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Würzburg: Würzburger Infektiologe drei Jahre nach dem Ausbruch: Haben wir die Corona-Pandemie überstanden, Herr Stich?

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Würzburger Infektiologe drei Jahre nach dem Ausbruch: Haben wir die Corona-Pandemie überstanden, Herr Stich?

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    Gemeinsame, kraftvolle Anstrengung gegen die Pandemie: Das wünscht sich Infektiologe und Tropenmediziner August Stich auch für den Kampf gegen den Klimawandel.
    Gemeinsame, kraftvolle Anstrengung gegen die Pandemie: Das wünscht sich Infektiologe und Tropenmediziner August Stich auch für den Kampf gegen den Klimawandel. Foto: Ulises Ruiz Diaz

    Es war auf den Tag vor drei Jahren: Am 23. Januar 2020 äußerte sich der Würzburger Infektiologe und Tropenmediziner Prof. August Stich, Chefarzt an der Missio-Klinik unter dem Dach des Klinikums Würzburg Mitte, erstmals in einem Interview dieser Redaktion zum "neuartigen Coronavirus". Der 62-jährige Mediziner warnte damals vor Panikmache, Corona-Fälle in Deutschland gab es noch nicht. Wie blickt er heute auf die Pandemie?

    Frage: Herr Stich, erinnern Sie sich an unser Gespräch vom 23. Januar 2020?

    August Stich: Ja, sehr gut sogar. Und ich weiß auch, was ich damals gedacht habe. Wir waren an der Schwelle einer neuen Entwicklung und haben gemerkt: Da kommt möglichweise etwas ganz Großes. Aber keiner von uns konnte absehen, was sich tatsächlich ereignen würde. Noch im Februar 2020 habe ich gesagt: Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir alle wie in Asien mit Maske rumlaufen. Wenige Wochen später wären wir froh gewesen, wenn wenigstens die Geschäfte noch offen gewesen wären.

    Sie haben damals vor Panikmache gewarnt. Hatten Sie das Virus unterschätzt?

    Stich: Das Virus als solches nicht. Dass es potenziell gefährlich sein konnte, war uns bewusst. Nur verlässliche Vorhersagen waren unmöglich. Was ich unterschätzt habe: Wie schwierig Risiko-Kommunikation ist und wieviel dabei schief gehen kann. Sie befragen 100 Experten und 95 sind einer Meinung – aber medial wird die fünfprozentige Minderheit gleichgesetzt. Diese Leute sitzen genauso in den Talkshows, und am Ende entsteht bei der Bevölkerung eine große Verwirrung und Verunsicherung bis hin zu teils gewalttätigen Gegenströmungen.

    Ist es das, was Sie mit Blick auf drei Jahre Pandemie am meisten überrascht hat?

    Stich: Ja, überrascht und enttäuscht. Ich dachte eigentlich, dass man mit Wissenschaft und gesundem Menschenverstand gut durch schwere Zeiten kommt. Die Psychologie, die Schwierigkeiten und die Gegenströmungen habe ich unterschätzt. Ich glaube, wir sind mittlerweile recht gut im retrospektiven Erklären, was sich ereignet hat. Wie sich das Virus verändert hat. Wie die virologischen und immunologischen Vorgänge waren. Aber keiner von uns ist in der Lage, auch nur für die nächsten Monate eine sichere Vorhersage zu treffen.

    Aber hat Sie auch die Pandemie als solche überrascht?

    Stich: Eigentlich nicht. Ich hatte selbst in Vorlesungen immer gesagt: Wir wissen, dass eine neue Pandemie kommen wird – nur nicht wann. 

    Bewahrheitet hat sich Ihre Annahme, dass neue Varianten ansteckender, aber weniger gefährlich werden...

    Stich: Das ist Evolution. Ein Krankheitserreger hat kein Interesse daran, uns umzubringen, im Gegenteil: Möglichst unbeschadet mit uns zusammenzuleben, um dann einen besseren Nährboden für die Übertragung zu haben.

    Rechnen Sie mit weiteren Varianten von SARS-CoV2?

    Stich: Sicher. Hinter Omikron verbirgt sich inzwischen eine ganze Familie unterschiedlicher Varianten, die mehr oder weniger durch Antikörper vorheriger Infektionen oder Impfungen abgedeckt werden. Es kommen sicher neue Varianten. Aber wahrscheinlich wird Corona sich einreihen in die lange Liste anderer Atemwegsinfektionen. Und irgendwann wird etwas Neues passieren. Eine Lehre aus der Pandemie war, dass sich Infektionskrankheiten immer neu entwickeln.

    Denkbar, dass doch nochmal eine gefährlichere Variante um die Ecke kommt?

    Stich: Das weiß niemand, grundsätzlich ist das möglich. Aber die Wahrscheinlichkeit nimmt ab, je mehr wir über Impfung und Genesung einen Schutz in der Population aufbauen. Dadurch wird das Virus in seiner Wirkung abgeschwächt. Gleichzeitig wird es infektiöser, um neue Schwachstellen zu suchen.

