An den lila Plakaten mit schrägen Sprüchen kam in Würzburg schon seit Mitte April niemand vorbei. Die halbe Stadt und viele Ausfallstraßen schienen damit zugepflastert zu sein. Slogans wie "Sei kein Arschloch" oder "Mehr Eis" fanden vielleicht nicht alle Passanten so mega-cool.
Aber die Kleinpartei Volt, bislang eine eher unbekannte im Spektrum der 34 Gruppierungen, die bei der Europawahl auf dem Wahlzettel standen, war schon mal im Gespräch.

Am Wahlsonntag, abends nach der Auszählung, rieben sich dann viele überrascht die Augen: 6,9 Prozent der Stimmen erzielte Volt im Stadtgebiet von Würzburg, so viel wie sonst nirgendwo in Bayern. In den stark studentisch geprägten Stadtteilen Altstadt und Grombühl war das Ergebnis von Volt mit 10,6 und 10,7 Prozent sogar zweistellig, in der Sanderau mit 9,7 Prozent knapp davor.
Volt erzielte bei Europawahl zweistellige Ergebnisse in Würzburger Stadtteilen
"Ergebnisse, die alle unsere Erwartungen übertroffen haben", sagt Lionel Bachelart, der Sprecher der Würzburger Volt-Gruppe. Man hätte sich nach den 1,1 Prozent vor fünf Jahren auch schon über drei Prozent gefreut, so der 21-Jährige, der gerade bei s.Oliver eine Ausbildung zum E-Commerce-Kaufmann absolviert.

Bachelart und einem guten Dutzend Mitstreiter ist es offenbar gelungen, die Idee einer paneuropäischen Partei mutmaßlich jungen Leuten schmackhaft zu machen.
Auch in anderen Unistädten holte Volt gute Ergebnisse bei der Europawahl
"Wir brauchen mehr Europa, nicht weniger", so lässt sich das Konzept der Mittel-Links-Partei zusammenfassen, die 2017 als Antwort auf den Brexit gegründet wurde. Volt gibt es in 30 europäischen Ländern, in 15 ist sie zur diesjährigen Europawahl angetreten.
Mit einem Abgeordneten aus Deutschland war Volt bislang schon im Europaparlament vertreten. Künftig sind es drei aus Deutschland und zwei aus den Niederlanden, wo Volt schon länger dem nationalen Parlament angehört.

Bei der Wahl am Sonntag kam die Partei deutschlandweit auf 2,6 Prozent und lag damit nur ganz knapp hinter der Linken und den Freien Wählern mit 2,7 Prozent. Vor allem in den Unistädten wurde die Basis für den Erfolg gelegt. In München erzielte Volt 5,8 Prozent, in Berlin 4,8 Prozent, im hessischen Darmstadt gar 10,9 Prozent. Parallel zu Volt-Erfolgen verloren häufig die Grünen.
Ziel von Volt ist mehr Demokratie in den europäischen Institutionen
Einer, der seit 2018 schon bei Volt dabei ist, ist der Schauspieler Hans-Günter Brünker. Der 57-Jährige ist in Bad Brückenau (Lkr. Bad Kissingen) groß geworden und hat in Würzburg Chemie studiert. Heute lebt er in Bamberg. Brünker sitzt dort seit 2020 als einer der ersten Volt-Mandatsträger überhaupt im Stadtrat, auf der Europaliste belegte er diesmal Platz zwölf.

Ziel der Partei sei es, Europa mehr noch zu demokratisieren, erläutert der 57-Jährige. Das Parlament müsse das Recht bekommen, selbst Gesetze einzubringen.
Und wenn es schon auf absehbare Zeit keine europäische Regierung geben werde, so müsse das Einstimmigkeitsprinzip im Europäischen Rat abgeschafft werden, das in vielen Fragen ein Vorankommen verhindere. Klimaschutz oder auch Steuergerechtigkeit seien keine nationalen Themen, sie bedürften europäischer Lösungen.
In Würzburg sieht Volt das Erfolgsrezept für die Europawahl im Straßenwahlkampf
Zurück nach Würzburg. Lionel Bachelart sagt, das Erfolgsrezept hier sei der Straßenwahlkampf gewesen. Die Plakate hätten viele neugierig gemacht. So es sei es leicht gewesen, mit den jungen Leute, die am Mainufer chillen oder vor der Uni oder auf den Ausgehmeilen zusammenstehen, ins Gespräch zu kommen. "Wir haben da Vollgas gegeben - und sind vier Wochen lang jeden Tag raus."
Eines Abends im Wahlkampf habe man zwei junge Menschen getroffen, die sich an einem "Sei kein Arschloch"-Plakat zu schaffen machten. "Das ist Sachbeschädigung", griffen die Volt-Leute ein und wollten schon zur Polizei. "Das Plakat ist so geil, wir wollen es in unsere WG hängen", antworteten die Unbekannten, so erzählt es Bachelart. "Wir wurden uns schnell einig: Fünf Euro Parteispende - und das Plakat gehörte ihnen."