Ich hätte nie gedacht, dass es so ausartet. Acht Worte, die 40 Jahre zusammenfassen. 40 Jahre Sammel-Leidenschaft. Der Schweinfurter Andreas Schönrock sammelt Torwart-Handschuhe und Fußball-Trikots, er lässt sich mit Prominenten fotografieren. Und bittet sie später um ein Autogramm auf dem Bild. Wie Uwe Seeler, Gerd Müller, Klaus Fischer, Günter Netzer oder Franz Beckenbauer. "Ich habe immer schon Kontakt zu Menschen gesucht, vor allem zu Sportlern", sagt der 56-Jährige. Und fängt an zu erzählen von abenteuerlichen Begegnungen und den "Schätzen", die sich da im Keller seines Hauses in dutzenden Kartons stapeln.
Wenn er eintaucht in die Parallelwelt auf dem Rasen oder auf Show-Bühnen, dann ist der Erzieher in einem Schweinfurter Kindergarten in seinem Element. "Mitte der Achtziger war ich öfter bei meiner Oma in Herne. In Westfalen gibt es Fußball-Stadien ohne Ende", erinnert sich Schönrock. Er inhaliert die Spiele förmlich. Ein typisches Wochenende für den jungen Mann: Freitag, Westfalenstadion, Dortmund gegen Leverkusen; Samstag, Rheinstadion, Düsseldorf gegen Bayern München; Sonntag, Bielefelder Alm, Bielefeld gegen Freiburg.

Richtig los geht alles in Nürnberg. Am 31. März 1984 – er rattert die Daten runter wie ein Computer – kickt der Club gegen Mönchengladbach. Ulrich Sude ist bei den Gästen im Tor. "Ich habe die Handschuhe bekommen." Am 3. November 1984: FC Bayern München gegen den Hamburger SV. Uli Stein ist bei den Gästen im Tor. "Ich habe die Handschuhe bekommen."
Ab über die Absperrung und ein Bocksbeutel als Bestechung
Ja, wie denn? "Ich bin jeweils über die Absperrung gegangen, an der Haupttribüne gab es keine Zäune. Ich hatte extra einen Bocksbeutel dabei, um notfalls jemanden zu bestechen." Mit einem Bocksbeutel ins Stadion und dann zum Spielerausgang – unfassbar. "Ich habe Co-Trainer Rainer Ohlhauser den Wein gegeben, Stein ein Bild gezeigt von ihm und mir beim HSV-Spiel in Schweinfurt" – und schon ist ein Autogramm drauf.

Jetzt sind durchgeschwitzte Handschuhe ja nicht Jedermanns Sache. Für den ehemaligen Jugend-Torwart des TV Oberndorf Schweinfurt schon. Fortan fährt er durchs Land, Handschuhe sammeln. Zunächst mit dem Tramperticket per Zug. Zum Beispiel zum MSV Duisburg. Im Hauptpostamt am Würzburger Bahnhof holt er sich vorab aus den bundesweiten Adressbüchern die Anschrift von Torhüter Heribert Macherey. "Ich bin hin und habe gesagt, ich komme von der Schülerzeitung, dann waren alle freundlich zu mir. Ich saß bei ihm auf dem Sofa, später hat er mich zum Bahnhof gefahren."
Lange Gespräche mit dem früheren Verteidigungsminister Hans Apel
Tatsächlich hat Schönrock früher schon angefangen, Interviews für Schülerzeitung zu machen. Mit Promis, bevorzugt Sportlern. "Ich habe immer einfach angerufen. Bei Gerhard Heinze vom MSV Duisburg war die Frau dran und hat gesagt, ich störe beim Abendessen." Eh klar: Der Schweinfurter ist hartnäckig und erfolgreich. Rosi Mittermaier, Paul Schockemöhle, Peter Angerer, Willi Wühlbeck, Walter Eschweiler, Ulrike Meyfarth – alle füllen die karierte Din-A-4-Seite aus, beantworten Fragen wie diese: "Was machen Sie, wenn Sie einen 100 Mark Schein auf der Straße finden?" oder "Ihre Meinung zum Thema Arbeitslosigkeit".

