Mittags ist er gut zu erreichen. Dann hat Bauer Barry, dessen durchgetakteter Tagesablauf vom morgendlichen Workout über das Training der U9 am Nachmittag zu Übungseinheiten mit der ersten Mannschaft des ESC Haßfurt am Abend sehr deutsche Züge annimmt, Zeit. Zeit, sich in weißen Sneakern, blauer Jeans und schwarzer Trainingsjacke auf den grauen und eiskalten Betonstufen des Haßfurter Eisstadions am Großen Anger niederzulassen und zu erzählen, wie das hier eigentlich alles gekommen ist.

Über die Kälte kann er währenddessen sowieso nur müde lächeln, Minustemperaturen ist er aus seiner Heimat gewohnt. Seit dieser Saison heißt es für den 23-Jährigen Mainfranken statt Minnesota, Eishockey-Landesliga statt College-Hockey. Bauer Barry ist der erste US-Boy in der 20-jährigen Vereinsgeschichte des ESC, was er aber gar nicht auf dem Schirm hat und mit einem erstaunten "Oh, really?" kommentiert.
Was ihn sonst noch in seinen bisher drei Monaten in Deutschland überrascht hat, wer ihm das Autofahren mit manueller Schaltung beigebracht hat, wie er ausgerechnet zum ESC Haßfurt gekommen ist und was es mit seinem ungewöhnlichen Namen auf sich hat, erzählt der Verteidiger im Interview.
Frage: Sagt Ihnen ein gewisser Shane Gersich etwas, Herr Barry?
Bauer Barry: Tatsächlich kenne ich ihn, ja. Er stammt wie ich aus Chaska, und bei 30.000 Einwohnern kennen sich die Eishockeyspieler schon. Wir sind ein paar Mal zusammen geskatet. Wie kommen Sie auf ihn?
Shane Gersich spielt seit dieser Saison für die Iserlohn Roosters in der DEL. Wieso zieht es Eishockeyspieler aus dem Land der 10.000 Seen ausgerechnet nach Deutschland?
Barry: Tatsächlich? Das wusste ich gar nicht, er ist ein paar Jahre älter als ich. Gute Frage. Ich hatte mich in der Schule für Deutsch als Fremdsprache entschieden, habe also die Sprache und die Kultur kennengelernt. Ich bin ein Fan davon, ich liebe die deutsche Kultur. Es lag also auf der Hand, irgendwann einmal selbst nach Deutschland zu kommen.
Es hat nicht lange gedauert. Im Alter von 22 Jahren sind Sie im September in den Flieger gestiegen.
Barry: College-Hockey hat mir Spaß gemacht. Aber nach zwei Jahren habe ich gemerkt, dass ich etwas Größeres probieren will. Ich wollte ein Risiko eingehen. Das Risiko, mich als Eishockey-Profi in Europa zu versuchen.
Ausgerechnet in Deutschland?
Barry: Amerikanische Ligen sind zwar qualitativ gut, haben aber Nachteile. 15 Stunden Busfahrt für ein Spiel sind keine Seltenheit. Mein Gedanke war es, die europäische Eishockey-Kultur kennenzulernen. Ich liebe es, auf der großen Fläche zu spielen. Die Rivalität zwischen den Vereinen ist cool, das erinnert mich an meine Highschool-Zeit. Außerdem wollte ich in meiner Freizeit die Kultur einsaugen, neue Städte anschauen, neue Leute kennenlernen. Dass es Deutschland geworden ist, hat sich einfach angeboten.
Wie kam die Verbindung zum ESC Haßfurt zustande?
Barry: Jeder will so hoch wie möglich spielen. Mein Agent (der auch schon den Kanadier Samy Paré in der Vorsaison zum ESC gelotst hatte, Anm. d. Red.) hat natürlich auch Bayernligisten kontaktiert, aber ich habe als College-Spieler keine Profierfahrung. So war es schwer, einen Platz im Kader zu bekommen. Also haben wir uns in der Landesliga umgeschaut. Und da gibt es kein Team, das vergleichbar ist mit Haßfurt. Ich musste nicht lange überlegen. Jeder Fan, jeder Helfer, den ich hier kennengelernt habe, ist überragend. Es war definitiv die richtige Entscheidung.
Sie haben Kultur und Sprache schon in der Schule kennengelernt. Gab es dennoch Kulturschocks, als sie im September in Unterfranken angekommen sind?
Barry: Mein Lehrer in Minnesota war Deutscher, also habe ich da schon auch die kleinen Dinge aufgeschnappt. Aber Kulturschocks gab es dennoch: Dass man zum Beispiel bei einer roten Ampel nicht rechts abbiegen darf, sondern warten muss, bis sie grün wird. Das war so eine Sache. Die größte Herausforderung war aber das Autofahren an sich. Ich bin noch nie vorher mit einem Auto mit manueller Schaltung gefahren. Ich kenne auch kaum jemanden, der ein solches Auto fährt. Ich musste das also ziemlich schnell lernen. Josef Dana, mein Teamkollege und Mitbewohner, hat es mir beigebracht, und nach ein paar Tagen mit viel Abwürgen hab ich's auch irgendwann rausbekommen.
Gab es auch positive Überraschungen?
Barry: Deutsches Bier ist sehr gut, aber es ist schwerer. Wir haben zu Hause auch ein paar gute, aber im Schnitt ist deutsches Bier klar besser. Aber während der Saison trinke ich kaum. Es muss schon ein besonderer Sieg sein, dass ich mir eines gönne. Ernährung, Workout, Training: Ich richte alles danach aus, bestmöglich Eishockey zu spielen. Ich habe einfach Angst, dass Alkohol mein Spiel negativ beeinflusst. Obwohl unsere deutschen Spieler das ja seit Jahren machen, und die vertragen das irgendwie hervorragend (lacht).

