"DJ Inge" muss lange warten, bis er am Samstagabend kurz vor zehn die erste Platte beim "Grünen Abend" im Congress Centrum in Würzburg (CCW) auflegen darf. Die Debatte um das Thema Migration beschäftigt die 300 Delegierten beim Landesparteitag deutlich länger als von der Parteispitze vorgesehen. Letztlich bekennen sich die bayerischen Grünen zu mehr "Ordnung" im Umgang mit Geflüchteten, zur konsequenten Abschiebung nicht nur von Straftätern und Gefährdern, sondern auch nicht anerkannter Asylbewerber, sofern sie nicht die "Voraussetzung für Arbeitsmigration" erfüllen.
Der Antrag, über den der Parteitag entscheiden muss, ist bereits ein - in mehreren internen Sitzungen vorberatener - Kompromiss zwischen denjenigen, die die Rolle der Grünen als Menschenrechtspartei gefährdet sehen und jenen, die sagen, dass die Integration von Geflüchteten nur gelingen kann, wenn ihre Zahl "stabilisiert" oder gar reduziert wird.
Rottmann kritisiert Parteispitze
Die Wortführer dieses eher pragmatischen Ansatzes wie die unterfränkische Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann und der Miltenberger Landrat Jens Marco Scherf können sich in der zweistündigen Debatte um Änderungsanträge, in denen unter anderem die Abschaffung von Anker-Zentren gefordert wird, am Ende nicht durchsetzen.

Rottmann würdigt auf Nachfrage zwar die "gute Diskussion" der Delegierten zum Thema Migration. Sie sagt aber auch, sie hätte sich für ihre Positionen mehr Rückendeckung seitens der bayerischen Grünen-Spitze, mit den Vorsitzenden Eva Lettenbauer und Gisela Sengl, gewünscht. "Wer in Bayern regieren möchte, darf sich bei schwierigen Fragen nicht wegducken."
Landrat Scherf hat bereits am Vormittag einmal mehr an die Parteifreunde appelliert, "ehrlich" hinzuschauen und die "Wirklichkeit" anzuerkennen. Kindergärten und Schulen seien schon länger mit der Betreuung der großen Zahl von Migrantinnen und Migranten überfordert. Jobcenter und Asylberatung litten unter massivem Personalmangel, die meisten ehrenamtlichen Helfer seien lange schon erschöpft.

"Integration, wie wir sie uns wünschen, gelingt so nicht", sagt der Kommunalpolitiker. Um die Zahl der neu ankommenden Geflüchteten zu reduzieren, baut er auf das kürzlich beschlossene gemeinsame europäische Asylsystem (Geas). Viele an der grünen Basis indes sehen etwa die darin vorgesehenen Aufnahmelager an den EU-Außengrenzen oder in Drittstaaten kritisch. "Meine Generation verliert den Glauben an uns Grüne", formuliert der junge Niederbayer Johannes Hunger seine Kritik am Kurs der Ampel-Regierung drastisch.
Scherf fordert mehr grüne Selbstkritik
Scherf fordert die Grünen zu mehr Selbstkritik auf - nicht nur in der Migrations-, sondern unter anderem auch in der Klimapolitik. An den zuletzt schlechten Wahlergebnissen seien nicht die anderen Parteien schuld: "Mit Selbstmitleid und Jammern muss Schluss sein." Er, so der Landrat, verstehe die Grünen als "konzeptionelle Bündnispartei". Nicht in der Parteizentrale oder in den Ministerien, sondern gemeinsam mit den Betroffenen, mit Landwirten, Sozialverbänden, Handwerk müsse man "praktikable Lösungen" für die Probleme erarbeiten.
Den meisten Grünen geben sich in Würzburg deutlich weniger kleinlaut. "Kopf in den Stand stecken, war gestern", ruft Katharina Schulze, die Vorsitzende der Landtagsfraktion, in den Saal. Andere Rednerinnen und Redner treten ähnlich kämpferisch auf. Nicht die Grünen gefährdeten die Zukunftsfähigkeit des Landes, Markus Söder (CSU) und die Konservativen seien die Bremser. Die Leistungsbilanz bei der Lehrer-Versorgung, in der Verkehrspolitik und vor allem bei der Energiewende im Freistaat stimme nicht, so Schulze.

"Die Menschen in Bayern verdienen eine Regierung, die weiterdenkt als bis zum nächsten Grünen-Bashing", heißt es dann auch im Leitantrag, den der Parteitag verabschiedet. Forderungen, mit denen die Partei in den Bundestags- und Kommunalwahlkampf geht, sind unter anderem "ambitionierte Ausbauprogramme" für grüne Energie, "Bürgerräte für eine starke Demokratie", der Wegfall von Arbeitsverboten für Geflüchtete und kostenloses Mittagessen für alle Kinder in den Tagesstätten und Grundschulen.
"Zuversicht" vermitteln, so das Motto des Treffens. Dazu gehöre, die "Erfolge", die man in Berlin unter anderem bei der Energiewende, beim Staatsbürgerrecht, beim Überwinden der Abhängigkeit von russischem Erdgas, oder beim Einstieg in die Verkehrswende erzielt habe, mehr noch herauszustellen. Gleichzeitig dürften Kompromisse, ohne die es in der Ampel nicht gehe, nicht ständig wieder zerredet werden, mahnt eine Delegierte an.

Die Grünen würden mehr denn je gebraucht, um das Land zu modernisieren und den Freiheitskampf der Ukraine zu unterstützen, sagt die Vorsitzende Sengl. Von der "verächtlichen Hetze" mancher politischen Gegner werde man sich nicht weiter beirren lassen.
Hoffnungsträger Brantner und Banaszak
Wer die Hoffnungsträger der Grünen beim vielfach angekündigten "Neustart" sein sollen, wird am Sonntagmittag klar. Unter großem Beifall stellen sich Franziska Brantner und Felix Banaszak den Delegierten vor. Die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und der frühere Chef der NRW-Grünen wollen beim Bundesparteitag in vier Wochen die Nachfolge der zurückgetretenen Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour antreten - und vor allem das grüne Selbstbewusstsein stärken.

Banaszak appelliert in seiner Rede nicht zuletzt mit Blick auf die innerparteiliche Migrationsdebatte an die Geschlossenheit der Partei. Auch er hadere mit dem einen oder anderen Kompromiss in der Ampel-Regierung. Letztlich aber müsse gelten: "Der politische Gegner sitzt nicht in den eigenen Reihen, sondern da draußen."
Bei soviel Selbstvergewisserung darf das Feiern dann auch nicht ausfallen. Bis halb zwei in der Nacht habe "DJ Inge“ aufgelegt, heißt es am Sonntagmorgen. Einige Delegierte hätten sogar getanzt.