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Schweinfurt: Kulturerbe Schweinfurter Schlachtschüssel: Viel Fleisch und eine Sauschwänzchen-Attacke - so läuft das Gelage ab

Schweinfurt

Kulturerbe Schweinfurter Schlachtschüssel: Viel Fleisch und eine Sauschwänzchen-Attacke - so läuft das Gelage ab

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    Schweinefleisch gewürzt mit viel Tradition, serviert auf der riesigen Holztafel: Willkommen bei der Schweinfurter Schlachtschüssel.
    Schweinefleisch gewürzt mit viel Tradition, serviert auf der riesigen Holztafel: Willkommen bei der Schweinfurter Schlachtschüssel. Foto: Patty Varasano

    Samstagmittag kurz nach 14 Uhr im Pfarrsaal Maximilian Kolbe im Schweinfurter Stadtteil Deutschhof. Das Musikanten-Trio intoniert das erste Lied. 260 Hände trommeln wie wild mit Messer und Gabel auf den Tisch. Das Getöse ist der Startschuss zur Schlachtschüssel. Genauer: zur Original Schweinfurter Schlachtschüssel! Auf diesen feinen Unterschied legen die Einheimischen wert. Denn es gibt ein festes Ritual, wie das gekochte Schweinefleisch den Gästen kredenzt wird.

    Und das gibt es so eben nur hier, in Schweinfurt, der Wälzlagerstadt am Main. Im vergangenen Jahr ist dieses Ritual, diese uralte gesellige Tradition, als Immaterielles Kulturerbe geadelt worden.

    Die Original Schweinfurter Schlachtschüssel dient nicht allein der Nahrungsaufnahme, sondern ist ein geselliges Fest mit langer Tradition und festen Ritualen: Hier sind gerade 130 Menschen im Pfarrsaal Maximilian Kolbe in Schweinfurter Stadtteil Deutschhof zusammengekommen.
    Die Original Schweinfurter Schlachtschüssel dient nicht allein der Nahrungsaufnahme, sondern ist ein geselliges Fest mit langer Tradition und festen Ritualen: Hier sind gerade 130 Menschen im Pfarrsaal Maximilian Kolbe in Schweinfurter Stadtteil Deutschhof zusammengekommen. Foto: Patty Varasano

    Gegessen wird von einer zimmertürgroßen Holzplatte, die über den Tisch gelegt wird. Neben den Getränken haben dort nur Sauerkraut, Meerrettich, Salz, Pfeffer und Brot ihre Daseinsberechtigung. Fleißige Helferinnen und Helfer tragen auf großen Tabletts das Fleisch herbei und drapieren es mitten auf die Platte. Der erste von vier Gängen. Jeder nimmt sich, was er möchte.

    Das gekochte Schweinefleisch wird auf großen Holzbrettern serviert, die über die Tische gelegt werden. Teller gibt's nicht.
    Das gekochte Schweinefleisch wird auf großen Holzbrettern serviert, die über die Tische gelegt werden. Teller gibt's nicht. Foto: Patty Varasano
    Diese fünf Zutaten - und nicht mehr - gehören neben dem Fleisch zu einer Schweinfurter Schlachtschüssel: Pfeffer, Salz, Sauerkraut, Meerrettich, Brot.
    Diese fünf Zutaten - und nicht mehr - gehören neben dem Fleisch zu einer Schweinfurter Schlachtschüssel: Pfeffer, Salz, Sauerkraut, Meerrettich, Brot. Foto: Patty Varasano
    Vorbereitung ist alles: Gewürfelte Brotstücke, Meerrettich und eine Pfeffer-Salz-Mischung warten auf den ersten Gang.
    Vorbereitung ist alles: Gewürfelte Brotstücke, Meerrettich und eine Pfeffer-Salz-Mischung warten auf den ersten Gang. Foto: Patty Varasano

    Mit dem Bauchfleisch geht es los. Sehr zur Freude von Christian Stoßberg, der mit seiner Familie gekommen ist. "Ich bin ein Bauchfleisch-Esser!" Seine Frau und der Sohn warten eher auf die Innereien. 60 Kilogramm Bauch hat Metzger Albrecht Hüblein diesmal dabei, um die 130 hungrigen Münder zu sättigen. Drei bis vier Tiere haben in den Tagen davor ihr Leben dafür lassen müssen.

