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WÜRZBURG: Alexander Frenkel liebt Chopin

WÜRZBURG

Alexander Frenkel liebt Chopin

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    Die Würzburger Festung Marienberg im Rücken, die Welt vor Augen: Der Boxer Alexander Frenkel ist nicht ohne Sehnsüchte.
    Die Würzburger Festung Marienberg im Rücken, die Welt vor Augen: Der Boxer Alexander Frenkel ist nicht ohne Sehnsüchte. Foto: FOTO Michael Kämmerer

    Er sieht nicht aus, als komme er gerade von einem Boxkampf: keine zertrümmerte Nase, kein geschwollenes Auge, nicht einmal ein kleiner Riss an der Lippe. Ein flirrend warmer Dienstag in der Würzburger Innenstadt. Alexander Frenkel fährt im weinroten Cabriolet vor, Freundin Tamilla auf dem Beifahrersitz. Die Parklücke ist groß genug, doch irgendwie will die Sache nicht auf Anhieb gelingen. Frenkel kurbelt und lenkt gegen. Er versucht es ein zweites, ein drittes Mal, bevor der Wagen seinen Platz am Straßenrand gefunden hat. Das Einparken dauert gefühlte zwei Minuten und damit länger als die meisten seiner Kämpfe.

    „Das Auto ist bloß gemietet“, sagt Frenkel entschuldigend, als er das mexikanische Restaurant mit leichter Verspätung betritt. Gut, dass sein Händedruck außerhalb des Boxrings an Urkraft verloren hat. Frenkel bestellt Radler („Bitte mehr Sprudel als Bier“) und gefülltes Fladenbrot mit Putenfleisch und Gemüse. Anschließend trinkt er italienischen Milchkaffee. Die drei freien Tage nach einem Kampf verbringt der 22-Jährige wie immer in Würzburg, dann schläft er wieder in seinem alten Jugendzimmer, das er vergangenen Sommer für einen Profi-Vertrag im Boxstall des Managers Wilfried Sauerland verlassen hat. „Ich liebe Würzburg“, sagt Frenkel: „Es ist meine Heimat geworden.“

    Kindheit in der Ukraine

    Frenkel erzählt von seiner Kindheit in der Ukraine („Ich verstehe jeden, der von dort weg will. Ich weiß, aus welch armen Verhältnissen ich komme“). Er schildert die Anfänge seines Werdegangs bei den Würzburger Kickers; wie er damals mit 13, als er 43 Kilogramm wog, seinen allerersten Kampf verlor, und wie er später, um jeden Tag trainieren zu können, alleine mit dem Zug nach Nürnberg, Frankfurt oder Aschaffenburg fuhr. „Nach Kitzingen bin ich manchmal schwarz gefahren, weil ich kaum Geld hatte. Ich habe mich in der Toilette versteckt“, erinnert sich Frenkel. „Ich kam mit blauen Flecken vom Training nach Hause und war glücklich.“

    Mit seinen 22 Jahren wirkt Frenkel reif und erwachsen. „Ich weiß nicht, ob ich mich vor Gott schämen soll, weil ich Boxer geworden bin“, ist einer der Sätze, die ein Bild von einem feinfühligen Menschen zeichnen. Man glaubt Frenkel gerne, dass Geld allein ihm im Moment nicht wichtig sei. Ein kleines Auto wolle er sich demnächst kaufen, um sein übriges Gehalt in die Altersvorsorge zu investieren. „Ich weiß ja nicht, was in zehn Jahren ist“, sagt er, dessen Vertrag mit Sauerland zunächst auf drei Jahre befristet ist.

    Frenkel sieht es als Chance, durch sein gesellschaftlich legitimiertes Haudrauf den sozialen Aufstieg zu schaffen – vom ungelernten Spross einer jüdisch-ukrainischen Musikerfamilie zum gut situierten Kosmopoliten. Mit Hilfe eines Privatlehrers will er schon bald den mittleren Schulabschluss und das Abitur nachholen. Und dann überrascht Frenkel noch mit einem Bekenntnis, das nicht unbedingt in das Klischee eines Boxers passt: „Ich höre gerne klassische Musik, am liebsten Chopin.“ Als Kind genoss er Klavierunterricht, bis vor zwei Jahren spielte er regelmäßig. Dann stahl ihm das Boxen die Zeit. Sobald er in Berlin eine eigene Wohnung gefunden hat, möchte er sich ein Klavier kaufen und wieder Unterricht nehmen. „Das ist ein schöner Ausgleich.“

    Eigentlich wollte Frenkel den Schritt zu den Profis behutsamer gehen, zuvor in die Nationalmannschaft kommen und bei Olympia boxen. Doch ohne die deutsche Staatsbürgerschaft kam er bei den Amateuren nicht weiter als zur bayerischen Meisterschaft. Vergangenes Jahr umwarben ihn schließlich die beiden großen Boxställe Sauerland und Universum. Frenkel unterschrieb bei Sauerland. Er sagt: „Hier kann ich schneller Weltmeister werden, komme schneller an die Spitze.“ Zunächst trainierte er bei Manfred Wolke in Frankfurt/Oder, seit Februar betreut ihn Ulli Wegner in Berlin.

    „Der Junge wird bald Weltmeister“

    Trainer Ulli Wegner über Boxer Alexander Frenkel

    „Der Junge wird bald Weltmeister“, sagte Wegner nassforsch nach Frenkels achtem Sieg im achten Kampf, der nach eineinhalb Minuten wieder zu Ende war. Kommendes Jahr will Frenkel nach der Weltmeisterschaft im Cruisergewicht greifen und bis dahin noch ein knappes Dutzend Aufbaukämpfe souverän-siegreich absolvieren. „Ich spüre, wie ich mich von Tag zu Tag verbessere, vor allem konditionell“, sagt Frenkel. „Ich bin jetzt zehnmal stärker als noch als Amateur und fühle mich als Persönlichkeit selbstsicherer.“

    Frenkels Sympathisanten haben zurzeit allerdings nur ein kurzes Vergnügen an seinen Fausteinlagen: ein knorriger Aufwärtshaken, eine knackige Gerade, eine explosive Kombination, dann plumpst der Gegner auf die Bretter, die für Frenkel einmal die Welt bedeuten sollen. Einen sonderlichen Lerneffekt erzielt Frenkel bei solchen Kurzzeitkämpfen ohnehin nicht. Seine Sparringspartner aus dem eigenen Boxstall fordern ihn weitaus mehr. So sind Schmerzen zum leidvollen Alltag geworden: Er schläft mit ihnen ein und steht mit ihnen auf.

    55 Siege in 60 Kämpfen

    Wenn Frenkel wie zuletzt in der Stuttgarter Porsche-Arena in den Ring steigt, geht es für ihn darum, sich an die Gepflogenheiten einer Box-Veranstaltung zu gewöhnen und Erfahrung vor einem größeren Publikum zu sammeln. Als Amateur mit einer Bilanz von 55 Siegen in 60 Kämpfen hat er es schon mal ruhiger angehen lassen und seinen Gegner nicht gleich in der ersten Runde K.o. geschlagen, bis sich irgendwann kaum mehr einer traute, gegen Frenkel anzutreten. „Es geht um meine Existenz. Jetzt muss ich jede Lücke nutzen“, sagt Frenkel, bevor er seinen Milchkaffee austrinkt. Und wenn es nur die Parklücke ist.

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