Beeindruckt ist der vierfache Familienvater von einem Telefonat Anfang der Achtziger mit dem damaligen Verteidigungsminister Hans Apel ("er hat tatsächlich lange mit mir gesprochen"). Die Lehrer an der Knaben-Realschule Schweinfurt freuen sich über eine "außergewöhnliche tolle Schülerzeitung".
Und Schönrock über eine ganz besondere Begegnung. Mit Harald Juhnke. "Ich war im August 88 in Berlin, habe in Grunewald, wo die Promis wohnen, Passanten gefragt, wer hier so lebt. Sagt einer: Harald Juhnke. Ich habe an der Villa geklingelt, Sturm, es war ja erst nachmittags. Dann kam der Entertainer im Bademantel raus, ziemlich barsch. Ich habe ihm erklärt, dass ich aus Schweinfurt komme. Er wurde freundlicher und hat in mein Buch geschrieben." Zum Beispiel auf die Frage, was er nicht möge: Schwätzer!
Es kommen Päckchen mit Handschuhen und Trikots
Irgendwann reicht es Andreas Schönrock. Er baut sich sein Leben auf. Bis es 2003 wieder kribbelt. Er ist Babysitter bei Bekannten, ihm ist langweilig. "Da hab ich 40, 50 Vereine angeschrieben" – mit der Bitte um Durchstellung zum Sportler persönlich. Old School auf Papier, mit Rückporto. Die Hälfte wird beantwortet, persönlich. Weitere Anfragen und Antworten folgen.

Päckchen um Päckchen mit Handschuhen (unter anderem von Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen) oder Trikots, seine neue Leidenschaft. Darunter eines von Mario Gomez, damals in Wolfsburg, zu Weihnachten. Mit einer Karte: "Frohes Fest Andreas". Oder das von Martin Schneider, dem Ex-Mönchengladbacher aus Schweinfurt, der auch auf dem 50. Geburtstag Schönrocks Gast ist ("ein toller Mensch"). Der Postbote wird langsam zum Freund. "Ich war seine immer letzte Station, da haben wir angefangen, jedes Mal ein Weißbier zu trinken."
Robert Enkes Päckchen rührt den Schweinfurter zu Tränen
Eine Sendung ist dabei, die Schönrock heute noch Schauer über den Rücken laufen lässt: die signierten Handschuhe von Hannovers Torwart Robert Enke, der sich am 10. November 2009 das Leben genommen hat. Über die Vereinsadresse hatte der Schweinfurter dem Profi ein Duschbad geschickt und ein Bilderbuch für die Tochter. Vier Jahre (!) später kommt die Antwort. Und einen Monat vor dessen Tod schickt Schönrock ein Paninibild mit Bitte um Unterschrift an Enke. Dann hört er die schlimme Nachricht. Und schämt sich heute für seinen ersten Gedanken: "Schade, jetzt krieg' ich das Bild nicht mehr." Am nächsten Tag kommt es mit der Post. Er muss weinen.
In Bundesliga-Stadien geht Schönrock kaum noch. Dort ist alles längst professionalisiert, "eine andere Welt". Man kann nicht mehr einfach auf den Rasen spazieren und den Trainer anhauen. Da hilft auch kein Bocksbeutel. Heute geht Schönrock regelmäßig zum FC 05 Schweinfurt ins Sachs-Stadion. Meistens mit ViP-Ticket, da gibt's vor dem Spiel und in der Pause Essen. Und den Kontakt zu den Menschen, die für ihn den Sport ausmachen. Menschen, von denen er hofft, dass sie ihm einen großen Wunsch erfüllen: "Ich möchte einmal mit dem FC-05-Bus mit zu einem Spiel fahren."