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Würzburg/Eisingen/Kitzingen: Zwangsumzüge und Gruppenschließungen:  Wohnsituation für Menschen mit Behinderung in Unterfranken ist dramatisch

Würzburg/Eisingen/Kitzingen

Zwangsumzüge und Gruppenschließungen:  Wohnsituation für Menschen mit Behinderung in Unterfranken ist dramatisch

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    Sie mussten von Kitzingen und Würzburg nach Ochsenfurt ziehen: Nach anfänglichem "Schock" haben sich die Wohngruppe und ihre Betreuer im neuen Wohnheim der Lebenshilfe aber eingelebt. 
    Sie mussten von Kitzingen und Würzburg nach Ochsenfurt ziehen: Nach anfänglichem "Schock" haben sich die Wohngruppe und ihre Betreuer im neuen Wohnheim der Lebenshilfe aber eingelebt.  Foto: Thomas Obermeier

    "Ein Wunsch- und Wahlrecht beim Wohnen für Menschen mit Behinderung gibt es in Unterfranken faktisch nicht mehr." Wolfgang Trosbach, Sprecher der Lebenshilfen in Unterfranken, spricht klare Worte. Fast alle Wohngruppen oder Wohnheime für Menschen mit Behinderung in Unterfranken sind ihm zufolge voll besetzt, die Träger führen Wartelisten. Ganze Wohnheime sind von Schließung bedroht.

    Lediglich das Blindeninstitut Würzburg mit seinen 1200 Mitarbeitenden konnte durch "gesteigertes Personalmarketing" auf die wachsende Nachfrage mit neuen Betreuungsplätzen reagieren: So habe man dieses Jahr in Kitzingen ein Haus für 24 Menschen mit komplexen Behinderungen eröffnet und plane 2025 die Erweiterung, sagen die Institutsleiter Michael Weis und Mathias Rüth.      

    Ganze Wohngruppe der Lebenshilfe in Ochsenfurt bereits 2023 geschlossen

    Die Lebenshilfe hingegen musste bereits 2023 eine ganze Wohngruppe in Ochsenfurt schließen. Die zwölf Bewohnerinnen und Bewohner wurden auf andere Gruppen verteilt, gingen zurück zu ihren Eltern oder wechselten in ambulant betreutes Wohnen.

    In diesem Jahr wurde dann eine Wohngruppe mit acht Personen aus Kitzingen in die frei gewordenen Räume in Ochsenfurt verlegt. So könne man das Personal in dem 24-Personen-Haus flexibler einsetzen, sagt Dieter Körber, Geschäftsführer der Lebenshilfe Wohnstätten Mainfranken. Auch eine Wohngruppe in Würzburg habe man auf andere Häuser aufteilen müssen.   

    Das Wohnheim der Lebenshilfe im Ochsenfurter Bärental. Wegen Personalmangel musste 2023 hier eine Wohngruppe aufgelöst werden.
    Das Wohnheim der Lebenshilfe im Ochsenfurter Bärental. Wegen Personalmangel musste 2023 hier eine Wohngruppe aufgelöst werden. Foto: Thomas Obermeier

    Kleinere Wohneinheiten mit familiärerer Atmosphäre seien jedoch für die Menschen mit Behinderung optimal, sagt Karl-Heinz Rebitzer, Vorsitzender der Lebenshilfe Kitzingen. Aber sie seien nicht rentabel, es werde mal wieder bei den Schwächsten gespart. Rebitzers 34-jährige Tochter Christina gehörte selbst zu den Betroffenen, die umziehen mussten. Gerade für Menschen mit Behinderung sei ein Wohnortwechsel schwierig, sagt Rebitzer. Gewohnte Wegstrecken, vor allem aber das soziale Umfeld, gingen verloren.   

    "Unsere Einrichtung ist unterfinanziert."

    Ronja Hemm, St. Josef Stift in Eisingen

    Gerüchte kursierten, dass auch die Kitzinger Außenstelle des Tatenwerks, das unter anderem das St. Josef-Stift in Eisingen (Lkr. Würzburg) betreibt, vor der Schließung stünde. Ronja Hemm, Assistentin der Geschäftsführung des St. Josef-Stifts, teilt auf Nachfrage mit: "An der Wohngemeinschaft für 16 Männer und Frauen mit hohem Assistenzbedarf in Kitzingen halten wir fest. Auch wenn uns der Fachkräftemangel vor eine große Herausforderung stellt, gibt es keinerlei Pläne sie zu schließen." 

    Auch im St. Josef-Stift in Eisingen selbst herrsche großer Fachkräftemangel. Und, sagt Hemm: "Unsere Einrichtung ist unterfinanziert." Es sei unvermeidbar gewesen, einzelne Gruppen zusammenzulegen. Menschen mit Behinderung zu begleiten und zu betreuen, sei eine gesellschaftliche Aufgabe, betont Hemm. Dabei dürften Einrichtungen "von der Politik nicht alleine gelassen" werden.

