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Sommerhausen: Franken, der Main und Märchen in Schwarz-Weiß: Frank Lindners Scherenschnitte

Sommerhausen

Franken, der Main und Märchen in Schwarz-Weiß: Frank Lindners Scherenschnitte

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    Da wächst ein Baum: Frank Lindner, Meister des Scherenschnitts, in seiner kleinen Werkstatt-Galerie in Sommerhausen.
    Da wächst ein Baum: Frank Lindner, Meister des Scherenschnitts, in seiner kleinen Werkstatt-Galerie in Sommerhausen. Foto: Daniel Biscan

    Ein Blatt schlichtes schwarzes Papier. Eine kleine Schere und ein Mann mit viel Geduld und geschickten Fingern. Wie Frank Lindner in Sommerhausen eine alte Handwerkskunst bewahrt.

    Ach, sagt Frank Lindner, ein paar Leute haben hereingeschaut bei ihm. Kein Weihnachtsmarkt in Sommerhausen, schon das zweite Jahr nicht. Statt Trubel und Gedrängel hier und da ein kleines Licht von einem Hofmarkt. Der erste Advent ganz schön, der zweite Advent verregnet, ab dem dritten 3G . . . Frank Lindner öffnete sein kleines Stuben-Atelier am Ochsenfurter Tor im Winzerort am Main trotzdem.

    Muss ja weitergehen, irgendwie. Der 54-Jährige guckt kurz durchs Fenster aufs Kopfsteinpflaster vor der Tür, lächelt – und greift nach dem silbernen Scherchen. Geht ja auch weiter, irgendwie. So sitzt er bis tief in die Nacht in seiner kleinen Stube, die Werkstatt und Ausstellungsraum zugleich ist. Vor sich kleine Bleistifte und kleine Scheren, im Schwedenofen knisternde Holzscheite, hinter sich Bilderrahmen voller schwarz-weißer Kunst.

    Märchenszenen, Ortsansichten, Landschaften, Fachwerkhäuser, Bäume und vergnügte Figuren in idyllischen Kulissen. Zwischen fränkischen Ansichten, Totentanz-Motiven, Würzburger Festung und Sommerhäuser Turm posaunt eine Engelschar im kleinen Rund. Und mittendrin liegt der kleine Jesus in einer Krippe, Ochs, Esel und Schäfchen bei ihm, als seien sie eben den Sommerhäuser Weinberg heruntergekommen.

    Ein Blick in den Austellungsraum.
    Ein Blick in den Austellungsraum. Foto: Daniel Biscan
    Zärtliche Stunden im Mondschein.
    Zärtliche Stunden im Mondschein. Foto: Daniel Biscan

    Willkommen in Frank Lindners schwarz-weißer Welt. Der Sommerhäuser greift sich ein Blatt – schwarz –, sticht vorsichtig hinein, beginnt zu schneiden – und erzählt. Vom Glück, sich beim Scherenschnitt auf das Wesentliche zu konzentrieren. Von der Zeit, die im Nu vergeht, wenn er sorgsam und vorsichtig schneidet und schneidet und schneidet und nach Mitternacht noch im Schein der Schreibtischlampe dasitzt in seinem Atelier.

    „Wie Meditation, da kann man wunderbar entspannen.“ Eben entsteht aus dem Schwarz ein Baum. Aus dem Stamm ragen schon üppig Äste und Zweigchen. „Bäume mag ich am liebsten“, sagt Frank Lindner. „Da kann auch mal ein Ast nicht so genau sein.“ Wie alles anfing mit seinen Scherenschnitten? Der 54-Jährige nimmt einen Schluck Tee. Und erzählt von Irmingard von Freyberg, einer bedeutenden Vertreterin der Scherenschnittkunst des 20. Jahrhunderts. „Ich hatte das große Glück, mit ihr unter einem Dach zu wohnen.“

    Lindners liebstes Motiv: Bäume. „Da muss man nicht so aufpassen.“
    Lindners liebstes Motiv: Bäume. „Da muss man nicht so aufpassen.“ Foto: Daniel Biscan
    Das Motiv "Die vier Jahreszeiten". Über zehn Stunden arbeitet Frank Lindner daran.
    Das Motiv "Die vier Jahreszeiten". Über zehn Stunden arbeitet Frank Lindner daran. Foto: Daniel Biscan

