Frühjahr 2020. Die Welt steht wegen eines Virus still. Lockdown. Kurzarbeit. Kontaktverbot. Zwang zur Untätigkeit. Menschen beginnen zu stricken oder sich um Tiere zu kümmern. Oder backen plötzlich selber Brot. Und zwei Jahre später? Unser Fotograf Daniel Peter hat Menschen aus Unterfranken porträtiert, die in der PandemieNeues für sich entdeckt haben – dauerhaft. Hier erzählen Sie von ihren neuentdeckten Passionen.
1. Erika Weinhold-Duwe, 61, aus Würzburg: Stricken

"Man ist geduldiger worden", sagt Erika Weinhold-Duwe. Eingehüllt in eine überdimensionale Decke sitzt sie an der Promenade am Alten Kranen in Würzburg und strickt. "Es blieb einem ja nicht viel anderes übrig", ergänzt sie und lacht. Handarbeiten hätten ihr schon immer gelegen – "von klein an!". Aber oft fehlte die Zeit. Und die Ausdauer. Das änderte sich mit Corona schlagartig. Alles dicht. Lockdown. Auf einmal glühen die Stricknadeln. "Die Pandemie hat Zeit geschaffen für Mammutprojekte." Kinderklamotten, Schals. Und eine Decke so groß, dass sich die 61-Jährige locker dahinter verstecken kann: "Vier Wochen habe ich daran gestrickt."
2. Jennifer Kreile, 44, aus Gochsheim: Reitpädagogik

"Es hat mich glücklich gemacht, vielen Kindern durch diese schwere Zeit zu helfen", sagt Jennifer Kreile. Behutsam führt die 44-Jährige ein Mädchen auf einem Pony über den Reitplatz bei Grettstadt in der Nähe von Schweinfurt. Das Pony schnaubt zufrieden, das Mächen lacht. "Strahlende Kinderaugen und glückliche Pferde." Das motiviert Jennifer Kreile. Vor vier Jahren hatte sie als Stallhilfe auf einem Reiterhof angefangen. Pferde mochte sie schon immer. "Wenn du ihr Herz gewonnen hast, dann lieben sie dich bedingungslos!" In der Pandemie legt sie sich ihr erstes eigenes Tier zu. Und fängt an, die Kleinen zu unterrichten. "Da muss man fachlich noch nicht so viel wissen, da geht? eher um das Körpergefühl und die Balance vom Kind." Parallel macht sie eine Ausbildung zur Reitpädagogin. Und schließt mit Erfolg ab. "Die Arbeit mit den Kindern und den Pferden war für mich in der Pandemie der Ausgleich zum Eingesperrtsein."
3. Philipp Katzenberger, 39, aus Würzburg: Lost Places

Würzburg 2022. Wenige Kilometer vom Stadtzentrum. Die Szene wirkt wie die Kulisse eines Endzeitstreifens aus den Achtzigern. Riesige Holzbauten umrankt von Büschen und Sträuchern. Einschusslöcher. Mittendrin steht Philipp Katzenberger und dreht sich eine Zigarette. "Das war mal eine Schießanlage der Army", erklärt der 39-Jährige. Als sich Anfang 2020 das Coronavirus in Deutschland ausbreitet, entdeckt der Künstler die sogenannten Lost Places als Zeitvertreib. Industriebrachen, Militärarchitektur aus Zeiten des Kalten Krieges. Längst vergessene Orte.

