wuchsen mit den Eltern in der eleganten Theresienstraße auf. Foto: Sammlung Roland Flade

    Definitiv ein Luxus war das Vorhandensein einer Küche. Als 1925 die Würzburger Wohnungen gezählt wurden, stellte sich heraus, dass mehr als 900 der 21.350 Unterkünfte über keine Küche verfügten. Besonders krass erscheint eine andere Zahl: 766 sogenannte Schlafgänger lebten in der Stadt, also Menschen, die gegen ein geringes Entgelt ein Bett nur für einige Stunden am Tag mieteten, während der Wohnungsinhaber die Schlafstelle nicht benötigte. Eine eigene Behausung hatten sie in der Stadt nicht.

    Viele Würzburger griffen zur Selbsthilfe und engagierten sich in Baugenossenschaften

    Die rund 90.000 Einwohner Würzburgs litten seit dem Ende des Ersten Weltkriegs unter dramatischem Wohnungsmangel. 1926 lag die Zahl der im Rathaus vorgemerkten Wohnungssuchenden bei 4485. In dieser Situation griffen viele Würzburger zur Selbsthilfe und engagierten sich in Baugenossenschaften. So wurden die 20er und 30er Jahre zu einer Boom-Phase des Wohnungsbaus durch gemeinnützigen Genossenschaften und Vereine. Beispielsweise entstand ab 1925 eine halbkreisförmige Anlage des Beamtenbauvereins am Wittelsbacherplatz.

    Dieser weiße Eisschrank aus dem Jahr 1930 steht im WVV-Archiv. Für die Kühlung von Wurst, Käse und Milch sorgten Eisstangen, die  durch die Öffnung in der Mitte eingeführt wurden.
    Dieser weiße Eisschrank aus dem Jahr 1930 steht im WVV-Archiv. Für die Kühlung von Wurst, Käse und Milch sorgten Eisstangen, die durch die Öffnung in der Mitte eingeführt wurden. Foto: Roland Flade

    Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, machten sie die Wohnungsfrage zu einem ihrer wichtigsten Propagandainstrumente. 1934 entstand die städtische "Gemeinnützige Baugesellschaft für Kleinwohnungen", die später mit der Heuchelhofgesellschaft zur Stadtbau wurde. Die "Gemeinnützige" war eine GmbH, an der sich beispielsweise auch Würzburger Baufirmen beteiligten – also eine Einrichtung, die man heute "public private partnership" nennen würde. Die Stadtbau ist dagegen komplett im Besitz der Stadt.

    Die Hindenburgsiedlung, hier ungewöhnlicherweise mit Bindestrich geschrieben, auf einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1940. Später wurde die Siedlung in Gartenstadt Keesburg umbenannt.
    Die Hindenburgsiedlung, hier ungewöhnlicherweise mit Bindestrich geschrieben, auf einer Ansichtskarte aus dem Jahr 1940. Später wurde die Siedlung in Gartenstadt Keesburg umbenannt. Foto: Geschichtswerkstatt

    Die Stadt hatte noch vor Schaffung der "Gemeinnützigen" neue Wohnungen in der Zellerau als Erweiterung von bereits in der Weimarer Republik errichteten Wohnblöcken zwischen der Rotenhan-, Scharnhorst-und Eiseneckstraße gebaut. 1933 wurde diese Anlage ergänzt durch sechs Häuser in der Mainaustraße. Weitere Mietshäuser mit Zwei- bis Dreizimmerwohnungen zog die Stadt auch in der Robert-Koch-Straße in Grombühl hoch.

    Verwaltung griff zur preiswerten Schaffung einfachster Behausungen

    Die Wohnungsnot traf besonders Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen. Um hier schnell propagandistisch verwertbare Fortschritte zu erzielen, griff die Verwaltung zur preiswerten Schaffung einfachster Behausungen. So entstand 1935 die Barackensiedlung am Bauernpfad in Heidingsfeld mit je fünf einstöckigen Doppelhäusern samt kleinen Gärten in zwei Reihen, die für 20 Familien bestimmt waren.

    In der Zellerau kamen zwischen 1933 und 1935 72 preiswerte Quartiere für weitere "sozial schwierige Fälle" hinzu. Die sogenannte Laubengangkolonie setzte sich aus drei Baublöcken in der östlichen Wredestraße, die heute Dr.-Maria-Probst-Straße heißt, zusammen. Der Name rührt von den Laubengängen her, den außerhalb liegenden Hausgängen.

