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Würzburg: Würzburger Jura-Professorin zum Wahlrecht: Ampel-Vorschlag für kleineren Bundestag verstößt gegen Grundgesetz

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Würzburger Jura-Professorin zum Wahlrecht: Ampel-Vorschlag für kleineren Bundestag verstößt gegen Grundgesetz

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    Der Deutsche Bundestag ist aktuell groß wie nie: 736 Abgeordnete umfasst das Parlament. Viel zu viele, sagen alle Parteien. Jetzt wird über eine Wahlrechtsreform debattiert.
    Der Deutsche Bundestag ist aktuell groß wie nie: 736 Abgeordnete umfasst das Parlament. Viel zu viele, sagen alle Parteien. Jetzt wird über eine Wahlrechtsreform debattiert. Foto: Wolfgang Kumm, dpa

    Deutschland leistet sich mit aktuell 736 Abgeordneten eines der größten Parlamente der Welt. Dass der Bundestag nach der nächsten Wahl kleiner werden muss, ist unter den Parteien unstrittig. Wie das Wahlrecht geändert werden muss, um dauerhaft die gesetzlich festgelegte Regelgröße von 598 Abgeordneten nicht zu überschreiten, darüber gibt es aktuell mächtig Streit.

    Der Vorschlag der Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP, laut dem die sogenannten Überhangmandate einer Partei nicht mehr automatisch zu zusätzlichen Sitzen - und damit verbunden auch zu Ausgleichsmandaten - führen sollen, sorgt für Widerspruch vor allem bei der CDU/CSU-Opposition, aber auch unter Verfassungsjuristen.

    Es könnte passieren, dass ein Wahlkreis gar nicht im Bundestag vertreten ist

    Überhangmandate entstehen dann, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach dem Zweitstimmen-Ergebnis zustehen. Aktuelles Beispiel ist die CSU in Bayern: Laut dem Zweitstimmen-Ergebnis von 2021 käme die CSU lediglich auf 34 Sitze. Nachdem sich ihre Erststimmen-Bewerberinnen und -bewerber aber in 45 Wahlkreisen durchgesetzt haben, stellen die Christsozialen 45 Abgeordnete. Für die elf "Überhänge" erhalten die anderen Parteien Ausgleichssitze.

    Geht es nach den Parteien der Ampel-Koalition, sollen Erst- und Zweitstimme künftig in Wahlkreis- und Hauptstimme unbenannt werden (Archivfoto).
    Geht es nach den Parteien der Ampel-Koalition, sollen Erst- und Zweitstimme künftig in Wahlkreis- und Hauptstimme unbenannt werden (Archivfoto). Foto: Regina Vossenkaul

    Um das künftig zu vermeiden, plädiert die Ampel dafür, Überhänge mit dem Zweitstimmen-Ergebnis, das künftig Hauptstimmen-Ergebnis heißen soll, zu verrechnen. Und zwar sollen die Wahlkreis-Gewinner mit den vergleichsweise schwächsten Erststimmen-Ergebnissen dann nicht mehr in den Bundestag einziehen können. Das heißt, es könnte passieren, dass ein Wahlkreis, in dem es bei der Abstimmung knapp zugeht, künftig gar nicht mehr im Bundestag vertreten ist.

    "Verzerrungen" durch Überhangmandate?

    Für Sebastian Hartmann, den SPD-Obmann in der Wahlrechtskommission, stellt das kein Problem dar. Entscheidend für die Mehrheitsbildung im Parlament sei nun mal die Zweitstimme. Es sei für Wählerinnen und Wähler nicht nachvollziehbar, wenn sich durch Überhangmandate "Verzerrungen" ergeben. Wolle man aber der mit jeder Wahl wachsenden "automatischen Selbstvergrößerung" des Bundestags Einhalt gebieten, müssten eben Wahlkreis-Sieger, "deren Erfolg nicht durch das Zweistimmen-Ergebnis der Partei gedeckt ist", außen vor bleiben.