Lostis nennt er die Plätze liebevoll. "Die Ruhe, das Alleinsein. Das pustet den Kopf komplett frei, da bist du in einer anderen Welt. Und es sind ja auch einfach wunderschöne Kulissen. Das inspiriert!" Ihn fasziniert der Verfall in all seinen Facetten: "Beton bröckelt, Metall rostet, Holz verwittert." Fauna und Flora kommen zurück. "Und alles hat so eine Patina, so ein schönes Farbschema. Die Zeit steht einfach still!" Da spricht der Künstler.
4. Marco Heinickel, 34, aus Schweinfurt: Gravelbike

Marco Heinickel ist leicht außer Atem, als er an der Würzburger Steinburg ankommt. Die Sonne streift gerade den Horizont, es ist ein kalter Tag. Aber der 34-Jährige ist mit dem Rad unterwegs. Ein Gravelbike, die geländetaugliche Variante des Rennrads. Zu dem Rad kommt er über einen Freund, dem die Rahmengröße nicht passt. Die erste richtige Tour führt ihn im Sommer 2021 von Schweinfurt nach Würzburg und dann über Volkach wieder zurück. Marco Heinickel ist begeistert. "Die Touren um Würzburg mag ich sehr, weil es einfach landschaftlich sehr schön ist dort. Und man kann sie immer mit gutem Kaffee und leckerem Essen in der Stadt verbinden!"

Mit ausgedehnten Touren füllt Heinickel den Leerlauf in der Pandemie. Durch den Steigerwald nach Bamberg, am Main wieder zurück. Oder über die Mainschleife und Ochsenfurt nach Würzburg. "Radfahren ist wahnsinnig gut, um den Kopf freizubekommen." Und ein schöner Ausgleich zum stressigen Job in der Industrie. Auch nach der Pandemie will der 34-Jährige bei seinem neuen Hobby bleiben.
5. Daniel Staffen-Quandt, 41, aus Bütthard: Sauerteigbrot

"Wenn im Kühlschrank kein Platz mehr ist für andere Dinge, müssen wir reden!", sagt seine Frau Juliane. Journalist Daniel Staffen-Quandt hortet Mütter in seinem Kühlschrank. Sauerteig-Mütter. Seit Beginn der Pandemie backt er Sauerteigbrot. Mit lebendigen Bakterienkulturen aus Wasser und Mehl. "Das fängt erst mal ziemlich das Stinken an." Aber mit einer gewissen Reife ersetzt ein Löffel der "Mutter" die backtreibenden Eigenschaften der Hefe. "Es gibt Bäckereien, die haben Sauerteig, der hundert Jahre alt ist", sagt der 41-Jährige. "Je älter, desto besser!"
Zeitüberschuss und Rohstoffmangel sind der Auslöser für seine Backleidenschaft. Ende März 2020 gibt es kein Mehl mehr zu kaufen. "Weil alle gedacht haben, dass der D-Day kommt." Er ist in Kurzarbeit, hat Zeit. Und setzt seinen ersten Sauerteig an. Am Anfang macht er viel falsch. Nach zwei Jahren Pandemie weiß er ganz genau, was er macht. Das Brot auf seinem Küchentisch könnte auch von einer Traditionsbäckerei aus der Rhön kommen. Ein angenehm säuerlicher Geruch, knusprige Rinde, das Innere luftig-frisch.
6. Eva-Maria Dobeneck, 37, aus Ettleben: Wichtelgeschichten

"Ich bastel grundsätzlich gern, aber dass es dann so eskaliert, hätte ich nicht gedacht!" Eva-Maria Dobeneck kniet neben einem Baum in ihrem Garten in Ettleben bei Werneck und lacht. Am Fuß des Stammes befindet sich eine kleine Tür. "Die Wichteltüren sind eine Tradition aus dem skandinavischen Raum", erklärt die 37-Jährige. Weil die Weihnachtsmärkte während der Pandemie dichtbleiben, wird die junge Mutter selbst kreativ. Ein Wichtel zieht bei der Familie ein. Die Kinder sind begeistert. Der Wichtel lässt sich zwar nicht blicken. Aber er hinterlässt Spuren. "Zum Beispiel von seiner Silvesterfeier", sagt die 37-Jährige.
Sie denkt sich immer neue Geschichten aus. Im März war der Wichtel in den Urlaub gefahren. Mit einem minutiös gestalteten Wohnmobil. Kleine Atempause. Zu Ostern kam er zurück. Jetzt winkt die nächste Party.
7. Maren Schmitt, 49, aus Bad Kissingen: Digitale Schule

