Der Reunion Tower in Downtown, vielleicht das bekannteste Wahrzeichen von Dallas, erstrahlt nachts üblicherweise in einem attraktiven Lichterspiel. Der kugelähnliche Korb auf dem Turm bescheint die Stadt abwechselnd bunt, und die Farben können anlassbezogen gesteuert werden. Am Dienstagabend leuchtete die Kuppel in Schwarz, Rot und Gold. Und die LED-Lichter erschienen in einer Art um die Kugel wanderndes Spruchband. Darauf stand: "Danke Dirk!"
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Der Turm gilt als Erkennungszeichen der Stadt und auch als futuristisches Symbol. Und war an diesem Abend doch nur Projektionsfläche einzigartiger Geschichte. Es war 22.25 Uhr, als eineinhalb Meilen entfernt knapp 20 000 Menschen Zeugen eines - ja, man darf es so sagen: sporthistorischen Augenblicks wurden. "That was my last homegame", sprach Dirk Nowitzki ins Hallenmikrophon. Nein, eigentlich nuschelte er mehr, dass dies sein letztes Heimspiel gewesen war

Was er damit auch sagte, ohne es explizit auszusprechen: Nach der letzten Partie seiner 21. Saison in der stärksten Basketball Liga der Welt in San Antonio am Mittwochabend wird er seine Stiefel für immer an den Nagel hängen. Dann sagte der gebürtige Würzburger, wie dankbar er für die letzten 20 Jahre ist und dass er sich jetzt vermehrt um seine Frau Jessica und seine Kinder Malaika (5), Max (4) und Morris (zweieinhalb) kümmern will.

"Ich bin ein bisschen überwältigt", sagte Nowitzki. "Ich probiere gerade meine Yoga-Atmung aus, aber es funktioniert nicht so richtig." Er lächelte dabei und wirkte gefasst, auch wenn der 40-Jährige immer mal wieder schlucken musste zwischendurch und auch Pausen einlegen. Tränen waren ihm gegen Ende des zweiten Viertels der Partie gegen die Phoenix Suns in die Augen geschossen, als in einer Auszeit auf dem riesigen Würfel unterm Hallendach ein Video eingespielt wurde, das ihn mit kranken, auch todkranken Kinder zeigte, mit denen er herumalberte und ihnen mit seinem Besuch einen Wunsch erfüllte und Freude bereitete.
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Dass das American Airlines Center an diesem hochemotionalen Abend nicht zu einem Tempel der Tränen wurde, lag vor allem auch am Hauptdarsteller, der erklärte, seine Entscheidung sei in den vergangenen Tagen gereift. Zuvor hatte Nowitzki immer wieder betont, er wolle nach der Saison im Karibikurlaub mit der Familie über seine Zukunft entscheiden. Mit der Fortsetzung seiner einzigartigen Karriere hatte er zuletzt auch immer wieder kokettiert, was ihn zum alleinigen Rekordhalter der NBA-Geschichte gemacht hätte: 22 Spielzeiten hat noch keiner seine Knochen hingehalten. 21 für einen Klub - wie Nowitzki für die Mavericks - auch noch niemand. Aber: "Es hat einfach keinen Sinn mehr gemacht", sagte Nowitzki. Er bedankte sich bei Klubbesitzer Mark Cuban und Trainer Rick Carlisle "für diesen Abend" und bei "allen Fans, die mich unterstützt haben".

Wenn es tatsächlich noch eines Beweises bedurft hätte, welchen Ruf sich Dirk Nowitzki in den Staaten erworfen hat, einen Status, den man in Deutschland kaum einschätzen kann, auch weil den Deutschen der amerikanische Starkult mindestens suspekt ist, dann hat man diesen Beweis an diesem Abend bekommen. Nowitzki wird in den USA seit Jahren in einer Art verehrt, dass auch Musik- und Hollywoodstars Neid empfinden dürfen. Nicht genug damit, dass in der Halbzeitpause allerlei ehemalige und aktuelle Basketballprominenz auf dem eingespielten Video Lobeshymnen auf Nowitzki sang. Nach der Partie, die Dallas mit 120:109 gewann, wurde er erneut mit einem minutenlangen Video gewürdigt, ehe die NBA-Legenden Charles Barkley, Larry Bird, Scottie Pippen und Shawn Kemp sowie Detlef Schrempf das Parkett betraten. Um einen der ihren ihre Ehre zu erweisen.