    Da kommt Freude auf: Fleisch wird ständig nachgeliefert. Alleine 60 Kilogramm Schweinebauch werden bei der Schlachtschüssel am Deutschhof verputzt.
    Da kommt Freude auf: Fleisch wird ständig nachgeliefert. Alleine 60 Kilogramm Schweinebauch werden bei der Schlachtschüssel am Deutschhof verputzt. Foto: Patty Varasano
    Cheforganisator Theo Hergenröther mit einem speziellen Chef-Lätzchen.
    Cheforganisator Theo Hergenröther mit einem speziellen Chef-Lätzchen. Foto: Patty Varasano
    Und dann der nächste Gang: Vier sind es diesmal am Deutschhof.
    Und dann der nächste Gang: Vier sind es diesmal am Deutschhof. Foto: Patty Varasano

    Hüblein ist eher Schlachtschüssel-Frischling. 2023 hat er die traditionsreiche Metzgerei Geeb im Stadtteil Oberndorf übernommen. Da war ihm als Erlabrunner die Schlachtschüssel noch eher fremd. Seitdem aber ist der Metzger im Geschäft, richtet in der Saison, die von September bis April dauert, 30 bis 35 Veranstaltungen aus. 4000 Portionen!

    Alle Hände voll haben der Metzger und seine Gehilfen zu tun: Das Fleisch muss für 130 Personen portioniert werden.
    Alle Hände voll haben der Metzger und seine Gehilfen zu tun: Das Fleisch muss für 130 Personen portioniert werden. Foto: Patty Varasano
    Für Kenner eine Delikatesse: der Rüssel.
    Für Kenner eine Delikatesse: der Rüssel. Foto: Patty Varasano
    Bei der Schweinfurter Schlachtschüssel ist das Tragen eines Schlachtschüssel-Lätzchens obligatorisch.
    Bei der Schweinfurter Schlachtschüssel ist das Tragen eines Schlachtschüssel-Lätzchens obligatorisch. Foto: Patty Varasano

    "Die Schnüdel haben mich gut aufgenommen", lacht der Mann aus dem Landkreis Würzburg. Schnüdel ist der Spitzname der Schweinfurter.

    Bei der Schlachtschüssel geht es um viel mehr als satt zu werden

    Eine Reihe Gaststätten in und um Schweinfurt bieten Schlachtschüsseln an. Das Angebot ist tatsächlich vielfältig, die Nachfrage groß. Von Kegelclubs, Nachbarschaften, Stammtischen. Die Schlachtschüssel vom Bürgerverein Deutschhof sei die größte regelmäßig stattfindende Schlachtschüssel der Stadt, sagt der Vorsitzende Theo Hergenröther mit Stolz: "Seit 1980." Und sie ist viel mehr als Nahrungsaufnahme: "Essen, ratschen, lachen - ein gesellschaftliches Ereignis halt."

    Und ein Schnäppchen für alle, die Hunger haben: Mitglieder des Bürgervereins zahlen 15 Euro, alle anderen 28 Euro. Kaffee und Kuchen inklusive. Dazu reisen einige extra an. Der gebürtige Brasilianer Rafael und Claudia aus Hofheim im Landkreis Haßberge etwa.

    Auf seinem Handy zeigt Rafael Fotos aus Brasilien: eine lange Reihe mit Grills, auf denen je ein ganzes Schwein 20 Stunden lang brutzelt. Große Feste mit viel Fleisch sind ihm geläufig, aber da bekommt man sein Grillgut halt auf den Teller. Das war's. Ein solches Brimborium wie bei der Schlachtschüssel gibt es nicht. Erfunden hat sie angeblich eine Gastwirtin 1840.

    Neben der Nahrung für den Magen gibt es Nahrung fürs Gemüt: Bei der Schlachtschüssel am Deutschhof gehört Livemusik dazu.
    Neben der Nahrung für den Magen gibt es Nahrung fürs Gemüt: Bei der Schlachtschüssel am Deutschhof gehört Livemusik dazu. Foto: Patty Varasano
    Ausgelassene Stimmung wie bei einem Stadtteilfest: nach dem Fleisch kommt das Liedgut.
    Ausgelassene Stimmung wie bei einem Stadtteilfest: nach dem Fleisch kommt das Liedgut. Foto: Patty Varasano

    Inzwischen hat die Musik mal wieder aufgespielt. Die Gäste greifen zum Liederbuch. Sie huldigen "Schweifert, Gretelfläsch und Wurscht". Das Frankenlied darf später nicht fehlen. Die ersten Schnäpse machen die Runde. Die Stimmung ausgelassen. Außer zum Fotografieren fummelt niemand an seinem Mobiltelefon herum.

    "Er hängt!": Das erste Opfer des Sauschwänzchen-Attentats

    Das magere Kammfleisch ist bei den Stoßbergs nicht so gefragt. Dafür greift Dace Stoßberg beim Zwischengang für Genießer zu: Bries und Ohren. Das erinnert sie an ihr Herkunftsland Lettland, wo es wie im Fränkischen die lange Tradition der Hausschlachtungen gibt. Schon als Kinder musste man da mit anpacken. Und die Ohren waren begehrt und rar.

