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Würzburg: Würzburger Psychiaterin zu fünf Jahren Pandemie: Hat Corona uns seelisch kaputt gemacht, Prof. Grit Hein?

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Würzburger Psychiaterin zu fünf Jahren Pandemie: Hat Corona uns seelisch kaputt gemacht, Prof. Grit Hein?

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    Die Pandemie "war ein gesamtgesellschaftliches Trauma, von dem man heute Abstand nehmen will", sagt Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Uniklinik Würzburg.
    Die Pandemie "war ein gesamtgesellschaftliches Trauma, von dem man heute Abstand nehmen will", sagt Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften an der Uniklinik Würzburg. Foto: Patty Varasano

    Kontaktbeschränkungen, Ausgangssperren und die Angst vor dem neuartigen Virus: Die Corona-Zeit war für viele Menschen eine Ausnahmesituation, vor allem psychisch. Was davon ist fünf Jahre später noch geblieben? Grit Hein, Professorin für Translationale Soziale Neurowissenschaften am Zentrum für Psychische Gesundheit an der Uniklinik Würzburg, forscht zu sozialen Motiven und Interaktionen. Im Rückblick auf die Pandemie und die Folgen spricht sie über falsches Schwarz-Weiß-Denken, das Prinzip "Abhaken" - und welche positiven Effekte Corona hatte.

    Frage: Frau Prof. Hein, hat Corona uns psychisch kaputt gemacht?

    Prof. Grit Hein: So weit würde ich nicht gehen. Die Pandemie war eine Extremsituation und die damit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen waren für die psychische Gesundheit nicht förderlich. Auf der anderen Seite haben wir Dinge gelernt, die unseren Alltag jetzt positiv beeinflussen. Schwarz-Weiß-Denken funktioniert hier nicht. Außerdem muss man unterscheiden: Einerseits war da das Virus an sich, das Ängste ausgelöst hat. Das andere waren die Corona-Maßnahmen wie der Lockdown. Das sind unterschiedliche Dinge, die sich verschieden auf die Psyche auswirken können.

    Wie genau? Was wirkt von Corona bis heute nach?

    Hein: Blickt man auf das Virus direkt, geht es vor allem um Long- und Post-Covid. Die andere Seite sind die psychischen Folgen der Maßnahmen: Es wird zum Beispiel immer klarer, dass die Schulschließungen gravierende Auswirkungen hatten und haben. Bei Kindern sind Wissenslücken entstanden, die kaum aufzuholen sind. Defizite in der Schule wiederum belasten die Familien und erhöhen die Wahrscheinlichkeit psychischer Erkrankungen. Mit diesen Problemen der jungen Generation ist die gesamte Gesellschaft konfrontiert. Bei Erwachsenen sind wir immer davon ausgegangen, dass vulnerable Personengruppen – also Menschen, die bereits psychisch belastet waren – unter der Pandemie sehr leiden und sich psychische Probleme verstärken.

    War das nicht so?

    Hein: Doch, dazu gibt es viele Befunde. Aber interessanterweise zeigen sich auch andere Effekte: Manche Personen, die vor der Pandemie mit psychischen Herausforderungen kämpfen mussten, sind sogar besser durch die Corona-Zeit gekommen als unbelastete Menschen. Die Daten legen nahe, dass sie sich schon vorher entsprechende Strategien erarbeiten mussten und diese in der psychischen Extremsituationen Pandemie nutzen konnten.

    Was weiß man noch darüber, warum manche Menschen mit der Pandemie besser klarkamen als andere?

    Hein: Wir haben gesehen, dass Menschen mit einem stabilen sozialen Umfeld, die familiär eingebunden waren und die Krise nicht allein bewältigen mussten, besser durch die Pandemie gekommen sind. Der direkte soziale Kontakt ist grundlegend wichtig, um schwierige Situationen zu überstehen.

    "Bei Kindern sind Wissenslücken entstanden, die kaum aufzuholen sind."

    Prof. Grit Hein über die Folgen des Lockdowns

    Hat Corona denn unseren Umgang miteinander, eben den sozialen Kontakt, nachhaltig verändert?