    Die in München geborene Künstlerin war Mitte der 1950er Jahre nach Sommerhausen gekommen, des Torturmtheaters wegen. Es gefiel ihr so gut am Main, dass sie blieb. Ihr Wohn-Atelier hatte sie unterm Dach in der Alten Brückenstraße, im Haus der Familie Lindner. „In ihrer Wohnung herrschte eine geniale Unordnung. Als Kind gab es nichts Schöneres, als die Treppe hochzulaufen, bei der Baronin zu klingeln und den Nachmittag bei ihr zu verbringen.“ Altes Spielzeug, unzählige Holzfiguren, dazu viel Ton, Scheren, Papier – ein Paradies, übervoll mit Raritäten.

    Und nie wurde es dem kleinen Buben langweilig, wenn er zuschaute, wie die Baronin aus einem Klumpen Ton die schönsten Figuren formte oder aus einem schlichten Blatt Papier lebendige Szenerien schnitt. „Eine herzensgute Frau, die Türe stand immer offen“, sagt Frank Lindner, schneidet weiter an der Baumkrone. Und erzählt. Die Baronin sei eine geduldige Lehrmeisterin gewesen. Überließ dem kleinen Jungen Schere und Papier und kam ihm ab und an mit geschickten Kniffen zu Hilfe.

    Frank Lindner
    Frank Lindner Foto: Daniel Biscan

    Als Frank Lindner, volljährig war er da gerade geworden, nach dem Tod von Irmingard von Freyberg 1985 ihre Wohnung auflöste und ihm die Nachkommen einige Werke überließen, da erinnerte er sich an die Hausfreundschaft seiner Kindheit, an die vielen Stunden im kreativen Reich, an die schwarz-weiße Kunst. „Das hat mich berührt.“ Er hatte damals gerade eine Ausbildung als Schriftsetzer begonnen. Und irgendwann fing Frank Lindner an, erste Motive der Baronin nachzuschneiden. Er wollte, dass die Scherenschnittkunst erhalten blieb, irgendwie.

    Wobei – Kunst? Der 54-Jährige – der schwarze Baum in seinen Händen ist fast ausgewachsen – wischt durch die Luft. „Die Kunst ist, dass man einen schönen Entwurf macht.“ Das Schneiden dann: „Handwerk.“ Oder wenigstens Handwerkskunst. Kunsthandwerk eben. Klar, Geschick braucht es schon. Und Geduld. Und Verständnis dafür, wie aus der vorgezeichneten Szenerie dann ganze Landschaften und Märchenszenen aus dem Schwarz kommen.

    Frank Lindner verwendet für seine Fachwerkhäuser, Bäume, Berge tatsächlich schlichtes dünnes Papier, keinen dickeren Karton. Und zwei Nagelscherchen, eine gebogen, eine gerade. Nur eines macht er anders als seine Mentorin: Er nimmt auch mal ein Skalpell.

    Schere und Skalpell sind die meistgenutzten Werkzeuge.
    Schere und Skalpell sind die meistgenutzten Werkzeuge. Foto: Daniel Biscan
    Idyll in Schwarz-Weiß: Dörfliche Romantik.
    Idyll in Schwarz-Weiß: Dörfliche Romantik. Foto: Daniel Biscan

    Jahrelang hat der Sommerhäuser die selten gewordene Scherenschnitt-Kunst nebenbei betrieben. In diesem Jahr – Corona zum Trotz – entschied er sich, sie zur Hauptsache zu machen. Seit Oktober nun ist er freischaffender Künstler. 60 Prozent seines Umsatzes macht er in den letzten vier Wochen im Jahr, wenn in Sommerhausen an den Adventswochenenden der Rummel groß ist. Heuer? Frank Lindner zuckt die Schultern und schaut auf den Werkstattkalender 2022. Wird schon weitergehen irgendwie. Das gefragteste Motiv? Nicht die Weihnachtskrippe. Kein Märchen. Keine Ortsansicht. Sondern die „Frohen Zecher in Franken“.

    Idyll in Schwarz-Weiß: Abendromantik auf dem See.
    Idyll in Schwarz-Weiß: Abendromantik auf dem See. Foto: Daniel Biscan
    Frank Lindners Krippen-Motiv: "Kommet Ihr Hirten".
    Frank Lindners Krippen-Motiv: "Kommet Ihr Hirten". Foto: Daniel Biscan
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