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Würzburg: Würzburger Messerattacke: Sind Geflüchtete anfälliger für psychische Störungen?

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Würzburger Messerattacke: Sind Geflüchtete anfälliger für psychische Störungen?

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    Nahm kürzlich auch an einer Podiumsrunde zu seelischen Notlagen bei Geflüchteten in Würzburg teil: José-Marie Koussemou, seit August Chefarzt der Psychiatrie am Klinikum Heidenheim.
    Nahm kürzlich auch an einer Podiumsrunde zu seelischen Notlagen bei Geflüchteten in Würzburg teil: José-Marie Koussemou, seit August Chefarzt der Psychiatrie am Klinikum Heidenheim. Foto: Thomas Obermeier

    Der tödliche Messerangriff am 25. Juni in Würzburg durch einen somalischen Asylbewerber und dessen mehrfache Behandlung in psychiatrischen Kliniken haben die Frage aufgeworfen: Sind Geflüchtete psychisch besonders anfällig oder angeschlagen? Und wie ist damit umzugehen? Der aus dem westafrikanischen Benin stammende José-Marie Koussemou (49), seit August Chefarzt der Psychiatrie am Klinikum Heidenheim, forscht dazu im Rahmen seiner Promotion. Seit Jahren beschäftigt er sich mit Fragen der Migrationspsychiatrie. Koussemou hat in Würzburg von 1997 bis 2003 Medizin studiert und war in dieser Zeit stellvertretender Vorsitzender des städtischen Ausländerbeirates.

    Frage: Erkennen Sie bestimmte Muster unter psychiatrisch behandelten Geflüchteten?

    José-Marie Koussemou: Nein, außer Sprachproblemen. Wer uns Schwierigkeiten macht, das sind Patientinnen und Patienten mit einer Psychose und zusätzlich einer Drogenabhängigkeit. Und dieses Krankheitsbild gibt es genauso bei jungen deutschen Betroffenen ohne Migrationshintergrund.

    Wie typisch ist vor diesem Hintergrund der Fall Würzburg?

    Koussemou: Ich denke, man sollte ihn nicht zu sehr am Thema Migration festmachen. Hier war, soweit ich es verfolgt habe, jemand psychotisch und gleichzeitig drogenintoxikiert. Patientinnen und Patienten mit dieser Doppeldiagnose sind eine Herausforderung für die Psychiatrie, was aggressive Verhaltensweisen angeht, und dies unabhängig von ihrer Herkunft. Was die Bevölkerung oft nicht versteht: Wenn ein Patient in der Klinik ausgenüchtert ist und er gehen will, muss man ihn gehen lassen – sofern nicht eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegt. Die reine Angst davor reicht für eine zwangsweise Behandlung nicht aus. Das ist die aktuell gültige Rechtslage.

    So geschehen in Würzburg. Müsste hier am Gesetz etwas verändert werden? Brauchen Kliniken mehr Zugriff?

    Koussemou: Auch wenn Sie den Patienten für eine Zeit in der Klinik behandeln – irgendwann müssen Sie ihn entlassen. Bei Patientinnen und Patienten mit einer Drogenabhängigkeit hängt der dauerhafte Erfolg einer Entzugsbehandlung maßgeblich von der Motivation des Betroffenen ab. Wir selbst versuchen aus der Klinik heraus, die Menschen in ihrem Umfeld aufzusuchen, zu begleiten und zu motivieren, in Behandlung zu gehen oder zu bleiben. Wir nennen das Home Treatment.

    Oft haben diese Patientinnen und Patienten aber nicht nur gesundheitliche Probleme …

    Koussemou: Deshalb organisieren wir regelmäßige Treffen mit dem Ordnungsamt, der Polizei, dem Gesundheitsamt und der Betreuungsbehörde. Da besprechen wir dann, wie wir mit auftretenden Schwierigkeiten bei der Versorgung von Menschen mit selbst- und fremdgefährdenden Verhaltensweisen umgehen können. Es gibt in Baden-Württemberg auch psychiatrische Netzwerke, um solche Menschen gezielt aufzusuchen.

    Wenn Sie auf Geflüchtete in der Psychiatrie schauen: Belasten diese Menschen vor allem Erfahrungen aus ihrem Heimatland und von der Flucht oder ihre Lebensumstände in Deutschland?

    Koussemou: Mir fällt spontan keine Studie dazu ein. Dazu müsste man die psychische Situation der Menschen kennen, bevor sie ihre Heimat verlassen haben. Ganz sicher spielt der Migrationsweg eine Rolle - vor allem, wenn man an traumatische Erlebnisse denkt. Außerdem wissen wir heute, dass diese traumatischen Erlebnisse nicht nur zu klassischen posttraumatischen Belastungsstörungen, sondern auch zu Psychosen führen können. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Menschen zu Drogen greifen, wenn sie keine Arbeit haben, schlecht untergebracht sind oder sich entsprechende Peergroups von Leuten in ähnlicher Situation bilden.

    José-Marie Koussemou hat in Würzburg Medizin studiert und war stellvertretender Vorsitzender des städtischen Ausländerbeirates.
    José-Marie Koussemou hat in Würzburg Medizin studiert und war stellvertretender Vorsitzender des städtischen Ausländerbeirates. Foto: Günther Berger

    Was leiten Sie daraus ab?

    Koussemou: Diese Menschen brauchen unbedingt eine Beschäftigungsmöglichkeit von Anfang an, das muss erlaubt werden – wie in anderen Ländern, zum Beispiel in Dänemark. Wenn man arbeitet, bekommt man Anerkennung. Aber um auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu haben, muss man die Sprache sprechen. Daher sollten Sprachkurse gefördert werden.

    Kann die Wohnsituation in den Gemeinschaftsunterkünften psychisch belasten?

    Koussemou: Wenn Sie gezwungen werden, auf engem Raum mit Menschen zusammenzuwohnen, die Sie nicht kennen und die andere Sitten und Religionen haben – das kann natürlich schwierig sein. Wenn jemand schon psychisch krank ist, sollte überlegt werden, ob die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft nicht zur Verschlechterung der psychischen Erkrankung führt. Meine Erfahrung ist, dass der behandelnde Psychiater hier in der Regel eine Lösung mit der zuständigen Behörde finden kann.

    Und eine mögliche Traumatisierung durch Bürgerkrieg oder Fluchterlebnisse ist nachrangig?

    Koussemou: Nein, die gibt es natürlich auch. Man darf das nur nicht auf alle Flüchtlinge übertragen und auch nicht für einzelne Herkunftsländer pauschalisieren. Wer durch die Sahara und über das Mittelmeer nach Europa gelangt, kann dabei Schreckliches erleben und traumatische Erfahrungen mitbringen. Das betrifft aber nach meiner Beobachtung nicht die Mehrheit unter den Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Außerdem ist nicht jeder, der einen Bürgerkrieg erlebt hat, traumatisiert – da spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Man muss den Einzelfall betrachten und sollte die kulturellen Einflüsse nicht überinterpretieren.

    Beim Täter von Würzburg heißt es, er hätte seit seiner Ankunft besser betreut werden müssen.

    Koussemou: Diese bessere Betreuung wird seit Jahren gefordert. Dazu brauchen Sie aber Dolmetscher und Psychologen, die mit Asylbewerbern arbeiten wollen, auf Traumatherapie spezialisiert sind und Kenntnisse über transkulturelle Psychiatrie besitzen. Hier fehlt es an Geld, fachlichen Ressourcen und der entsprechenden Vernetzung.

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