    Hein: Auch da muss man verstärkt auf die junge Generation schauen. Die Lockdowns haben gerade bei jungen Menschen virtuelle soziale Kontakte stark gefördert, das war notwendig, etwa um den Schulalltag zu meistern. Bei sozial ängstlichen Personen besteht die Gefahr, dass sie fast komplett in diese virtuelle Welt abtauchen.

    "Unsere Psyche ist nicht darauf angelegt, in einem Trauma zu verharren", sagt die Würzburger Psychiaterin Grit Hein.
    "Unsere Psyche ist nicht darauf angelegt, in einem Trauma zu verharren", sagt die Würzburger Psychiaterin Grit Hein. Foto: Patty Varasano

    Auch die Arbeitswelt ist durch Corona digitaler geworden …

    Hein: Das ist richtig und das lässt sich von zwei Seiten betrachten. Digitale Konferenzen und Homeoffice bieten Vorteile, beispielsweise wird Pendelverkehr verringert und wir gewinnen zeitliche Flexibilität. Das kann Familien entlasten und Stress reduzieren. Umgekehrt bedeutet es, dass wir mit weniger sozialen Kontakten arbeiten. Wir wissen mittlerweile, dass ausschließlich isoliertes Arbeiten im Homeoffice oft nicht effektiv ist, eine direkte Rückkopplung mit Kolleginnen, Kollegen oder Vorgesetzten ist wichtig. Bei der Generation, die direkt mit den Corona-Maßnahmen aufgewachsen ist, beobachten wir zudem eine erhöhte Sensitivität für körperlichen Abstand und Infektionsschutz.

    Ist generell die Angst vor Erkrankungen und Ansteckungen gestiegen?

    Hein: Ich würde sagen ja. Viele überlegen heute, ob sie in der Erkältungszeit in ein volles Konzert oder eine volle Kneipe gehen oder arbeiten nach Möglichkeit von zu Hause, wenn sie erkältet sind. Da ist ein Bewusstsein entstanden, das vorher so nicht da war.

    Immer wieder wurde gewarnt, dass durch die Pandemie Angststörungen zugenommen haben. Sind wir im Schnitt ängstlicher geworden?

    Hein: Unmittelbar nach der Pandemie war ein Anstieg an Angststörungen zu beobachten. Wie sich die Pandemie jetzt, nach fünf Jahren, auf unsere Psyche auswirkt, ist schwer zu sagen. Gerade das Auftreten von Angststörungen wird von sehr vielen verschiedenen Faktoren beeinflusst. Es gibt wie gesagt Menschen, die durch Post-Covid nachhaltig betroffen sind. Das geht häufig auch mit einem hohen Grad von psychischer Belastung, beispielsweise depressiver Symptome einher. Viele von uns sind nach der Pandemie allerdings schnell wieder in der Normalität angekommen. Das zeigt unsere Flexibilität und Resilienz. Menschen sind in der Lage, mit Extremsituationen umzugehen – wenn sie irgendwann enden und wenn wir ein unterstützendes Umfeld haben.

    "Viele von uns sind schnell wieder in der Normalität angekommen."

    Prof. Grit Hein von der Uniklinik Würzburg über fünf Jahre Pandemie

    Manchmal hat man sogar das Gefühl, über die Pandemie will heute niemand mehr sprechen. Ist das aus psychologischer Sicht sinnvoll?

    Hein: Mein Eindruck ist: Es war ein gesamtgesellschaftliches Trauma, von dem man heute Abstand nehmen will. Die Aufarbeitung beginnt zwar jetzt – aber im Prinzip überwiegt das Abhaken und Nach-vorne-schauen. Das ist ein psychologischer Mechanismus, der uns hilft, zu überleben. Unsere Psyche ist nicht darauf angelegt, in einem Trauma zu verharren. Im besten Fall verarbeiten wir das Trauma, lösen uns und gehen weiter. Gesellschaftlich wäre es allerdings sicher klug, die Dinge besser aufzuarbeiten, um für die Zukunft zu lernen.

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