Egal ob Partnerin, Sohn oder Mutter: Wenn ein geliebter Mensch stirbt, ist es für die Angehörigen oft schwer, richtig damit umzugehen. Ulrike Langhans weiß wovon sie spricht. In der Jugend verlor sie ihren Freund, als 39-jährige den Ehemann und später ihren neuen Partner. Alle starben - und hinterließen sie fassungslos. Die Verluste stellten sie vor immense Herausforderungen. Um selbst besser damit fertig zu werden, gründete sie vor 15 Jahren in Würzburg Selbsthilfegruppen für Menschen, die in der Trauer Hilfe suchen. Die heute 57-jährige Trauerbegleiterin erzählt, worauf es in den schweren Momenten ankommt und warum Reden so wichtig ist.

Frau Langhans, welche Trauerfälle erleben Sie in den Selbsthilfegruppen?
Ulrike Langhans: Jeder Fall ist anders. Meistens sind es tragische Todesfälle, die meine Gruppenmitglieder verarbeiten müssen. Unfälle, Krankheiten, plötzliche Todesfälle. Ein Mann wird im Mittleren Osten erschossen, während die Frau zuhause schwanger ist. Eine Klientin verliert ihren Partner bei einem Sportunfall. Ein Kind findet seinen Vater unter dem Auto, nachdem der Wagenheber weggerutscht ist. Es kommen auch ältere Menschen, deren Partner altersbedingt oder durch Krebs gestorben sind. Die meisten Betroffenen öffnen sich, einige hören nur zu. Andere kommen, um eine neue Partnerin zu finden. Wir sind allerdings keine Partnervermittlung.
Was wird beim Trauern oft falsch gemacht?
Langhans: Trauer ist ein Tabuthema. Für Erwachsene und Kinder ist der Umgang damit heikel. Bei Kindern sollte man keine Vermeidungshaltung einnehmen. Ein Beispiel: Als ich zehn Jahre alt war, starb meine Großmutter an Krebs. Ich konnte mich nicht von ihr verabschieden, weil meine Eltern das nicht wollten. Hätte ich Abschied nehmen können, hätte ich es besser verstehen, verarbeiten und verkraften können. Natürlich wollten mich meine Eltern schützen. Im Nachhinein weiß ich aber, dass die Vermeidungshaltung falsch war.
Wie kann man seine Kinder unterstützen, damit sie den Verlust verarbeiten können?
Langhans: Es gibt viele Möglichkeiten. Kinder können versuchen, den Verstorbenen ihre Gefühle mitzuteilen. Bei jüngeren Kindern eignet sich das Malen eines Bildes. Ältere können einen Brief an die verstorbene Mutter, den Vater oder die Großeltern schreiben. Diesen können sie auch auch ins Grab legen. Dadurch beschäftigen sie sich mit der Trauer und können Abschied nehmen. Auch Rituale sind wichtig. Nach dem Tod meines Mannes saß ich mit meinen Kindern jeden Abend in seinem Arbeitszimmer, wir zündeten eine Kerze an und betrachteten ein Foto. Es gibt natürlich auch Therapien, gerade im kreativen Bereich: Basteln, Malen, Musiktherapien. Es geht darum, Kindern Brücken zu bauen, damit sie die Trauer verarbeiten können. Immerhin sind in Deutschland zwischen 800 000 und eine Million Kinder Halbwaisen. Die Verarbeitung ist ein Problem, auch bei Erwachsenen. Viele erstarren in der Trauer.
Wie können Menschen mit der Trauer umgehen, ohne darin zu erstarren?
Langhans: Das Erstarren passiert dann, wenn Hinterbliebenen von ihrem Umfeld nicht aufgefangen werden. Viele ziehen sich zurück, sprechen nicht über ihre Gefühle. Ich wusste selbst nicht, dass es so einfach sein kann. Man muss über die Trauer sprechen. Sie muss irgendwie nach außen, sie muss laut werden. Nur so kann man sie verarbeiten. Wer das mit sich selber ausmacht, sich zuredet: "ich schaffe das", der bleibt in einem geschlossenen System stecken. So kann keine Trauerarbeit stattfinden. Das kann zu Depressionen führen. Das Wichtigste ist: sich öffnen und die Trauer zum Ausdruck bringen. Wenn nicht in der Familie, dann bei Seelsorgern oder Therapeuten. Menschen, die nichts verändern wollen, die nur jammern wollen, sind bei mir falsch. Trauer ist ein hartes Stück Arbeit, manche Menschen wagen sich an diese Arbeit nicht heran.
"Betroffene können Dinge fortführen, die Verstorbene angefangen haben"
Ulrike Langhans, Trauerbegleiterin
Was raten Sie Menschen in der Trauer außerdem?