    Ist die Pandemie jetzt vorbei?

    Stich: Sie geht gerade über in eine Endemie. Das heißt, ein Krankheitserreger nistet sich ein und bleibt bei uns – und zieht nicht mehr wie eine große Welle um die Welt. Das ist vielerorts geschehen. Und jetzt finden überall auf dem Globus diese Einnistungsprozesse statt. Insgesamt wird sich das Infektionsgeschehen auf ein geringeres Maß zurückziehen. Das erleben wir gerade.

    Droht durch die massenhafte Verbreitung in China nochmal neue Gefahr für uns?

    Stich: Was in China passiert, ist das Ergebnis einer fehlgeleiteten Gesundheitspolitik. Bei uns haben wir zuerst die älteren und besonders vulnerablen Menschen durch die Impfung geschützt. China dagegen priorisierte die werktätige Bevölkerung – in Verbindung mit einer Art kollektivem Lockdown. Der ließ sich nun nicht mehr aufrechterhalten, und mit einer Kehrtwende um 180 Grad ist Omikron explodiert. Das ist zwar die abgeschwächte Variante, aber sie traf auf eine millionenstarke Population von vulnerablen Menschen. Ich halte es aber nicht für sehr wahrscheinlich und naheliegend, dass daraus nochmal eine gefährlichere Variante entsteht.

    Prof. August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin an der Missio-Klinik, mit einem Mikroskop in seinem Büro. Das "Missio" ist seit 2017 Teil des Klinikums Würzburg Mitte.
    Prof. August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin an der Missio-Klinik, mit einem Mikroskop in seinem Büro. Das "Missio" ist seit 2017 Teil des Klinikums Würzburg Mitte. Foto: Ulises Ruiz Diaz

    Wenn wir auf bald drei Jahre Pandemie-Bekämpfung in Deutschland schauen: Haben wir's eher gut oder schlecht gemacht?

    Stich: Ich finde, eher gut. Wir sollten auch in der Retrospektive nicht zu hart mit uns ins Gericht gehen. Jede Entscheidung musste mit dem aktuellen Wissensstand getroffen werden. Vieles wussten wir nicht – ob zum Beispiel Kinder Pandemietreiber sind. Aus heutiger Sicht lässt sich vieles leichter beurteilen. Aber die Kakophonie der vielen, sich widersprechenden Experten war gewiss nicht hilfreich. Sie hat auch zur Polarisierung in der Bevölkerung beigetragen.

    Wie wahrscheinlich ist es, dass uns eine nächste Pandemie heimsucht?

    Stich: Das wird es immer wieder geben. Es ist Teil der menschlichen Geschichte und wird sich fortsetzen. Wir werden neue Pandemien erleben – und mit einer hohen Wahrscheinlichkeit kommen diese Erreger wieder aus dem Tierreich. Also Zoonosen, die an den Menschen nicht gut angepasst sind, deshalb machen sie so krank. Sie müssen sich erst an den Menschen als neuen Wirt gewöhnen. So wie bei Corona.

    Verstärkt unsere globalisierte Lebensweise diese Gefahr?

    Stich: Wir hatten auch in der Vergangenheit furchtbare Epidemien und Pandemien, zum Beispiel die Pest im Mittelalter, ebenfalls eine Zoonose. Also das Phänomen ist nicht neu. Der Mensch dringt allerdings in immer neue Lebensbereiche ein, die bisher recht verschlossen waren. Indem er zum Beispiel den Regenwald zerstört und neu besiedelt. Wir haben eine Zunahme der Weltbevölkerung und eine wachsende Migration von Menschen, Tieren und Waren. Das alles zusammengenommen lässt den Gefahrenpegel steigen.

    Wie können wir uns jetzt und künftig gegen Pandemien wappnen?

    Stich: Wir müssen unser Gesundheitssystem besser darauf vorbereiten, der öffentliche Gesundheitsdienst wurde über Jahrzehnte sträflich vernachlässigt, und unter der Ökonomisierung des Gesundheitswesens hat die Prävention gelitten. Der Grundfehler war, Krankenhäuser wie gewinnbringende Unternehmen führen zu wollen.

    Und welche Lehren wären für unsere Lebensweise zu ziehen?

    Stich: Die ganz große Herausforderung, die nicht so direkt spürbar ist wie die Pandemie durch einen neuen Krankheitserreger, sind die Folgen des Klimawandels und des Verlustes von Biodiversität. Wir stehen nah an den eigentlichen Kipp-Punkten. Sind sie überschritten, ist die Dynamik nicht mehr aufzuhalten. Hier hätte uns die Corona-Pandemie eigentlich einiges lehren können – nämlich, dass wir auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis gemeinsam und entschlossen handeln müssen. Tun wir dies heute tatsächlich?

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