    Nicht aufgepasst! Zur Belustigung wird Nichtsahnenden das Sauschwänzchen an die Kleidung gehängt.
    Nicht aufgepasst! Zur Belustigung wird Nichtsahnenden das Sauschwänzchen an die Kleidung gehängt. Foto: Patty Varasano
    "Er hängt!" Wenn das Schwänzchen einen neuen unbedarften Besitzer bekommt, ruft die gesamte Gästeschar das Ergebnis aus.
    "Er hängt!" Wenn das Schwänzchen einen neuen unbedarften Besitzer bekommt, ruft die gesamte Gästeschar das Ergebnis aus. Foto: Patty Varasano

    "Er hängt!", ruft die Menge. Wer nicht aufpasst, dem wir heimlich ein Sauschwänzchen mit einem Haken an Hose oder Hemdkragen gepinnt. Ausgerechnet Theo Hergenröther ist heute das erste Opfer des Sauschwänzchen-Attentats. Sehr zur Freude der Gästeschar. Jetzt muss der Behängte sehen, das Teil schnell wieder loszuwerden.

    In der Folge machen sich die Stoßbergkinder verdient, dass das Schwänzchen in Umlauf bleibt. Auch die eigene Oma wird nicht verschont.

    Kammfleisch, Kopffleisch, dann die Zunge: Zum Finale im Schlachtschüssel-Himmel

    Nach dem zarten Kopffleisch folgt das, worauf die Kenner gewartet haben: Nieren und Zunge. Ein bisschen Salz und Pfeffer, ein Streifen Meerrettich drauf, Sauerkraut und Bauernbrot daneben. Das ist für viele der Schlachtschüssel-Himmel zum Finale.

    Was übrig bleibt, schaben die Helferinnen und Helfer mit großen Maurerkellen von der Platte. Früher kamen die Reste in die Wurst, die die Gäste mit nach Hause nehmen durften. Heute dürfen sie nicht mehr weiterverwertet werden. Hygienevorschriften.

    Jetzt ist (fast) alles vorbei: Vorsichtig werden die Holzplatten vom Tisch genommen. Es kommen ja noch Kaffee und Kuchen.
    Jetzt ist (fast) alles vorbei: Vorsichtig werden die Holzplatten vom Tisch genommen. Es kommen ja noch Kaffee und Kuchen. Foto: Patty Varasano
    Zum Ausgleich noch was Süßes: Streuselkuchen rundet das fleischlastige Gelage ab.
    Zum Ausgleich noch was Süßes: Streuselkuchen rundet das fleischlastige Gelage ab. Foto: Patty Varasano

    Mit routinierter Vorsicht werden jetzt die Holzplatten von den Tischen gehoben. Die obligatorischen Lätzchen landen in einem großen Müllsack und kommen in die Wäsche. Das Gelage ist noch nicht vorbei.

    Immer noch Hunger? Da kommt ein Streuselkuchen recht

    Zeit für Kaffee und Streuselkuchen. Das Musikanten-Trio aus dem Steigerwald zieht von Platz zu Platz, spielt ein Lied nach dem anderen. Da hat man sich längst vom Schlachtschüssel-Gesangbuch verabschiedet und ist bei Udo Jürgens und Andrea Berg gelandet.

    Nach dem Essen das Ratschen, wie Theo Hergenröther gesagt hat. Die Atmosphäre hat was von einem Stadtteilfest. Paare tanzen zur Musik. Die meisten bleiben noch lange sitzen. Als die letzten gehen, ist es draußen schon dunkel.

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    Wie der Autor die Recherche erlebteDen wichtigsten Insider-Tipp habe ich beherzigt: Zu Beginn bloß nicht zu viel Brot essen oder beim ersten Gang schon in die Vollen greifen! Denn bei der Schlachtschüssel soll im Magen noch Platz sein, wenn hintenraus die schweinischen Leckereien kommen. Wie das zarte Kopffleisch oder die Zunge. Ich habe es tatsächlich bis zum leckeren Streuselkuchen geschafft. Was mich bei der Deutschhöfer Schlachtschüssel beeindruckt hat, war nicht nur die herzliche Gastfreundschaft der Organisatoren, sondern die ungezwungene und gelöste Atmosphäre. Man sitzt beieinander, auch wenn man sich nicht kennt. Man unterhält sich, erzählt sich Geschichten aus dem Leben. Es wird viel und laut gelacht. Und die Gaudi kommt auch nicht zu kurz. Es ist eben mehr als ein Essen, sondern ein gesellschaftliches Ereignis mit wichtiger sozialer Relevanz.Josef Schäfer

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