Haben Sie Heimweh?
Barry: Nein. Aber es gibt natürlich Dinge, die ich vermisse. Hauptsächlich meine Familie und meine Freunde. Außerdem habe ich zu Hause einen Schlüssel für die Eishalle. Dann gehe ich nachts alleine im Dunkeln skaten und fühle mich einfach frei. Das fehlt mir sehr.
Stichwort Familie: Wie fielen die Reaktionen aus, als Sie den Entschluss gefasst hatten, es als Profi in Deutschland zu versuchen?
Barry: Mich haben bei diesem Vorhaben alle total unterstützt. Meine Geschwister hatten auch Deutsch in der Schule und mein Vater liebt Eishockey wahrscheinlich noch mehr als ich. Er fand die Idee sofort super. Meine Mutter ist leider vor ein paar Jahren gestorben, aber sie würde mich hierbei auch voll unterstützen, da bin ich mir sicher.
Ihre Eltern haben Ihnen den Namen Bauer gegeben. Etwa, weil Ihre Familie deutsche Wurzeln hat?
Barry: Tatsächlich nicht. Ich bin nach dem Eishockey-Sportartikelhersteller Bauer benannt. Das war die Idee meines Bruders, der zu dem Zeitpunkt 16 Jahre alt und auch total eishockeyverrückt war. Er fand, dass Bauer ein super Vorname sei. Und er hatte ja auch Recht (lacht). Meine Eltern haben zugestimmt.
Für Deutsche klingt diese Kombination ziemlich ungewöhnlich. Für US-Amerikaner ebenfalls?
Barry: Für die eher auch. Ich habe in den USA nur zwei andere Menschen getroffen, die Bauer hießen. Der eine davon heißt kurioserweise auch Bauer Barry. Der andere ist Bauer Neudecker, der ebenfalls aus Minnesota kommt und hier in Deutschland in Füssen in der Oberliga Eishockey spielt. Mit ihm habe ich im Sommer trainiert. Aber ja: Mein Vor- und Nachname werden in den USA wohl genauso häufig verwechselt, wie hier in Deutschland.
Hauptsache, Ihre Mannschaftskollegen verwechseln Sie nicht auf dem Eis. Wie ist die Stimmung in einer Mannschaft, die aus jeder Menge Deutschen, einer Handvoll Tschechen und einem US-Amerikaner besteht?
Barry: Unsere Teamchemie ist spitze. Dass wir Spiele gewinnen, macht es natürlich einfacher. Ich bin ziemlich eng mit einigen aus der Mannschaft, mit Josef Dana und Dominik Soukup wohne ich in einer WG zusammen. Was aber nicht heißt, dass der Ton nicht mal rauher wird. Beim Eishockey sage ich, was gesagt werden muss. Wenn Leuten das nicht gefällt, ist das schade, aber ich will Spiele gewinnen. Ich will hier die Meisterschaft holen. Die meisten wissen ja zum Glück, wie ich es meine.

Sie trauen dem ESC Haßfurt also den Aufstieg in die Bayernliga zu?
Barry: Wir haben das Potenzial, Meister zu werden. Wir haben jede Menge Talent im Team. Und wir haben in Spielen wie zuletzt in Pegnitz gezeigt, dass wir gut zusammenhalten. Außerdem ist unser Kader tief genug. Bleiben wir von Verletzungen verschont, sind wir wirklich gefährlich. Ich freue mich extrem darauf, wie wir uns in den Play-offs schlagen werden. Und danach hoffentlich in der Bayernliga.
Auch wenn Ihr Europa-Abenteuer gerade erst begonnen hat: Worauf würden Sie in zehn Jahren gerne zurückblicken?
Barry: Ich liebe es, Europa und Deutschland kennenzulernen. Aber in erster Linie bin ich Eishockeyspieler. Der Sport steht immer an erster Stelle, ich will bestmöglich Eishockey spielen. Und damit meine ich nicht nur die beste Liga, sondern die beste Erfahrung für mich. Ich habe darüber aber noch nicht wirklich nachgedacht, ich bin ja erst seit drei Monaten hier. Das hat Zeit, wenn die Saison vorbei ist. Jetzt geht es mir nur darum, zu gewinnen. Haßfurt hat eine Meisterschaft verdient.