Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Kitzingen
Icon Pfeil nach unten
Lokalsport Kitzingen
Icon Pfeil nach unten

Fußball: Hans Otto Mayer: Ich war zu sehr Napoleon

Fußball

Hans Otto Mayer: Ich war zu sehr Napoleon

    • |
    • |
    Ein Fossil seiner Art: Hans Otto Mayer lenkt seit mehr als drei Jahrzehnten das Schicksal des SV Erlach – eloquent, exzentrisch, engagiert.
    Ein Fossil seiner Art: Hans Otto Mayer lenkt seit mehr als drei Jahrzehnten das Schicksal des SV Erlach – eloquent, exzentrisch, engagiert. Foto: Foto: Andreas Stöckinger

    Als der SV Erlach 1976 einen neuen Vorsitzenden suchte und zunächst keinen Bewerber für das Amt fand, erhob ein junger Mann seine Stimme. „Das kann doch nicht sein!“ Kurz darauf war er gewählt. Seiner „großen Klappe“ hatte es Hans Otto Mayer nach eigenen Worten zu verdanken, dass ihn die Mitglieder auf einen Posten hoben, den er noch heute – 36 Jahre später – innehat. Der 60 Jahre alte Zeubelrieder, Inhaber zweier Sportartikel-Geschäfte in Ochsenfurt und Kitzingen, ist ein Vorsitzender mit Leib und Seele. Einer, dem der Verein so sehr ans Herz gewachsen ist, dass er nicht von ihm loskommt. Schon Ende der achtziger Jahre setzten ihm die Mitglieder ein Denkmal am Sportplatz. „Hans Otto, wir danken dir!“, steht auf der Steintafel. Gut eineinhalb Stunden sprach Mayer mit uns über Risiken und Nebenwirkungen seines Amtes, über Aufstieg und Fall des SV Erlach, über den Fußball damals und heute.

    Frage: Sie sind seit 36 Jahren Vorsitzender eines Vereins. Was treibt einen nach so langer Zeit im Amt noch an?

    Hans Otto Mayer: Dass man immer wieder Neues erlebt. Vielleicht hat man nicht mehr diese Euphorie wie am Anfang, aber es macht nach wie vor Spaß.

    Ist Ihnen noch nie der Gedanke ans Aufhören gekommen?

    Mayer: Wenn man über Jahre, ja Jahrzehnte etwas erreicht und geschaffen hat, versucht man, dieses Erbe in vertrauensvolle Hände zu geben. Der Fußball erfordert heute mehr Aufmerksamkeit als zu meiner Anfangszeit. Man muss sich mehr damit befassen, sonst ist man schnell weg. Ich sehe im Moment im Verein niemanden, der die Zeit hätte, das Amt auszuüben.

    Sie werden also noch eine Zeit lang durchhalten müssen.

    Mayer: Wenn jemand aufsteht und bereit ist, das Amt zu übernehmen, wäre ich gewiss der Letzte, der . . .

    Die Frage ist doch: Steht jemand auf?

    Mayer: Im Moment nicht. Zumindest kenne ich keinen.

    Ist es nicht so, dass sich bei einem so starken Vorsitzenden, wie Sie es sind und waren, im Umfeld gar kein Nachfolger entwickeln kann? Sie haben diese Institution Vereinsvorsitz geprägt und hohe Standards gesetzt.

    Mayer: Manche sagen, an einen Nachfolger würden zu große Ansprüche gestellt. Aber so muss es gar nicht sein. Man kann keinen kopieren oder imitieren. Man muss seinen eigenen Weg gehen, seine eigene Linie finden. Zu denken, ich will der Hans Otto Mayer II sein, wäre falsch.

    Aber Sie werfen lange Schatten.

    Mayer: Das kommt auf unsere Mitglieder an: Welche Erwartungen setzen sie in einen? Ein Nachfolger hat es nicht nur schwerer – er hat es auch leichter, denn der Verein steht gut da. Die Sportstätten sind vorhanden, und es gibt keine großen Schulden. Das oberste Ziel muss sein, den Spielbetrieb aufrechtzuerhalten. Da muss man analysieren: Was steht dem Verein zur Verfügung? Wie muss man sich ergänzen? Wir haben keinen eigenen Jugendspielbetrieb mehr, sondern gehören zu einer JFG. Die Aufgabe muss sein, die Jungen an den Verein zu binden.

