Mehr als 20.000 Menschen sind aktiv in den 65 Sportvereinen der Stadt Schweinfurt. Unter einem Dach organisiert sind diese Vereine durch ihre Mitgliedschaft im Stadtverband für Sport. "Wir sind der Mittler zur Politik, stehen Vereinen beratend zur Seite, zeigen Fördermittel auf", sagt Jürgen Scholl. Der 59-jährige Rechtsanwalt ist seit Mai 2023 Vorsitzender des Sportverbands, der insgesamt acht Vorstandsmitglieder umfasst, darunter auch als Vize sein Vorgänger Klaus Schuler.
Scholl spielte früher selbst American Football und ist Vorsitzender des Verwaltungsrats des FC Schweinfurt 05. Im Interview mit dieser Redaktion spricht er über die Chancen des Schweinfurter Sports und mögliche Projekte, "um ihm wieder Leben einzuhauchen".

Frage: Zum Amtsantritt haben Sie gesagt: "Der Sport in Schweinfurt braucht eine Interessensvertretung, die über die Vereinsgrenzen hinaus geht." Eineinhalb Jahre später: Hat er eine?
Jürgen Scholl: Ich meine "ja". Glaube aber, dass das ausgebaut werden kann und muss. Wir haben derzeit 65 Mitgliedsvereine, die über uns als Dachverein in der Gruppe stärker wahrgenommen werden. Natürlich gibt es Meinungsverschiedenheiten und immer fühlt sich einer entweder wichtiger oder benachteiligt. Das war schon immer so. Der Vereinssport hat schwere Jahre hinter sich und durch gesellschaftliche Entwicklungen sehr schwere vor sich. Mehr denn je braucht der Sport eine Interessensvertretung.
Im Zug der Corona-Krise hat sich Freizeitverhalten geändert. Entsprechen Vereinssport und Ehrenamt noch dem Zeitgeist?
Scholl: Ja. Auf alle Fälle. Ich halte Amateursport gerade in Zeiten von Social Media, wenn persönliche Kontakte reduziert werden, für ein Medium, um zwischenmenschliche Beziehungen zu schaffen. Ich sehe im Vereinssport und besonders im Ehrenamt einen gesellschaftlichen Kraftkleber. Gleichwohl es nicht einfacher geworden ist, Menschen ins Ehrenamt zu bekommen, hat dieses an Bedeutung gewonnen. Die Schweinfurter Sportgala im November hat erneut gezeigt, dass wir neben den alten Hasen sehr viele junge Menschen für Vereinsarbeit ehren dürfen. Corona hat uns auf eine maximale Belastungsprobe gestellt. Da haben unsere Vereine trotz massiver Einschränkungen unglaubliche Stärke gezeigt.

Der Krieg in der Ukraine, steigende Belastungen durch Energie- und Lebenshaltungskosten – weitere Belastungsproben. Von warmen Worten können Vereine nicht leben.
Scholl: Richtig, letztlich bleibt es viel zu oft bei Dankes-Floskeln. Der Sport braucht messbare Unterstützung. Der Stadtverband will Mittler sein zwischen Sport und Stadt, wenn es um die gerechte Verteilung von Förderungen und Zuschüssen, auch aus Stiftungen, geht. Gerade in unsicheren Zeiten. In denen ein Donald Trump an die Macht kommt, nur als ein Beispiel dafür, dass Staaten immer egoistischer werden. Wir haben vorgezogene Bundestagswahlen, wissen nicht, wohin es geht. In dieser Unsicherheit bieten Vereine kleine Universen, in denen sich Menschen wohl und sicher fühlen können. Sport ist seelische Gesundheit. Da geht es nicht nur um Wettkampf und Leistung.
Außenwirkung erhält der Schweinfurter Sport aber durch seine Qualität.
Scholl: Natürlich registrieren wir die Entwicklung des FC 05 hin zu einem möglichen Aufstieg in die Dritte Liga. Oder ein herausragendes Radsport-Ereignis von bundesweiter Tragweite wie 2024 den Prolog zur Deutschland Tour. Wir haben tolle Einzelsportler, wie beispielsweise den Ruderer Lorenz Grimm. Wir sehen Qualität. Aus Qualität gewinnt man Interesse und letztlich Nachwuchs.

Vom Fußball abgesehen, fehlt Schweinfurt, verglichen mit Würzburg, in den publikumswirksamen Kernsportarten der ganz große Erfolg. Und damit Attraktivität für die Stadt.
Scholl: Was wir als Stadtverband bisher gemacht haben, ist die Basis für sportliche Qualität durch strukturelle Unterstützung verbessern helfen. Aber ja, die Qualität des Sports in der Stadt muss mehr in den Fokus unserer Arbeit rücken. Ideen existieren. Wir wollen zusammen mit unseren Vereinen elektrisierende Events in die Stadt holen. Beispielsweise ein hochklassiges Beachvolleyball-Turnier mit großen Tribünen. Aber wir können uns in der Innenstadt auch trendige, junge Massenevents wie die Red-Bull-Veranstaltungen, BMX-Rennen oder Parcours-Wettbewerbe vorstellen. Der Rad-Prolog mit Tausenden von Menschen, aber auch das Landesturnfest 2019 haben gezeigt, dass Schweinfurt Potenzial hat. Ein Thema war Ende August 2024 eine "Straße des Sports" in Kooperation mit dem Stadtfest. Die Zeit von der Idee bis zum Event war letztlich zu knapp.
Könnte bei den genannten Projekten ähnlich sein.
Scholl: Tatsächlich ja. Wir brauchen aus den Vereinen heraus Orga-Teams, wir brauchen Sponsoren. Insbesondere die finanzielle Unterstützung durch Unternehmen hat sich auch in Schweinfurt durch die wirtschaftliche Entwicklung in der Stadt drastisch reduziert. Wir können nicht zaubern. Und reden allein deswegen vermutlich von 2026. Aber wir haben auch Qualität bereits in der Stadt. Nicht zuletzt in Kampfsportarten wie Karate, Judo oder Boxen. Auch in diesem Bereich könnte ich mir groß aufgezogene Events vorstellen.

Sportarten mit besonders hohem Integrationsfaktor.
Scholl: Ja. Der Sport bietet die riesige Chance, Barrieren und Vorurteile abzubauen. Das gesellschaftliche Klima wird aggressiver. Schreckliche Vorfälle wie zuletzt die Attacke in Aschaffenburg häufen sich. Vorfälle, bei denen Menschen mit Migrationshintergrund eine Rolle spielen. Öffentliche Plätze werden als nicht mehr ausreichend sicher wahrgenommen. Ich möchte das gar nicht politisieren. Es geht mir nur darum, dass Menschen sich an Gesetze und Regeln halten müssen, egal ob Menschen, die hier schon immer gelebt haben, oder Flüchtlinge. Ohne das mit der Sicherheitsdiskussion in einen Topf schmeißen zu wollen, haben wir in Schweinfurt eine sehr hohe Migrantenquote. Der Sport hat tatsächlich eine intensiv integrative Kraft. Er kann helfen, dass gerade junge Menschen, die nach Deutschland kommen und noch nicht wissen, wohin mit ihrer Energie, die Einhaltung von Regeln zu lernen. Und als Bestätigung letztlich Erfolg zu haben. Wir werden mit Sport keine Drogendealer von der Straße bekommen, aber wir können dazu beitragen, dass Jugendliche statt zum Drogendealer lieber in den Verein kommen. Das ist nachhaltig.

Stichwort Nachhaltigkeit. Wie nachhaltig können Großveranstaltungen in der Realität sein?
Scholl: Als ich den Prolog zur Deutschland-Tour im Fernsehen gesehen habe, dachte ich fast, das ist die Tour de France auf dem Champs Élysées. Aber es war eine Einzelveranstaltung. Früher gab es da jedes Jahr die Mainfranken-Tour mit Top-Athleten aus ganz Europa. Man muss gestehen: Nach den Highlights verfällt man schnell wieder in den Alltagstrott. Mediale Auffälligkeit sollte im Idealfall weiter transportiert werden. Wir haben in der Sportstadt Schweinfurt Luft nach oben, in den Organisationsabläufen Verbesserungsbedarf.
Konkret?
Scholl: In der Stadt und speziell im Sportreferat wird ein guter Job gemacht. Aber ich will mehr. Frage an den Stadtrat: Wie viel Geld ist die Stadt bereit, für den Sport in Schweinfurt und für herausragende Events auszugeben? Ich glaube, dass viele in der Verwaltung noch gar nicht erkannt haben, welche unschätzbare Wirkung der Sport in der Werbung für die Stadt hat.