    Stefanie Schmahl, Professorin für deutsches und ausländisches öffentliches Recht, Völkerrecht und Europarecht an der Universität Würzburg, widerspricht. Wenn eine Kandidatin oder ein Kandidat einen Wahlkreis mit Mehrheit gewinnt, müsse sie oder er auch Abgeordneter werden. Alles andere konterkariere das die Demokratie konstitutive "Mehrheitsprinzip". 

    Prof. Stefanie Schmahl von der Uni Würzburg ist Mitglied der Wahlrechtskommission des Bundestags
    Prof. Stefanie Schmahl von der Uni Würzburg ist Mitglied der Wahlrechtskommission des Bundestags Foto: Linda Blaschke

    Schmahl, die ebenfalls Mitglied der Wahlrechtskommission ist, sieht hier einen Verstoß gegen den im Grundgesetz festgeschriebenen Grundsatz der "Wahlgleichheit", weil die "Erfolgschance" der Erststimme nicht mehr überall gleich sei. Eine Klage in Karlsruhe müsste die Frage gegebenenfalls klären. 

    CSU-Mann Alexander Hoffmann fürchtet Politikverdrossenheit

    Mitglied der Wahlrechtskommission ist auch Alexander Hoffmann. Der CSU-Abgeordnete aus Retzbach (Lkr. Main-Spessart) hat nicht nur juristische Bedenken gegen den Ampel-Vorschlag, er sieht zudem die Gefahr, dass die Politikverdrossenheit vielerorts noch zunehmen werde.

    Bislang sei das Interesse an politischer Debatte dort besonders stark, wo zwischen den Bewerberinnen und Bewerbern der Parteien ein spannendes Rennen zu erwarten ist. Dass dann ausgerechnet der Sieger einer solchen Auseinandersetzung mit mutmaßlich knappem Ergebnis nicht im Bundestag vertreten ist, weil es das Zweitstimmen-Ergebnis seiner Partei nicht hergibt, sei nicht gut für die Demokratie. Hoffmann: "Das sorgt für Frust."

    Der CSU-Politiker betont zudem, ein direkt gewählter Abgeordneter sei zwar nicht der bessere Volksvertreter als ein über die Liste gewählter. Gleichwohl aber könne er "deutlich unabhängiger" von Parteivorgaben die Interessen seines Wahlkreises wahrnehmen als der Kollege oder die Kollegin, der oder die von einem guten Listenplatz, vergeben durch die Parteigremien, abhängig ist. 

    Prof. Stefanie Schmahl schlägt ein "echtes Zwei-Stimmen-Wahlrecht" vor

    Was aber ist die Alternative, sofern man es mit einer Verkleinerung des Bundestags zurück zur Regelgröße ernst meint? Jura-Professorin Schmahl hat der Wahlrechtskommission gemeinsam mit zwei Kollegen ein "echtes Zwei-Stimmen-Wahlrecht" vorgeschlagen. Demnach wird ein Teil der Bundestagsabgeordneten in den Wahlkreisen und ein anderer Teil per Verhältniswahl nach den Landeslisten gewählt. Eine gegenseitige Verrechnung oder Anrechnung von Wahlkreis- oder Listenstimmen gibt es nicht. 

    Bedenken kleinerer Parteien, sie würden benachteiligt, könnte man begegnen, in dem man die Balance zwischen den Sitzanteilen in Richtung Verhältniswahl verschiebt, eben nur 280, 250 oder noch weniger Wahlkreise einrichtet. 

    Während CSU-Mann Hoffmann viele Sympathien für ein solches "Graben-Wahlrecht" hegt, lehnt es SPD-Obmann Hartmann rundweg ab. Würde man die Sitzverteilung nämlich gemäß einer solchen Regelung umrechnen, hätten CDU und CSU nach den Wahlen 2009, 2013 und 2017 immer die absolute Mehrheit gehabt. Hartmann: "Der Wille der Wählerinnen und Wähler war das nicht." 

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