Barkley, einer der besten Spieler der Geschichte, in der NBA zwar ungekrönt, da ohne Meisterschaftsgewinn, dafür mit dem legendären US-Dream-Team 1992 und 1996 mit olympischem Gold ausstaffiert, sprach ins Rund: "Lasst mich eins über Dirk Nowitzki sagen: Er ist der netteste Mensch aller Zeiten. Es war eine Ehre und ein Privileg, dir zuzusehen. Genieße den Rest deines Lebens."
Earvin Magic Johnson, Ikone der Los Angeles Lakers und Dominator der 80er Jahre in der NBA, hatte Nowitzki früher schon zu einem "der größten Basketballer aller Zeiten" erhoben. Da passt es natürlich wie die Faust aufs Auge, dass der Würzburger, der am Dienstagabend sagte, er sei inzwischen ein Texaner, auch in seinem vorletzten Spiel einen weiteren Meilenstein setzte: 30 Zähler machte er - das war ihm zuletzt im März 2016 gelungen -, und damit löste er Michael Jordan als ältesten Spieler ab, der in einer Partie mindestens 30 Punkte erzielte. Wobei zur ganzen Wahrheit dieser neuesten Bestmarke natürlich auch gehört: Jordan erzielte mit 40 sogar noch einmal 43 Zähler und war bei seinem Karriereende schlicht ein paar Monate jünger als Nowitzki.
Und: Zum einen wollten die Suns dem großen alten Mann seine Abschiedsparty nicht wirklich versauen, zum anderen taten seine Teamkollegen - wie von Maximilian Kleber tags zuvor angekündigt - alles dafür, Nowitzki in Position zu bringen. Die ersten vier Minuten traute sich gar kein anderer zu werfen. 14 Mal wurde Nowitzki in seiner Karriere ins All-Star Game berufen, dem Showspiel der Besten der Besten. Und wenn er am Dienstagabend auf dem Parkett stand, was er mit über 30 Minuten sehr lange tat, konnte man zumindest zwischenzeitlich ein wenig das Gefühl bekommen, es sei sein 15. Auftritt. Mit dem Unterschied: Es war dann nur ein wirklicher All-Star auf dem Feld.
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Nun tritt er also ab als Halter unzähliger NBA-Rekorde. Nicht schlecht für einen, der früher lieber Handball und Tennis spielte und Basketball für Frauen-Sport hielt – vermutlich, weil Mutter und ältere Schwester Basketball-Nationalspielerinnen waren. All diese Geschichten und noch viele mehr über Dirk Nowitzki und all seine Meilensteine sind – nicht nur in Deutschland – so oft erzählt worden. Im Grunde ist dieses Epos schon lange auserzählt. Nur zur Erinnerung, in den Geschichtsbüchern bleibt zuvorderst stehen: Dirk Nowitzki war der erste Europäer, der in der NBA zum wertvollsten Spieler einer Spielzeit gekürt wurde (Saison 2006/07).
Als erster Deutscher gewann er den NBA-Titel (2011) und wurde zum wertvollsten Spieler der Finalserie auserkoren. Nach der Meisterschaft wurde Nowitzki als erster Mannschaftssportler von den deutschen Sportjournalisten zum "Sportler des Jahres" gekürt – und weit über 10 000 Menschen huldigten ihm bei einem Empfang auf dem Würzburger Residenzplatz, wo er entspannt von einem der Balkone herunterwinkte. Mit nun 31 540 Punkten ist Nowitzki der Sechstbeste in der ewigen Korbjägerliste der NBA, und mit 10 011 Defensivrebounds gehört er zu den Top Fünf derjenigen, die sich die meisten Abpraller unterm eigenen Korb gekrallt haben.

Vor gut 20 Jahren, am 5. Februar 1999, betrat Dirk Werner Nowitzki erstmals das Parkett der besten Basketball-Liga der Welt. Es war außergewöhnlich, dass ein No-Name-Rookie wie er im ersten Spiel von Anfang an mittun durfte. Im Buch "Einfach Er" der ehemaligen Main-Post-Redakteure Jürgen Höpfl und Fabian Frühwirth, die Nowitzki lange Jahre begleiteten, wird Trainer Don Nelson zu Nowitzkis Premiere so zitiert: "Er kam mir wie ein Baby vor, das man im Urwald ausgesetzt hat." Der Mogli der NBA schätzte es damals so ein: "Da war ich total neben der Spur. Ich war wegen der NBA-Premiere nicht sonderlich nervös. Aber als es losging, dachte ich plötzlich an alles außer Basketball. Ich war richtig im falschen Film, und das war auch für mich ziemlich enttäuschend."

Anschließend habe er sich im Hotelzimmer eine Ewigkeit seine Fehler anschauen müssen: "Bis zum Erbrechen, stundenlang das Video auf- und abgespult." Es sollte helfen: "Beim nächsten Spiel in Golden State habe ich 16 Punkte gemacht und gezeigt, dass ich mithalten kann." Mithalten . . . Heute klingt das putzig.
Da die Taktung des NBA-Spielplans bei anderen Sportlern neben Muskellähmungen auch Angstschweiß und Magengeschwüre verursachen könnte, blieben Nowitzki .gerade einmal gut 20 Stunden von seiner Rücktrittsverkündung bis zu dem Zeitpunkt, als er das allerletzte Mal NBA-Parkett betrat am Mittwochabend in San Antonio. "Ich glaube schon, dass es hart wird", hatte er vergangenen Freitag in der Kabine der Mavericks gesagt, als er gefragt worden war, wie er sich die Zeit ohne Basketball zu spielen, vorstelle. Seit er 15 ist, tat er das auf professionellen Niveau. "Ich werde es vermissen."
Und viele Menschen - nicht nur in Dallas - ihn.