Langhans: Betroffene können Dinge fortführen, die Verstorbene angefangen haben. Mein Mann wollte unsere Kinder unbedingt musikalisch fördern. Nach seinem Tod besuchten sie die Musikschule. Sie spielen noch heute Geige und Gitarre. Es hat uns sehr gut getan, dass wir in seinem Sinne Dinge weitergeführt haben. Man kann auch die Gewohnheiten der verstorbenen Mutter weiterführen, indem man jedes Jahr an Weihnachten eine neue Christbaumkugel kauft. Oder man besteigt einen Berg, den der Verstorbene unbedingt erklimmen wollte. Außerdem hilft es vielen Menschen, wenn sie sich in bestimmten Situationen die Frage stellen: "Wie hätte der Verstorbene jetzt entschieden?" Natürlich hilft das nicht immer, da Trauer auch durch Wut und Hass geprägt sein kann. Beispielsweise wenn der verstorbene Großvater seine Enkelin früher missbraucht hat. Auch das gehört zur Verarbeitung.
Wie kann sich Trauer noch anfühlen?
Langhans: Hinterbliebene haben oft mit Schuldgefühlen zu kämpfen. Beispielsweise wenn Jugendliche mit dem Vater gestritten haben, kurz bevor er auf dem Weg zur Arbeit tödlich verunglückt ist. Manche Hinterbliebene denken, sie seien schuld am Tod eines geliebten Menschen. Man kann das aber in den Griff bekommen, etwa durch Psychotherapie. In meinen Selbsthilfegruppen erlebe ich gerade Männer, die vielleicht nicht immer nett zu ihren Frauen waren, mit massiven Schuldgefühlen. Gerade dann ist es wichtig, um Vergebung zu bitten. Das geht auch bei Verstorbenen. Auch hierfür kann man ihnen Briefe schreiben oder mit ihnen am Grab sprechen.
Welche finanziellen Hilfen kann ich als Hinterbliebener beanspruchen?
Langhans: In Deutschland gibt es viele Unterstützungen, nur vieles ist einfach nicht bekannt. Die Rentenanträge müssen gestellt werden, es gibt eine große und eine kleine Witwenrente sowie eine Halbwaisenrente. Diese beantragt man bei der deutschen Rentenversicherung. Desweiteren kann es Kinderzuschläge von 185 Euro pro Kind geben. Darüber sollte man sich beim Familienamt, Sozialamt und der Familienkasse aktiv informieren. Auch ein Unterhaltsvorschuss, also ein Ausgleich für die Kinder, ist möglich. Das kann sich für Familien mit wenig Geld schon bemerkbar machen. Darüber hinaus gibt es Stiftungen, bei denen man Gelder beantragen kann.
Wodurch wird Trauerarbeit erschwert?
Langhans: Mein Mann war Jahre lang herzkrank. Neun Tage bevor er ein neues Herz bekommen sollte, starb er unerwartet. Trotzdem hatte ich immer im Hinterkopf, dass es passieren könnte. Es gibt aber auch Fälle, in denen Ärzte falsche Hoffnungen machen, indem sie nicht sagen, dass es zu Ende geht. Damit kann Angehörigen die Chance genommen werden, sich auf das Thema Tod einzulassen und Abschied zu nehmen. Im Falle meines Mannes gab es zum Glück einen Arzt, der sagte, er gebe ihm nur noch zwei, drei Jahre. Dadurch konnte ich die Lage besser einschätzen und das hat mir sehr geholfen.
Wie können sich Freunde verhalten, um Trauernde zu unterstützen?
Langhans: Viele sind damit total überfordert. In meinem Bekanntenkreis haben sich damals einige zurückgezogen, da sie mit der Situation nicht klar kamen. Viele baten mir nur aus Anstand Hilfe an. Jetzt weiß ich, dass es falsch ist, sich zurückzuziehen. Man sollte immer wieder Hilfe anbieten. Nachfragen, ob der Trauernde etwas braucht, auch materielle Hilfen anbieten. Etwas zu essen vorbeibringen, die Kinder abholen oder im Garten helfen. Ganz einfache Dinge.
Selbsthilfegruppen für Angehörige von Verstorbenen Die Trauerbegleiterin Ulrike Langhans bietet in Würzburg die Selbsthilfegruppen "Partnerverlust durch Todesfall - wie geht es jetzt weiter?" und "Alleinerziehend durch Todesfall" an. Beide sind über das Aktivbüro der Stadt Würzburg genehmigt. Kontaktaufnahme unter ullilanghans@gmail.com oder Tel.: 0178 2063 263.