Am Ende der Rede von Barbara Stamm applaudierten die rund 200 geladenen Gäste lange. Es war ein besonderer Moment an einem besonderen Ort: Im Würzburger Ratssaal begann vor 45 Jahren ihre politische Karriere. Jetzt hielt die ehemalige Landtagspräsidentin, stellvertretende Ministerpräsidentin, stellvertretende CSU-Vorsitzender und jüngste Ehrenbürgerin der Stadt hier eine bemerkenswerte Rede.
Die Verleihung der höchsten Auszeichnung der Stadt hatte zuvor Oberbürgermeister Christian Schuchardt begründet: Erstens habe die 74- Jährige jahrzehntelang Würzburg und die Region maßgeblich mitgestaltet. Zweitens sei sie eine vorbildliche Politikerin, für die Amt und Macht nie Selbstzweck waren.
OB Schuchardt: Barbara Stamm hat Würzburg voran gebracht
Vor Gästen aus Politik, Kirche und Gesellschaft, Weggefährten und der Familie Stamms führte Schuchardt aus, wie sich die einstige Stadträtin (1972 bis 1978) zu "einer der profiliertesten deutschen Sozialpolitikerinnen" entwickelte und was sie in Würzburg voran brachte: Vom Frauenhaus bis zur Erweiterung der Universität, von der Ganztagsschule am Heuchelhof bis zum Ausbau des Hauptbahnhofs.

Der OB ist beeindruckt vom politischen Geschick Stamms: wie sie ihren Einfluss nutzte, diplomatisch die Strippen zog, wenn es um Würzburg ging. Beeindruckt ist er auch vom Menschen Barbara Stamm. "Sie verkörpert das Ideal der bürgernahen Politikerin." Als "beliebteste Politikerin im Freistaat" habe sie in fast 40 Jahren Landtagstätigkeit "die Distanz zwischen Bürgern und Politik verringert."
Barbara Stamm reagiert souverän auf Zwischenfall beim Festakt
Wie recht Schuchardt mit seinen Worten hat, zeigte sich wenig später. Barbara Stamm war gerade ans Rednerpult getreten, als ein Mann nach vorne stürmte und rief, er brauche soziale Hilfe, man müsse ihm jetzt zuhören. Der Mann wollte nicht weichen, er war erst vergangenen Donnerstag am Marktplatz auf die Bühne zu dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck gesprungen.
Einige Politiker eskortierten den stadtbekannten Mann ins Foyer, um ihn anzuhören. Stamm begann von vorne. Ihr Manuskript legte sie jetzt zur Seite. "Ich glaube, diese Begegnung sollte sein", sagte sie. Sie sei eine Bereicherung. "Vielleicht rüttelt es uns hier alle ein bisschen wach, wenn wir erleben, dass es Menschen gibt, die sich verlassen und abgehängt fühlen."

Dann blickte die Spitzenpolitikerin zurück und gab dem Bild der Erfolgsfrau ein paar weiche Nuancen. Sie bedankte sich bei ihrer Familie, "die ich vor meiner Heirat nicht hatte", bei ihrem Mann, "für den es nicht leicht mit mir war" und bei ihren Kindern – im Saal waren ihre zwei Töchter und Enkelkinder, für die sie wenig Zeit hatte, "bei uns ist der Opa die Oma". Ausdrücklich bedankte sie sich auch bei Mitarbeitern und Politikern, über Parteigrenzen hinweg. Anwesend waren unter anderem der ehemalige Bundesminister Michael Glos, amtierende und ehemalige Landtags- und Bundestagsabgeordnete, Landräte und viele weitere Vertreter aus dem öffentlichen Leben. Barbara Stamm erinnerte die Kollegen an die andere Seite des Erfolges, die Niederlagen, die sie einstecken musste: "Es ist nie alles nie gut im Leben."
Nach ihrem Ausscheiden aus dem Landtag hat Barbara Stamm in einem Interview mit dieser Zeitung gestanden, dass ihr größter Lebenstraum unerfüllt geblieben ist: Sie wäre gerne Oberbürgermeisterin von Würzburg gewesen. Vielleicht tröstet sie es ein bisschen, dass sie jetzt Ehrenbürgerin in ihrer Heimatstadt ist.
Ehrenbürger Eleonore Landgräfin von Hessen-Rotenburg (Wohltäterin), Wilhelm Conrad Röntgen (Nobelpreisträger) und Hermann Kupsch (Unternehmer) sind drei von 38 Menschen, die in den vergangenen hundert Jahren in Würzburg Ehrenbürger wurden. Seit 1819 vergibt die Stadt diese höchste Auszeichnung. Zuletzt wurde so 2008 das Kunstsammler-Ehepaar Ruppert geehrt. Laut Satzung der Stadt können Oberbürgermeister, Bürgermeister und Stadtratsfraktionen Personen zur Ehrenbürgerschaft vorschlagen. Über die Vorschläge entscheidet der Stadtrat nichtöffentlich. Die Ehrenbürger sind bei festlichen Veranstaltungen der Stadt Ehrengäste.