Digitalisierung an der Schule? Maren Schmitt hat im Schulalltag nicht wirklich Zeit, sich damit zu beschäftigen. Sie unterrichtet Englisch und Geschichte in Bad Kissingen – dann kommt der Lockdown. Die Schulen machen dicht. "Wenn nicht jetzt, wann dann?", denkt sich die 49-Jährige.
Am Tag, bevor die Geschäfte schließen, geht sie zum Elektromarkt und kauft sich ein iPad. Sie beschäftigt sich intensiv damit. "Ich hab entdeckt, was man damit Fantastisches machen kann, wie man den Schülern in ihrer Lebenswelt entgegenkommen kann." Arbeitsblätter online austeilen, Übungen kreieren, Quiz erstellen. Und damit eigenständiges Arbeiten und Lernen fördern. Die Gymnasiallehrerin ist begeistert und verbringt Stunden mit dem Gerät, dreht Videos, generiert QR-Codes, entwickelt Spiele, um ihren Schülerinnen und Schülern den Lockdown erträglicher zu machen. Und die nehmen es begeistert an. "Die Digitalisierung hat das Lernen und Arbeiten in der Schule verändert", sagt Maren Schmitt. "Mein Unterricht ist heute ein vollkommen anderer."
8. Laura Holzinger, 25, aus Würzburg: Online-Zumba

"Auch wenn es doch alleine war, war es trotzdem schön, das Gruppenfeeling zu haben", sagt Laura Holzinger. Über die Livestreams von Freundin Lea kommt sie im Lockdown zum Zumba. Und merkt schnell, dass es ihr Spaß macht. Einmal pro Woche tanzt sie mit Lea und vielen anderen Menschen über Zoom. Sie räumt extra ihr Zimmer um, damit sie genug Platz hat. Die 25-jährige Biologiestudentin lebt in einer kleinen 1-Zimmer-Wohnung. "Am Anfang der Pandemie gab es ja die Regel, dass man sich nur mit dem eigenen Hausstand treffen darf. Und da ich allein war, stand ich ziemlich blöd da."
Die wöchentlichen Zumba-Sessions werden ihr Lichtblick. "Bewegung tut der Seele gut", sagt Laura Holzinger. Und der Kontakt zu den anderen gibt ihr ein gutes Gefühl. Auch wenn er eben nur virtuell ist.
9. Tony Wehnert, 26, aus Unterpleichfeld: Schlangen aufpäppeln

"Ich hatte früher eine Schlangenphobie", sagt Tony Wehnert und holt eine Boa Constrictor aus dem Terrarium. "Ich konnte mir nicht mal ein Foto auf dem Smartphone anschauen." Aber sie stellt sich ihrer Angst. Und entwickelt eine Faszination für die Tiere. Aktuell hat die 26-Jährige viele Schlangen in ihrer Obhut – von der Boa bis zur Kornnatter. Mit dem "Snakesitting" beginnt Tony Wehnert in der Pandemie. Der Fotografin brechen Jobs weg, sie hat Zeit.
Im Internet recherchiert sie nach Hilfe-Aufrufen. Ein Schlangenbesitzer, der nach Südafrika auswandert. Menschen, die mit den Tieren schlicht überfordert sind. Tony Wehnert holt die Tiere ab und päppelt sie auf. "Die großen kriegen Kaninchen, die kleineren Mäuse oder Ratten." Sie geht mit den Schlangen zum Tierarzt, bezahlt Untersuchungen. Geht es den Schlangen wieder gut, vermittelt Tony sie weiter. Warum sie das macht? "Weil ich Tiere liebe!", sagt sie, ohne eine Sekunde zu zögern.