    Haben Sie in all den Jahren zu viel Macht an sich gezogen?

    Mayer: Es war vielleicht ein Fehler, alles bei mir zu bündeln. Über allem stand das Orakel Hans Otto Mayer. Ich war vielleicht zu sehr Napoleon, habe den SV Erlach zu stark dominiert. Ich hätte mehr Verantwortung abgeben müssen.

    Warum taten Sie es nicht?

    Mayer: Wenn man mit Visionen an eine Sache herangeht, lauert immer die Gefahr, sich in etwas zu verbohren. In meiner Zeit wurden das Sportgelände und das Sportheim gebaut, wir hatten über Jahrzehnte einen funktionierenden Jugendspielbetrieb, wir hatten immer eine erste und eine zweite Mannschaft – bis zum großen Knall. Jeder fragte mich, wenn es Probleme gab. Keiner traute sich, eigene Entscheidungen im Rahmen seiner Kompetenzen zu treffen. Vor sechs Jahren habe ich den Verein umstrukturiert. Jetzt haben wir eigene Vorstände für den Sport, für Finanzen und für den Wirtschaftsbetrieb, um es dem Vorsitzenden leichter zu machen. Was das Sportliche angeht, da muss sich der Vorsitzende schon ab und zu äußern und sagen, wo es langgehen soll.

    Sie haben sich oft geäußert, nicht immer so diplomatisch, wie es sich mancher im Verein erwartet hätte.

    Mayer: Als ich damals als 25-Jähriger anfing, hatte ich das große Glück, respektiert und akzeptiert zu werden. Mir wurde große Unterstützung zuteil. Und es gab auch viele, die bereit waren, den Weg mitzugehen. Als es etwa um den Bau des Sportheims ging, halfen viele mit privaten Darlehen. Heute ist die Zeit anders. Man muss die Leute intensiv persönlich bearbeiten.

    Sie gehen vorneweg, geben immer noch mit voller Kraft das Tempo vor.

    Mayer: Es gibt vielleicht auch welche, die sagen: Ich kann den Methusalem Mayer nicht mehr sehen. Ein anderer Vorsitzender könnte auch neue Leute ansprechen, weil er einfach einen besseren Zugang zu ihnen findet. Ich könnte der Großvater der Spieler und der jungen Mitglieder sein. Dazwischen liegt schon eine Welt.

    Waren Sie nie in der Versuchung, den Bettel hinzuwerfen?

    Mayer: Natürlich gab es Ärger, aber niemals so, dass man sagte: Ich mag nicht mehr. Dafür habe ich mich zu sehr und zu lange engagiert, um dann zu sagen: Nur weil einem so ein Dödel in die Parade gefahren ist, lässt man den Verein leiden.

    Ist es schwieriger, einen Verein zu führen, als vor dreißig Jahren?

    Mayer: Es ist nicht mehr so, dass alle hinter ihrem Verein stehen. Das mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Fußball nicht mehr die Bedeutung hat wie vor zwanzig oder dreißig Jahren. Früher hatten wir Spieler aus Kaltensondheim, Zeubelried und Erlach. Da kannte jeder jeden. Diese Identifikation ist in den letzten Jahren verloren gegangen. Hinzu kommt, dass es heute viele andere Möglichkeiten gibt. Sonst war Fußball im Ort das Ereignis. Da war sonntags die halbe Familie am Platz. Jetzt setzt man sich ins Auto und fährt woanders hin.

    Mit seinen Eigengewächsen kam der SV Erlach in den achtziger und neunziger Jahren ja ganz groß heraus.

    Mayer: Wir hatten einen Juniorenjahrgang, und wir hatten in Burkhard Straßberger und Bernhard Vornberger zwei, die die Jugend begeisterten. Das war die ideale Mischung. Für die sechs, sieben Spieler, die damals aus der Jugend kamen, stand Fußball an erster Stelle. Dass der Erfolg länger hielt als geplant, lag daran, dass die Spieler sich bestens verstanden. Da war kein Neid, kein Zwist. Später folgte der Bruch, weil manche Spieler Forderungen aufstellten, die nicht erfüllbar waren. Dass es am Ende so kam . . .

    . . . und der Verein sich vom Spielbetrieb zurückziehen musste . . .

    Mayer: . . . das war die bitterste Stunde meiner Laufbahn. Du stehst plötzlich da, und ein Spieler nach dem anderen verlässt den Klub. Du versuchst verzweifelt, die Entwicklung zu stoppen, aber letztlich bist du machtlos. Da gab es – nicht ganz zu Unrecht – auch Schuldzuweisungen, dass ich zu spät reagiert habe. Mir wurde zu spät bewusst, dass die Lage so ernst war. Und dann lief die Zeit davon. Andere Vereine merkten schnell, dass in Erlach etwas faul war.

    Fürchtet man in diesem Moment, da der Fußball als Basis wegbricht, um die Existenz des ganzen Vereins?

    Mayer: Absolut. Diese Situation möchte ich nie mehr erleben. Du stehst als Vereinsvorsitzender plötzlich leer da. Diejenigen, die den SV Erlach emotional oder finanziell in die Bezirksliga begleitet hatten, fragten sich: Wofür soll ich mich noch engagieren? Da bricht eine Welt zusammen.

    Gab es Anfeindungen?

    Mayer: Es gab viel Häme. Wenn ich auf Fußballplätze kam, hieß es: Da kommt der Totengräber des SV Erlach. Ich dachte damals, ein Neuanfang ohne meine Person sei besser. Einige meinten, ich habe den Verein ins Chaos gestürzt. Dann aber sprach der Vorstand mir gegenüber sein großes Vertrauen aus. Es war Aufbruchsstimmung da, die Spieler brachten sich sehr stark ein, und wir starteten ein Jahr später unverhofft erfolgreich in die A-Klasse-Saison.

    Sehen Sie den Verein heute so aufgestellt, dass er vor Rückschlägen wie nach der Saison 2004/05 gefeit ist?

    Mayer: Ein Großteil der Spieler studiert auswärts. Die Frage ist: Wohin verschlägt es sie, wenn sie in ein, zwei Jahren fertig sind? Kann man einem Spieler zumuten, weiter in Erlach Fußball zu spielen, wenn er in Stuttgart oder in München arbeitet? Wenn die Mannschaft zusammenbleibt und sich gut ergänzt, ist es möglich, Kreisklasse zu spielen. So wie wir die Weichen gestellt haben, gehe ich davon aus, dass Erlach noch ein paar Jahre eigenständig bleiben kann.

    Was Sie ansprechen, trifft ja auf viele Vereine zu: Wie kann man den Fußball auf den Dörfern zukunftsfähig machen?

    Mayer: Das Wichtigste ist: Der Fußball muss wieder mehr Bedeutung bekommen. Wir fiebern alle der Europameisterschaft in diesem Jahr entgegen, und man sieht ja, was bei Entscheidungsspielen in den unteren Klassen los ist: 2000 Zuschauer vor zwei Jahren in Gaukönigshofen. Man muss versuchen, die Leute von unten her wieder dem Fußball näherzubringen.

    Viele kleinere Klubs finden ohne Geld noch nicht einmal einen Übungsleiter.

    Mayer: Das ist richtig. Wenn man die früher guten Spieler dafür gewinnen könnte, der Jugend auch außerhalb des Fußballs etwas mitzugeben, sie zu begeistern, ließen sich Impulse setzen. Es sind zu viele, die sich nur noch der Familie widmen und dem Fußball verloren gehen.

    Müssten sich Jugendliche nicht erst selbst wieder motivieren? Das ist das, was man vielfach in Gesprächen mit Trainern hört.

    Mayer: Es darf einem nicht egal sein, wenn man verloren hat. Man muss sich ärgern über eine Niederlage. Du kannst als Trainer andererseits nicht den harten Hund spielen, weil dann die Gefahr besteht, dass manche sagen: Der kann mich mal. Es ist schwer, die Balance zu finden.