    Das St. Josef-Stift in Eisingen (Lkr. Würzburg) ist eine der größten Einrichtungen für Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung in Unterfranken.
    Das St. Josef-Stift in Eisingen (Lkr. Würzburg) ist eine der größten Einrichtungen für Menschen mit geistiger und Mehrfachbehinderung in Unterfranken. Foto: Silvia Gralla

    Unterdessen berichtet der Bayerische Rundfunk (BR), dass einem Wohnpflegeheim des St. Josef-Stifts für 56 Menschen mit Behinderungen Ende März 2025 die Schließung drohe. 300.000 Euro würden für die dringend nötige Sanierung der Bäder der sechs Wohngruppen in Eisingen fehlen. Die Bäder erfüllten die Normen für Barrierefreiheit und Sichtschutz nicht. Laut BR müsste der Bezirk für die Kosten der Sanierung aufkommen, die Gelder seien aber noch nicht bewilligt.

    Laut BR hat die zuständige Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen beim Landkreis Würzburg dem St. Josefs Stift eine Frist gesetzt. Es drohten Zwangsgelder in Höhe von 125.000 Euro. 

    Problem laut Lebenshilfe: Neues Gesetz schreibt mehr Personal vor als nötig

    Schuld an der aktuellen Lage seien auch die im August 2023 in Kraft getretenen Änderungen des bayerischen Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes, das Wohnformen der Eingliederungshilfe mit ambulanten Pflegeeinrichtungen gleichsetze, sagt Wolfgang Trosbach. Dadurch würde undifferenziert mehr pflegerisches Fachpersonal vorgeschrieben, als für die Bewohner einzelner Wohngruppen nötig sei, erklärt der Lebenshilfe-Sprecher.  

    Hinzu kämen bauliche Veränderungen, weil die Ansprüche an Einzelzimmern und sanitären Einrichtungen gestiegen seien. Bis 2035 müssten alle Wohneinrichtungen angepasst werden. Das sei nicht zu bezahlen, so Trosbach. Selbst bei konservativster Berechnung würde das allein für die Häuser der Lebenshilfe in Unterfranken Kosten von weit mehr als 200 Millionen Euro bedeuten. Dieses Geld sei schlicht nicht da.

    In den nächsten fünf Jahren würden 49 Mitarbeiter der Lebenshilfe-Wohnstätten altersbedingt ausscheiden. Schon heute gebe es dort einen kompletten Aufnahmestopp. Es gebe auch dann keinen Platz, wenn ein erwachsenes Kind mit Behinderung noch bei seinen über 80-jährigen Eltern lebe. Was, wenn ein Elternteil sterbe oder pflegebedürftig werde, fragt Trosbach. Der Bezirk stehe für diese Menschen in der Verantwortung. 

    Bezirk Unterfranken: 20 Wohnheimplätze weggefallen

    Der Bezirk Unterfranken bestätigt, dass aktuell bereits rund 20 Wohnheimplätze für Menschen mit Behinderung in Unterfranken weggefallen seien. Man sei dabei nicht beteiligt, sondern werde nur informiert. Dem Bezirk sei es ein großes Anliegen, zumindest den Status Quo für die Wohnheimbewohnerinnen und -bewohner zu gewährleisten. Trotz der Krisen sei die Wohnheimstruktur nicht zuletzt durch die Unterstützung des Bezirks in Unterfranken als stabil zu betrachten, sagt Sprecher Florian Hiller.  

    "Es brennt unterfrankenweit", sagt dagegen Rolf Müßig, ehemaliger Geschäftsführer und Sprecher der Arche gGmbH, die für die evangelische Kirche in Unterfranken unter anderem Wohngruppen für Menschen mir Behinderung betreibt.  Auch die Arche habe zwei Wohnheime in Würzburg zusammengelegt und von 40 auf 30 Plätze reduziert. Die zehn Plätze habe man im ambulanten Wohnen geschaffen, sagt Müßig - "weil wir da mit weniger Personal arbeiten können".

    "Es brennt unterfrankenweit."

    Rolf Müßig, Sprecher der Arche gGmbH

    Auch die Arche habe einen Aufnahmestopp. Rund 25 Bewerberinnen und Bewerber stünden auf der Warteliste, erklärt der Arche-Sprecher. 

    In Würzburg 300 Pflegebetten für Senioren nicht belegt

    Planungen für Neubauten gebe es keine mehr, sagt Müßig und fragt: Wo soll auch das Personal herkommen? In allen Bereichen würden Pflegekräfte fehlen, erklärt auch Wolfgang Trosbach von der Lebenshilfe. Allein in Würzburg seien über 300 Pflegebetten für ältere Menschen nicht belegt, weil das Personal fehle. 

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