Die aus Lohr (Lkr. Main-Spessart) stammende Handball-Nationalspielerin Mia Zschocke hat ihren Vertrag beim deutschen Vizemeister Borussia Dortmund aufgelöst, ebenso wie ihre Teamkollegin Amelie Berger. Unter normalen Umständen wäre der Vorgang wohl nicht mehr als eine Meldung gewesen. Doch weil einiges an den Umständen nicht alltäglich wirkt und schließlich zur Freistellung von Dortmunds Trainer André Fuhr führte, sorgt der Fall seit Anfang der Woche für Schlagzeilen. Erst recht, da zusammen mit der außerordentlichen Kündigung der Handballerinnen beim BVB auch bekannt wurde, dass die beiden die unabhängige Beratungsstelle "Anlauf gegen Gewalt" bei der Vereinigung "Athleten Deutschland" kontaktiert haben.
Fragen und Antworten, was derzeit über die Vorgänge rund um Mia Zschocke bekannt ist. Die 24-jährige Rückraumspielerin wurde bereits am Dienstag beim norwegischen Champions-League-Teilnehmer Storhamar Handball Elite als Neuzugang vorgestellt.

Was ist bei den Handballerinnen von Borussia Dortmund eigentlich genau passiert?
In der ersten September-Woche reichten die Nationalspielerinnen Mia Zschocke und Amelie Berger in Dortmund die außerordentliche Kündigung ihrer bis 2023 laufenden Verträge ein. Zu diesem Zeitpunkt nahmen sie bereits nicht mehr am Training teil, sondern waren laut "Ruhr Nachrichten" (RN) krankgeschrieben. Weiter berichteten die "RN" unter Berufung auf Zschockes und Bergers gemeinsamen Berater Björn Schultz, dass sich die Spielerinnen an die Anlaufstelle bei Gewalt und Missbrauch im Spitzensport "Anlauf gegen Gewalt" von "Athleten Deutschland" gewandt hätten. Später wurde klar, dass sie dort Vorwürfe gegen BVB-Trainer André Fuhr vorbrachten.
Nachdem der BVB den Kündigungen zunächst widersprochen hatte, einigten sich der Klub und die Spielerinnen am Wochenende auf eine Vertragsauflösung. Am Montag trennte sich der Verein von Fuhr, tags darauf wurde Zschocke als Neuzugang im norwegischen Storhamar vorgestellt.
Welche Vorwürfe stehen im Raum?
Was genau Mia Zschocke und Amelie Berger ihrem Ex-Trainer André Fuhr vorwerfen, wurde bisher nicht bekannt. Beide Handballerinnen haben sich öffentlich zu den Vorgängen nicht geäußert – auch nicht auf telefonische Anfragen dieser Redaktion. Zschockes Berater Björn Schultz, der den Fall publik gemacht hatte, hat telefonisch und schriftlich geäußerte Interviewanfragen dieser Redaktion ebenfalls nicht beantwortet.
"Anlauf gegen Gewalt" spricht nicht über seine Klientinnen, die Beratungsstelle bietet Betroffenen von sexueller, physischer und psychischer Gewalt Hilfe an – "anonym und vertraulich", wie es auf der Homepage der Organisation heißt. Strafrechtliche Ermittlungen laufen in diesem Fall gleichwohl nicht, wie die Polizei Dortmund auf Anfrage dieser Redaktion mitteilte: "Bei der Polizei Dortmund liegen uns zu dem genannten Vorfall keine Strafanzeigen vor."

Was sagt Borussia Dortmund zu dem Fall?
Nachdem der Verein Fuhr zunächst unterstützt hatte, saß der am vergangenen Samstag beim Dortmunder 38:25-Auswärtssieg in Neckarsulm schon nicht mehr auf der Bank. 48 Stunden später war der Trainer dann entlassen. "Die Entscheidung, André Fuhr freizustellen, ist ausdrücklich nicht mit einer Vorverurteilung verbunden", heißt es in der BVB-Mitteilung zur Freistellung des 51-Jährigen. "Borussia Dortmund arbeitet die Vorgänge, die der oben beschriebenen Situation zugrunde liegen, gegenwärtig gewissenhaft und gründlich auf und steht dabei im Dialog mit der Anlaufstelle gegen Gewalt im Sport, die von mehreren Spielerinnen kontaktiert worden war."
Was sagt der entlassene Trainer André Fuhr?
Der äußerte sich – allerdings vor seiner Freistellung – über seinen Anwalt Markus Buchberger in einer auf dem Portal "handball-world.news" veröffentlichten Stellungnahme. "Das, was gerade um ihn passiert, belastet ihn genauso schwer, wie es bei jedem anderen Menschen der Fall wäre", so Buchberger über Fuhr. Der Rechtsanwalt sagt, dass es "Vorwürfe" und "berechtigte Vorwürfe" gebe, die es zu unterscheiden gelte.

Weiter heißt es zum Gewalt-Vorwurf: "Es kristallisiert sich heraus, dass es bei den meisten Vorwürfen um die Grenze zwischen fordernder Trainerarbeit und individuell empfundenen Grenzbereichen geht." Ein Experte für derartige Fragen habe, so Buchberger, darauf hingewiesen, dass auch "gelesene Gewalt" psychischen Druck auf Menschen ausüben könne.
Wie geht es weiter?
Mia Zschocke spielt künftig in Norwegen, Amelie Berger hat noch keinen neuen Verein, Borussia Dortmund noch keinen neuen Cheftrainer. André Fuhr ist nach seiner Entbindung von seinen Aufgaben beim BVB auch nicht mehr als Verbandstrainer tätig. "André Fuhr hat den Deutschen Handballbund darüber informiert, dass er aufgrund der aktuellen Diskussionen um seine Person nicht für den Aufbau der neuen U-19/20-Nationalmannschaft zur Verfügung steht", heißt in einer Stellungnahme des DHB vom Mittwoch.