    Werden junge Leute heutzutage zu sehr verwöhnt in den Vereinen?

    Mayer: Klar ist: Es geht ihnen besser als früher. Jeder Verein verfügt heute über eine ganz ordentliche Infrastruktur. Aber vielleicht ist Fußball für viele zu sehr Hobby geworden. Ich habe immer gesagt: Die erste Mannschaft ist die Visitenkarte des Vereins und so wie ein Jugendlicher einem Schweinsteiger oder einem Podolski nacheifert, sollte er auch innerhalb der Mannschaft einen Spieler haben, zu dem er aufschaut, der ihm gefällt. Ich weiß, das ist eine Illusion.

    Tummeln sich die Kinder sonntags noch auf dem Sportplatz?

    Mayer: Sie bolzen nebenan, holen sich ihre Pommes Frites und ihre Cola. Das gehört für viele noch dazu. Aber dass sie wie die jetzigen Spieler früher mit Trommeln am Hang saßen und riefen „Auf geht's, Erlach!“, das darf man von der jetzigen Generation nicht erwarten. Als wir Bezirksliga spielten, war Begeisterung da: Die Zuschauer strömten, das Vereinsheim war voll. Die neunziger Jahre, das waren die Glanzzeiten. Wir hatten 320 Einwohner und waren 500 Mitglieder im Verein. Aber die Begeisterung gibt es nicht mehr, auch nicht auf dem Land.

    Einer Ihrer Kollegen meinte mal: Als Vereinsvorsitzender stehe man immer mit einem Bein im Gefängnis.

    Mayer: Durch die vielen Vorschriften ist das Geschäft deutlich schwieriger geworden. Hygiene- und Sicherheitsauflagen, Steuer- und Abgabensatzungen – du musst dich heute absichern nach allen Seiten. Denn einen Dummen sucht man immer. Der Dschungel ist zu verworren, als du als Vorsitzender da mit halber Kraft durchkommen könntest. Die Politik darf das Ehrenamt nicht so kompliziert machen, sondern muss die Beteiligten auch mal entlasten.

    Wo sehen Sie heute die vordringliche Aufgabe für die Vereine?

    Mayer: Die Herausforderung wird sein, ihre Mitglieder, die nach wie vor vorhanden sind, dazu zu bringen, sich aktiv ins Vereinsleben einzubringen. Die Zahl der Helfer wird kleiner, aber es gibt noch viele, viele Ehrenamtliche, die sich uneingeschränkt zur Verfügung stellen. Das Vereinsleben ist in einer Gemeinde nach wie vor von sehr großer Bedeutung. Wir leben uns auseinander, und die Vereine sind Keimzellen der Kommunikation und des Gemeinsinns.

    Sie sind ein Vereinsmeier im wahren Wortsinn?

    Mayer: Keine Feier ohne Mayer, hat mal jemand gesagt.

    Sehen Sie den Tag X, an dem Sie sich zurückziehen werden?

    Mayer: In der nächsten Versammlung werde ich noch einmal für zwei Jahre kandidieren. Aber dass das ein anderer übernehmen wird, ist ganz klar.

    Das sagen Sie seit zwanzig Jahren.

    Mayer: Ja, aber ich mache das nicht, bis sie mich aus dem Vereinsheim tragen. Ich habe in jüngerer Zeit schon Distanz zu den Aktiven gesucht und die Spielerversammlungen nicht mehr besucht, weil ich da den Mund nicht halten kann.

    Ist der Verein für Sie so etwas wie ein Kind?

    Mayer: Natürlich, das ist mein Kind. Mir hat das viel gegeben. Ich habe neue Erfahrungen gesammelt, habe neue Leute kennen gelernt. Es gibt in Erlach wenige Häuser, in denen ich nicht war. Man kann das alles nicht so lange machen, wenn es nicht immer welche gäbe, die zu dir und hinter dir stehen. Dazu gehört meine Frau Gertrud, die mich und den Verein über all die Jahre unterstützt hat. Das einzige, was ich fürchte ist, dass die Jugend, die den Verein in die Zukunft führen soll, nicht mehr hier lebt.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden