Dass die Kirche immer mehr Mitglieder verliert, ist nichts Neues. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) gibt die Austrittszahlen traditionell im Frühsommer bekannt. Laut den jüngsten Zahlen waren 2023 in Bayern 106.663 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Im Bistum Würzburg waren es 11.588 Katholikinnen und Katholiken.
Welche Folgen hat das? Wie wirkt sich das auf die soziale Arbeit der Kirche im Bistum aus? Domkapitular Clemens Bieber, seit 15 Jahren Vorsitzender des Caritasverbandes für die Diözese Würzburg, spricht im Interview über das Verhältnis von Staat und Kirche und Kitas als kommunale Pflichtaufgaben. Und der 67-jährige ausgebildete Bankkaufmann und Priester erklärt, wie sich die Caritas in der Region künftig finanzieren will.
Frage: Wie wichtig ist die Caritas für die Kirche?
Clemens Bieber: Katholische Kirche und Caritas sind eins. Der soziale Dienst gehört fest zur Kirche. Kirche ist auch deshalb wichtig für die Menschen geworden, weil sie mit einer Botschaft kam: Sie will, dass das Leben gelingt. Dazu gehören nicht nur Gottesdienste und Glaubensverkündung, sondern auch die konkrete soziale Tat.
Zum Caritas-Kerngeschäft gehört der Betrieb von Kitas. Wie hoch ist der Anteil an katholischen Kindergärten in Unterfranken?
Bieber: In Unterfranken sind wir stark. Hier betreiben wir etwa zwei Drittel der Kitas. Das ist auch historisch bedingt: Die Schwesternkonvente haben damals die Kinderbetreuung in den Dörfern übernommen. Der älteste Caritas-Kindergarten bei uns in der Diözese ist fast 190 Jahre alt.

Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus. 2022 gab es den Rekord mit mehr als 16.000 Austritten im Bistum Würzburg. Dadurch sinken die Einnahmen aus der Kirchensteuer, mit der sie unter anderem den Betrieb von Kitas finanzieren. Wie wirkt sich das auf die Einrichtungen aus?
Bieber: Wir betreiben die Kitas gerne weiter um der Kinder der jungen Familien willen, aber wir sehen uns nicht mehr in der Lage, auf Dauer die Immobilien zu halten. Bei 503 Kindergärten in Unterfranken, die wir betreiben, können wir uns das nicht mehr leisten. Deshalb gehen wir jetzt dazu über, mit den Gemeinden zu verhandeln, sobald eine Sanierung oder gar ein Neubau fällig ist, und verkaufen die Immobilie. Da müssen wir uns entlasten und die Kommunen stärker in die Pflicht nehmen. Doch wir bieten an, dass wir den – ja oft schon jahrzehntelang bewährten – Betrieb weiterführen.

Viele Gemeinden in der Region belastet es finanziell, diese Kita-Immobilien zu kaufen.
Bieber: Alle kämpfen gerade mit Geld: der Bund, der Freistaat, die Kommunen – und genauso Kirchen und Wohlfahrtsverbände. Wir sind nun mal verwöhnt aus den wohlhabenden Zeiten, wo alle in volle Kassen gegriffen haben. Doch Bürgermeister müssen ihre kommunalen Pflichtaufgaben erfüllen. Dazu gehören auch Kitas.
Es geht ja nicht nur um vereinzelte Kitas. In Schonungen im Landkreis Schweinfurt zum Beispiel will das Bistum gleich sieben Kita-Gebäude auf einmal abgeben. Es geht wohl um einen siebenstelligen Geldbetrag.
Bieber: Natürlich verstehe ich, dass es schwierig ist, wenn ich als Bürgermeister noch nie einen Cent eingeplant hatte, um einen Kindergarten zu übernehmen. Aber wir als Kirche müssen uns in Zeiten der Veränderung auch auf das Wesentliche besinnen. Deswegen sind wir gerne dazu bereit, die Kommunen weiterhin zu entlasten und die Kitas weiterzubetreiben. Nur können wir die Immobilien nicht weiter instand halten.

Haben sich Staat und Kommunen zu lange auf die Kirche verlassen?
Bieber: Wenn niemand kommt und sagt, Leute, wir müssen das alles neu denken, dann läuft es halt immer so weiter, wie es bisher gelaufen ist. Da ist schon eine gewisse Selbstverständlichkeit mitgewachsen, die jetzt natürlich hinterfragt wird. Wir als Caritas müssen unser Aufgabenportfolio anschauen und uns überlegen, was vordringlich ist – und was vielleicht nicht ganz so wichtig.
Viele Leistungen, die sie erbringen, bezuschusst der Staat. Warum wirken sich dann die zunehmenden Kirchenaustritte so direkt auf die karitative Arbeit aus?
Bieber: Klar, der Staat gibt Zuschüsse zu vielen unserer Angebote, aber immer nur anteilig. Es gibt nur wenige Dienste, die die öffentliche Hand zu 100 Prozent refinanziert. In den meisten Fällen bringen wir Eigenmittel mit. Die Fachberatung unter anderem für Kitas, arbeitsrechtliche Beratung, Besoldung und so weiter, ist alles sogenannter Overhead, den wir zahlen. Die Armenfürsorge zum Beispiel finanzieren wir komplett aus der Kirchensteuer. Und wenn die Kirchensteuer zurückgeht, muss ich gucken, welche Dienste ich noch finanzieren kann.
"Wenn die Kirchensteuer zurückgeht, muss ich gucken, welche Dienste ich noch finanzieren kann."
Clemens Bieber, Vorsitzender des Caritasverbandes im Bistum Würzburg
Entsteht nun eine Versorgungslücke, wenn die zahlenden Kirchenmitglieder immer weiter zurückgehen?
Bieber: Diese Wellen gab es in der Kirche immer. Zwar sind wir momentan im Abwärtsschwung, aktuell können wir nicht mehr auf die Solidarität er Kirchenmitglieder bauen. Aber die Geschichte hat uns gelehrt, dass sich solche Zeiten auch wieder ändern können. In jedem Fall müssen wir aktiv werden und versuchen, Menschen zu überzeugen, unsere Dienste zu unterstützen.

Also durch Spenden?
Bieber: Ja. Eigentlich hat das bei uns keine Tradition, weil die Kirchensteuer jahrzehntelang eine gute Grundlage geboten hat. Dieses Fundraising gibt es eher in anderen Ländern. Aber wir müssen uns das zu eigen machen, um zusätzliche Einnahmen zu generieren. Wir hoffen, dass wir in der Zukunft immer mehr Mittel aus der Wirtschaft oder von Privatpersonen bekommen. Aber nicht nur, um den Laden zu erhalten, sondern weil wir die Nöte der Menschen sehen und ihnen helfen wollen.

Wie geht es jetzt weiter mit der Caritas?
Bieber: Wir spüren die demografische Entwicklung stark. Seit Jahrzehnten fehlt uns der Nachwuchs, den wir heute in den sozialen Berufen brauchen. Auch wenn wir sparen müssen, müssen wir gerade Kindern ein gutes personelles Angebot machen. Allen voran gut ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher.