Der Vorfall an der Würzburger Julius-Maximilians-Universität (JMU) schlägt deutschlandweit hohe Wellen: Überregionale Medien stürzen sich auf den Eklat in einer Vorlesung der Politikwissenschaft, in den sozialen Netzwerken wird intensiv – bisweilen mit Schaum vor dem Mund – diskutiert.
Türkischstämmige Studentin wollte Kopftuch nicht ablegen
Die 19-Jährige beharrte jedoch auf ihrem Kopftuch und argumentierte mit der gesetzlich verankerten Religionsfreiheit. Es kam zu Zwischenrufen und Tumulten, zahlreiche Studierende solidarisierten sich mit der türkischstämmigen Kommilitonin und verließen den Saal. Erst nach einer zehnminütigen Unterbrechung nahm die Professorin die Vorlesung auf.
Im Internet und durch direkte Reaktionen sieht sich Müller-Brandeck-Bocquet, seit 20 Jahren Politik-Professorin an der Uni Würzburg und erst kürzlich mit dem Jean-Monnet-Lehrstuhl der EU-Kommission ausgezeichnet, einem regelrechten Shitstorm ausgesetzt. Die Vorwürfe im Kern: Sie habe mit ihrem Insistieren eine junge Muslima in einem voll besetzten Hörsaal diskriminiert. Ihr Verhalten sei intolerant und respektlos.
Kontroverse Diskussionen zu dem Fall in sozialen Netzwerken
Es gibt aber auch Applaus: Vor allem islamkritische Stimmen verteidigen die Würzburger Wissenschaftlerin nun für ihre Haltung. Manche Online-Kommentatoren tun dies auf sehr herablassende Weise gegenüber der Studentin oder dem Islam, teils mit Beleidigungen.
Müller-Brandeck-Bocquet selbst hätte eine derartige Welle der Empörung und der Aufregung nicht erwartet. Nachdem die Universitätsleitung in Abstimmung mit der Professorin am Donnerstag eine recht allgemeine Erklärung zu dem Vorfall herausgegeben hatte, präzisierte sie am Freitag auf Anfrage gegenüber der Redaktion ihre Motivation.
Professorin: „Habe Studierende nicht zwingen wollen“
Sie bitte generell die Teilnehmer ihrer Vorlesungen, aus Respekt gegenüber der Wissenschaft und dem Lehrbetrieb ihre Kopfbedeckungen abzunehmen – und denke dabei zuvorderst an Mützen und Base-Caps.
Als die 19-Jährige Muslima als Einzige im Hörsaal ihr Kopftuch nicht abnahm und der Bitte widersprach, „habe ich meine Meinung zu diesem Thema ausgedrückt. Ich habe sie nicht dazu gezwungen oder gar dazu, die Vorlesung zu verlassen.“
Ein Streit - zwei Bewertungen:
- Einer unserer Redakteure hält das Kopftuch an Unis für kein Problem.
- Doch eine andere Redakteurin glaubt, dass das Kopftuch ein hochexplosives Symbol ist.
Strikte Trennung von Religion und Wissenschaft
Die Auffassung der Politikwissenschaftlerin in der Sache: Der Hörsaal sei ein wissenschaftlicher und säkularer Raum, der nicht für Religion genutzt werden sollte. Es gehe nicht um die Frage der Religionsfreiheit, sondern um eine dort gebotene Religionslosigkeit. Müller-Brandeck-Bocquet hat das Gefühl, dass ein Teil der Studierenden sie „missverstehen wollte“.
Die allgemeine Rechtslage ist ihr bekannt: „Natürlich weiß ich, dass ich niemanden dazu zwingen kann.“ Aber als altgediente Professorin müsse sie ihre Position vertreten dürfen. Und danach gehöre Religion nicht in einen Raum, in dem Politikwissenschaft gelehrt wird. Einen Unterschied zwischen Käppis und einem religiös motivierten Kopftuch erkennt die Professorin zwar an, der Respekt vor dem Wissenschaftsbetrieb gelte aber in gleicher Weise.
Scharfe Kritik von der Studierendenvertretung
Nach der Juso-Hochschulgruppe und der Grünen Jugend hat auch die Studierendenvertretung der Universität ihr Unverständnis über das Vorgehen von Müller-Brandeck-Bocquet geäußert. Lukas Miaskiwskyi, Vorsitzender des Sprecher- und Sprecherinnenrates bezeichnet es in einer Erklärung als „unangemessen“.
Die versuchte Bloßstellung einer Studentin vor 300 Kommilitonen zeuge von einer fragwürdigen Lehrmethode und die beharrliche Anfrage, das Kopftuch abzulegen, von einem mangelndem Verständnis von Weltreligionen „und deren freie Ausübung als Grund- und Menschenrecht.“
Sprecherrat der Uni: „Grenze eindeutig überschritten“
Lucie Knorr, Mitglied im Sprecherrat, hat die Vorlesung selbst miterlebt und kritisiert die Professorin: „Durch ihr Verhalten hat sie eindeutig eine Grenze überschritten.“
Unter Beschuss steht die Professorin auch durch die organisierten Politik-Studierenden. Die „Fachschaftsinitiative Political and Social Studies“ sieht die betroffene Kommilitonin an den Pranger gestellt. Sie sei persönlich aufgefordert worden, das Kopftuch abzulegen. Dabei seien Studierende einer Universität im Gegensatz zu Staatsbediensteten nicht an Neutralitätsgebote gebunden.
Mit einer am Donnerstagabend veröffentlichten Stellungnahme wollte die Fachschaft nach eigenen Aussagen ein Zeichen der Solidarität und „gegen den Machtmissbrauch einer Professorin“ setzen. Zuvor war ein Gespräch zwischen Fachschaftsvertretung, Professorin, Studentin und Fakultätsleitung weitgehend ergebnislos verlaufen.
Professorin hat sich am Freitag persönlich entschuldigt
Von der Fachschaftsvertretung – wie von anderen Seiten – wurde Müller-Brandeck-Bocquet zu einer Entschuldigung gegenüber der Studentin aufgefordert. Nach Main-Post-Informationen ist diese am Freitag auch erfolgt – gegenüber der 19-Jährigen und der Fachschaft. Die Dozentin bedauert, persönlich geworden zu sein, spricht aber auch von Missverständnissen. Sie wolle die Entschuldigung auch in der nächsten Vorlesung vortragen.
Zu Wort gemeldet hat sich am Freitagabend auch das Würzburger Bündnis für Zivilcourage. Deren Sprecherrat begrüßt in einer Mitteilung die Solidaritätsbekundungen von Studierenden. Es handele sich um einen klaren Fall von Diskriminierung. Das Bündnis sieht zwar die Berichterstattungen positiv, um "einen solchen Vorgang öffentlich zu machen." Der Sprecherrat kritisiert in dem Zusammenhang allerdings Online-Votings: Sie würden die Verletzung von Grundrechten relativieren.
Es gibt aber auch zustimmende Reaktionen: So verteidigt Simon Zschau als Sprecher der evangelischen Hochschulgemeinde (ESG) das Vorgehen der Professorin. Zwar seien Religionsfreiheit und Grundgesetz zu respektieren. Trotzdem "sollten Kopfbedeckungen aus Respekt vor dem Lehrbetrieb in der Uni abgelegt werden."