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Würzburg: Tschüss Hauptstadt, hallo Main: Aus Berlin nach Unterfranken

Würzburg

Tschüss Hauptstadt, hallo Main: Aus Berlin nach Unterfranken

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    Gerhild Magerl in Würzburg.
    Gerhild Magerl in Würzburg. Foto: Daniel Peter

    Die deutsche Hauptstadt Berlin übt vor allem auf junge Leute eine magische Anziehungskraft aus. Viele, die einmal dort waren, bleiben. Aber den umgekehrten Weg gibt es auch: Fotograf Daniel Peter hat Menschen besucht, die die Metropole hinter sich ließen und nach Mainfranken zogen. Aus beruflichen Gründen, oder wegen der Natur, der Ruhe und des Klimas der „fränkischen Toskana“.

    Gerhild Magerl,  Würzburg

    Gerhild Magerl, Würzburg
    Gerhild Magerl, Würzburg Foto: Daniel Peter

    „ In Berlin schert sich keiner darum, was der andere tut“, erklärt Gerhild Magerl. Die Weinführerin steht im gleißenden Mittagslicht auf der Alten Mainbrücke in Würzburg. 1986 zieht sie in die geteilte Stadt. Vorher lebt sie vier Jahre in Heidelberg und ein Jahr in London. Geboren ist Gerhild in Iphofen. In Berlin schlägt sie sich mit Jobs durch. Sie gibt einem Freund Englischunterricht. Weil er nach Australien auswandern will. Sie genießt die „unendliche Freiheit“ der Stadt. Das „friedlich Multikulturelle.“ „Die Leute sind nicht so engstirnig und probieren viel aus“, sagt Gerhild. Die Liebe bringt sie zurück nach Franken. Sie schätzt die Weinregion. Und empfindet Würzburg zumindest touristisch als schön. „Studenten und Gäste lockern die fränkische Mentalität auf“, erklärt Gerhild.

    Elvis Lentz 17, Ostheim

    Elvis Lentz, Ostheim
    Elvis Lentz, Ostheim Foto: Daniel Peter

    „In Berlin gehst du einmal vor die Tür und lernst zehn neue Leute kennen!“, sagt Elvis Lentz aus Ostheim. Er steht zwischen den kupfernen Sudkesseln der Streck Brauerei in Ostheim vor der Rhön. „Hier ist es halt ein bisschen anders.“ Er grinst. Für die Ausbildung zum Brauer und Mälzer kommt Elvis von Berlin in die Rhön. Von Kreuzberg zum Kreuzberg. Vom Mehringdamm zieht er ins beschauliche Ostheim. „Die ganze Stadt ist so groß wie meine Straße in Berlin“, sagt Elvis und lacht. Aber es gefällt ihm hier. „Ich mag das Ländliche, die Schönheit, die Wälder, Seen und Burgen“, erklärt Elvis. „Das gibt es in Berlin nicht.“ Die Landschaft erkundet er gerne mit dem Motorrad. Am meisten fehlen ihm seine vier Geschwister und sein Freundeskreis in der Hauptstadt. Aber er hat jetzt eine Freundin im benachbarten Wilmars. Und seine erste eigene Wohnung.

    Fadia Abu Samra 44, Würzburg

    Fadia Abu Samra, Würzburg
    Fadia Abu Samra, Würzburg Foto: Daniel Peter

    „Berlin ist zu kalt!“, sagt Fadia. Und damit meint sie nicht nur die eisigen Temperaturen im Berliner Winter. Ihr fehlt die emotionale Nähe untereinander. Die sie an Würzburg so schätzt. 1999 zieht sie in die Hauptstadt. Wegen der Liebe. Und aus beruflichen Gründen. Sie arbeitet im Marketing. Der Herbst in Berlin setzt ihr zu. Ihr fehlt die Wärme der „fränkischen Toskana“. Und die Nähe zur Natur. Knapp ein Jahr später zieht sie zurück nach Würzburg. „In die Mitte Deutschlands. Hier bist du in Sekunden im Grünen“ sagt sie und streichelt die Old English Bulldog namens „Supreme Sims“. „Wenn du in Berlin jemanden besuchen willst, bist du ja erst mal eine Stunde mit der Bahn unterwegs!“ Fadia lacht. „Da bist du ja hier schon in Frankfurt.“

    Vesna und Daniel Biscan 50 und 48,  Ochsenfurt

    Daniel und Vesna  Biscan, Ochsenfurt
    Daniel und Vesna  Biscan, Ochsenfurt Foto: Daniel Peter

    „Berlin ist wie ein großer Bahnhof, alle sind auf der Durchreise“, sagt Daniel, Art Director, Fotograf und Musiker. „Du gehst vor die Haustür und bist im Dauerstress.“ Mit seiner Frau Vesna steht er vor ihrem Atelier im Inneren Graben in Würzburg. Vesna ist Haar- und Make-up-Stylistin. Sie zieht 1989 von Gossmannsdorf nach West-Berlin. Direkt nach Schöneberg. Partyhotspot. In Laufweite zum legendären Café M. „Eine Insel für Künstler. Und Menschen die in Deutschland ihren Platz nicht gefunden haben“, erklärt Vesna. „Viel Input! Kulturelle Vielfalt!“ Die perfekte Plattform, um sich selbst zu finden. Bei einem TV-Auftritt von Nena Mitte der Neunziger trifft Vesna Daniel. Er spielt Gitarre. Sie macht Haare und Make-up. Die beiden verlieben sich. Daniel zieht zu ihr nach Berlin. Erst nach Mitte, dann nach Kreuzberg. Daniel macht Musik, bekommt einen Plattenvertrag. Vesna verschönert nationale und internationale Prominenz. Dann geht es weiter nach Hamburg und Mallorca. „Durch unsere Kinder ist uns dann klar geworden, dass eine Großstadt keine Option mehr ist“, sagt Daniel. Stattdessen wurde es Würzburg. „Ich kannte die Gegend nur vom Besuch der Schwiegereltern. Aber ich dachte, das ist doch Wohnen wie im Urlaub“, sagt Daniel. „Hier kannst du Beziehungen ganz anders aufbauen“, sagt Vesna. „In Berlin führst du ein wirklich wichtiges Gespräch. Und triffst die Person vielleicht nie wieder.“

    Kathi Tränkner 29, Gerbrunn

    Kathi Tränkner, Gerbrunn
    Kathi Tränkner, Gerbrunn Foto: Daniel Peter

    „Eigentlich wollte ich nach der Ausbildung wieder zurück“, sagt Kathi Tränkner aus Gerbrunn. Sie steht vor einem Turm der JVA im Gewerbegebiet Ost. „Ich habe sogar überlegt die Ausbildung abzubrechen!“, fügt sie hinzu. Kathi ist in Oranienburg geboren. Ihre Mutter wohnt in Berlin. Sie pendelt zwischen den beiden Orten. 2009 kommt sie nach Bad Mergentheim. Sie macht eine Ausbildung als Krankenschwester. Dort fühlt sie sich nicht wohl, hat viel Heimweh. Aber sie bleibt: „Der Liebe wegen!“ Dann kommt sie nach Würzburg. Erst zum Feiern. Nach der Ausbildung dann zum Studieren. Hier fühlt sie sich wohl. „Ich liebe Würzburg!“, sagt Kathi. „Die Natur. Die Weinberge. Und die Ruhe.“ Sie lernt viele Leute kennen. Und will bleiben. Im Rahmen ihres Studiums macht sie ein Praxissemester in der JVA. Sie hilft den Männern in Untersuchungshaft mit Alltäglichem. Und gibt Deutschkurse für ausländische Gefangene. „Manche haben einfach nur Redebedarf“, sagt Kathi.

    Rebecca und Janosch Blaul 37 und 40,  Höchberg

    Rebecca und Janosch Blaul, Höchberg
    Rebecca und Janosch Blaul, Höchberg Foto: Daniel Peter