    Die "Siedlung für Minderbemittelte" bzw. "Faulenbergsiedlung" zwischen der heutigen Nürnberger Straße und der Eisenbahnlinie Würzburg-Nürnberg.
    Die "Siedlung für Minderbemittelte" bzw. "Faulenbergsiedlung" zwischen der heutigen Nürnberger Straße und der Eisenbahnlinie Würzburg-Nürnberg. Foto: Stadtarchiv

    Als "Siedlung für Minderbemittelte" bzw. "Faulenbergsiedlung" baute die Stadt zudem 1934 zwischen der heutigen Nürnberger Straße und der Eisenbahnlinie Würzburg-Nürnberg 16 kleine Häuser. An den Faulenberg wurden unter anderem Familien aus den Baracken auf dem Sanderrasen umgesiedelt, denn diese standen dem Hallenschwimmbad im Weg, das 1936 eröffnet wurde.

    Die ersten sechs Häuser der Lehmgrubensiedlung entstanden in Eigenleistung von Arbeitslosen

    Bekanntestes Siedlungsprojekt der Nationalsozialisten ist bis heute die Lehmgrubensiedlung in Heidingsfeld, wobei auch diese vorstädtische Kleinsiedlung, wie das Hallenbad, auf Pläne aus der Weimarer Republik zurückging. Die ersten sechs Doppelhäuser entstanden ab 1932 weitgehend in Eigenleistung von Arbeitslosen mit finanzieller Unterstützung von Bernhard Kupsch, dem Gründer der gleichnamigen Lebensmittelkette, weshalb ursprünglich von der Kupsch-Siedlung die Rede war.

    Der Lehmgrubenweg in der Lehmgrubensiedlung vor 1945.
    Der Lehmgrubenweg in der Lehmgrubensiedlung vor 1945. Foto: Stadtarchiv

    Die NS-Stadtverwaltung nahm das erfolgreich laufende Projekt in ihre eigenen Hände. Aus zunächst nur wenigen Doppelhäusern wurde bis 1935 an vier Straßenzügen ein kleines Dorf mit 124 einheitlichen Gebäuden und 689 Bewohnern, die sich zum Teil selbst versorgen sollten. Die Siedler erhielten beim Einzug deshalb einen Hahn und sechs Hühner, außerdem Obstbäume und Beerensträucher für den Garten, der zu jedem Haus gehörte.

    Auch die 1934 gegründete "Gemeinnützige Baugesellschaft für Kleinwohnungen" beteiligte sich am Wachstum der Lehmgrubensiedlung, wobei die Aufrüstung bereits in den ersten Jahren des Dritten Reiches dem Wohnungsbau enge Grenzen setzte. Im Bericht über das Geschäftsjahr 1935 heißt es: "Aus dem außerordentlichen bayerischen Wohnungsbauprogramm standen für Würzburg nur ganz geringe Mittel zur Verfügung. Die hiervon auf die gemeinnützige Baugesellschaft entfallenen Mittel reichten gerade aus, um 24 Wohnungen an der Mönchbergstraße und vier Siedlerhäuschen am Lehmgrubenweg zu bauen."

    Heutige Gartenstadt Keesburg war damals die Hindenburgsiedlung

    In der ab 1927 errichteten Hindenburgsiedlung, der heutigen Gartenstadt Keesburg, war die "Gemeinnützige" ebenfalls aktiv. Zu weiteren Projekten aus jener Zeit gehörten zwei große Wohnblöcke mit einmal drei und einmal zehn Häusern am Ludwigkai, dazu Gebäude an der Bauriedlstraße, im Bossiviertel in Grombühl und an der Hartmannstraße in der Zellerau. 1937 markierte einen Wendepunkt. In diesem Jahr waren die Bauvorhaben der Kommune weitgehend abgeschlossen, danach wurden Einrichtungen der Wehrmacht sowie Rüstungs- und Industrieanlagen mit Priorität gefördert.

    Mit Kriegsausbruch kam 1939 die zivile Bautätigkeit praktisch zum Erliegen. Im Mittelpunkt standen nun fast ausschließlich Bauten, die dem Militär dienten. Eine Ausnahme bildete lediglich die "Gemeinnützige", die noch eine erhebliche Anzahl von Wohnungen fertigstellen konnte und ihren Wohnungsbestand bis Ende 1940 auf 98 Häuser mit 456 Wohnungen erhöhte; sogar danach kamen noch einzelne Häuser hinzu.

    Der Artikel basiert auf dem kürzlich erschienenen Buch "Wohnen in Würzburg. Neunzig Jahre Stadtbau" und ist der zweite einer vierteiligen Serie. Wohnen in Würzburg wird in den Monaten vor dem 16. März 1945 immer schwieriger und danach für viele zum Alptraum.

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