    „Was mir wirklich fehlt, ist die kulturelle Vielfalt“, sagt Rebecca. Mit ihrem Mann Janosch steht sie im Garten der Familie in Höchberg. Als die beiden nach Würzburg ziehen, schließt mit dem Corso gerade das letzte Programmkino. Rebecca ist schwanger. Und die zwei gebürtigen Franken entschließen sich, der Hauptstadt den Rücken zu kehren. Nach zehn Jahren Berlin. Sie ziehen mitten in die Würzburger Innenstadt. „Textorstraße! Wegen dem Trubel!“, erklärt Rebecca. Damit der Übergang nicht so hart ausfällt. Mit ihrer Band „Pupkulies & Rebecca“ touren sie auch von Würzburg aus noch durch die Welt. „Wir haben ständig irgendwo gespielt!“, sagt Janosch. „Wir hatten genug Großstadt!“ Trotzdem fehlt ihnen Berlin. Sie vermissen ihre Freunde. Dafür haben sie in Würzburg Familie. Und die Nähe zur Natur: „Hier siehst du das Ende der Stadt!“ sagt Rebecca. „Du siehst, da fängt Natur an!“

    Mandy J. Wetzel 29, Ochsenfurt

    Mandy Josephine Wetzel, Ochsenfurt
    Mandy Josephine Wetzel, Ochsenfurt Foto: Daniel Peter

    „Das Leben hier ist zehn Herzschläge langsamer“, sagt Mandy Josephine Wetzel. Sie sitzt zwischen leeren Bistrotischen am Marktplatz in Ochsenfurt. Ein Radfahrer im bunten Trikot fährt vorbei. Im Hintergrund zeichnen sich die Fachwerkhäuser ab. Sonntägliche Stille. „In Berlin gehst du auf fünf Partys in einer Nacht. Und dann noch auf eine Hausparty!“, sagt Mandy und lacht. Sie ist in Spandau geboren und aufgewachsen. Über ihren Job als Disponentin kommt sie nach Franken. „Die Menschen in Berlin sind sehr offen. Man hat viele lockere Bekanntschaften“, erklärt Mandy. In Ochsenfurt pflegt sie einen kleinen Kreis von engen Freunden. Die achten aber mehr aufeinander. Sie liebt die Weinberge. Die kleinen Feste. Und die Weite der Landschaft. „In Berlin ist der Ausblick sehr beschränkt“, sagt Mandy

    Danny Peschke 32, Würzburg

    Danny Peschke, Würzburg
    Danny Peschke, Würzburg Foto: Daniel Peter

    „Ich bin in Würzburg mit offenen Armen empfangen worden“, sagt Danny Peschke. „Obwohl ich ein Saupreuß' bin.“ Er lacht. Danny kommt mit elf aus Sachsen in die Hauptstadt. Seine Mutter ist gebürtige Berlinerin. „Meine prägendste Zeit hab ich in Berlin verbracht“, sagt Danny. Nach dem Abitur will er in die Veranstaltungsbranche. In Berlin findet er keinen Ausbildungsplatz. Er zieht nach Suhl. In die Thüringer Provinz. Nach der Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann führt ihn der Job nach Franken. Als Projektleiter startet er beim Konzertveranstalter Argo. Er lebt sich schnell ein in Würzburg: „Ich liebe das fränkische Essen. Und das fränkische Bier!“, sagt Danny. Er lernt viele offene Leute kennen. Ganz im Gegensatz zum Klischee des Franken. Seine Berliner Freunde fehlen ihm trotzdem oft. „Und natürlich der gute alte Späti!“, sagt Danny und lacht.

    Thomas Garos 36, Karbach

    Thomas Garos, Karbach
    Thomas Garos, Karbach Foto: Daniel Peter

    „Berlin war meine Welt“, sagt Thomas. Seine Augen funkeln, als er von seiner Zeit dort erzählt. Ein großes Abenteuer. Er steht zwischen Beeten und Pflanzen im Garten seines Anwesens an der Hauptstraße in Karbach. Thomas verkauft Obst und Gemüse. Aus eigenem Anbau. Und von regionalen Biobauern. Schon mit 16 zieht er in die große Stadt. Er geht auf die Artistenschule. Mitten in die Berliner Künstlerwelt. Er ist noch nicht volljährig. Deswegen lebt er in einem Sportinternat im Osten. Prenzlauer Berg. Und lernt viele Leute kennen. In der Schule. „Und einfach so, auf der Straße“, sagt Thomas. „Die Leute in Berlin sind sehr offen. Aber sie laufen mit ihren eigenen Problemen durch die Stadt.“ Zum 18. Geburtstag zieht er nach Neukölln. Nähe Sonnenallee. Zwei Zimmer für 185 Euro. Er trifft Artisten vom Zirkus Flic Flac. Und geht mit auf Reisen. Nach zwei Jahren hat er einen Unfall und steigt aus. Er strandet in Würzburg und macht eine Ausbildung als Koch. Er lernt Meike kennen und verliebt sich. Die beiden kaufen ein Haus in Karbach. Mit viel handwerklichem Geschick verwandelt es Thomas in eine ländliche Oase. Er fühlt sich wohl. Ganz abgeschlossen hat er mit der Hauptstadt aber noch nicht: „Als Stadt kommt nach wie vor nur Berlin infrage.“

    Dominik Günther 43, Würzburg

    Dominik Günther, Würzburg
    Dominik Günther, Würzburg Foto: Daniel Peter

    „Du gehst ja nicht mehr ins Berghain, wenn du eine dreijährige Tochter hast!“, sagt Dominik und grinst. Er sitzt in seiner Wohnküche in der Sanderau und backt französische Spritzkuchen. Das pulsierende Leben der Hauptstadt fehlt ihm trotzdem. „Die Clubszene, die Restaurants, das Leben auf der Straße!“ Dominik nippt an seinem Kaffee. „In Berlin bekommst du für vier Euro einen Döner, der nicht von dieser Welt ist“, sagt er. „Und hier tun sie halt Dosenmais drauf!“ Er lacht. Um die Jahrtausendwende zieht Dominik von Schweinfurt nach Berlin. Zum Zivildienst. Er wohnt in Friedrichshain über einem illegalen Schnapsladen. „In der Dämmerung gingen auf einmal die Rollos hoch und eine Horde Alkis stand vor dem Haus“, sagt der 43-Jährige. „Die haben mich dann immer beschimpft.“ Er lacht. Nach dem Zivildienst zieht Dominik nach Kreuzberg und macht eine Ausbildung in der Gastronomie. Dort findet er seine Berufung: „Küche ist das Geilste!“, sagt er. „Sich mit Köchen aus der ganzen Welt die Tage und Nächte um die Ohren hauen!“ Das macht ihm Spaß. Er arbeitet in verschiedenen Läden in der Hauptstadt. Und macht einen Abstecher nach Hamburg. Mit der Familie verschlägt es ihn nach Würzburg. „In den ersten zwei Jahren wollte ich wieder zurück“, sagt Dominik. Aber inzwischen gefällt es ihm gut. Er leitet die Küche in einem kleinen Lokal in der Innenstadt. „Das Draußen ist schön hier“, sagt Dominik. Mit der Familie besucht er einen Ziegenbauern in Karlstadt. Oder badet an der Mainschleife.

    Johanna Juni 33, Würzburg

    Johanna Juni, Würzburg 
    Johanna Juni, Würzburg  Foto: Daniel Peter

    „In Berlin setze ich mich manchmal einfach in ein Café und beobachte die Menschen“, sagt Johanna. Im Alltag der Hauptstadt findet sie Inspiration. „In Würzburg funktioniert das nur sehr begrenzt!“ Johanna lacht. Sie steht zwischen zwei Skulpturen im Hofgarten der Residenz. Am Horizont zeichnet sich die Silhouette der Festung ab. Schon schön hier. Aber das reicht ihr nicht. Nach dem Abitur zieht Johanna nach Berlin. Sie studiert an der Humboldt-Universität. Klare Berufsvorstellungen hat sie nicht. Aber sie will schreiben. Sie arbeitet freiberuflich als Journalistin und Texterin, publiziert auf den unterschiedlichsten Kanälen. Sie zieht Energie aus dem pulsierenden Leben der Metropole. Aber sie denkt auch über einen Standortwechsel nach. Die Mieten steigen. Und ihre Freundinnen ziehen in die Peripherie. „In Berlin ist es auf Dauer laut, voll und die Wege sind weit“, erklärt Johanna. Nach knapp einem Jahrzehnt in der Metropole deuten sich in der Heimat berufliche Perspektiven an. 2017 wählt Johanna das fränkische Exil. „Man weiß, mit wem man hier zusammenlebt. Anstelle von Anonymität gibt es ein Gemeinschaftsgefühl“, sagt die 33-Jährige. Es fehlen halt die unzähligen unterschiedlichen Menschen, die man in Berlin trifft. „Aber man kann eben nicht alles haben“, sagt Johanna.

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