Am kommenden Mittwoch, 15. Dezember, beginnt in London die Darts-Weltmeisterschaft. Wenn dann aus exakt 2,37 Metern Entfernung die kleinen Pfeile in Richtung einer Scheibe fliegen, lockt das Millionen von Zuschauern vor die Fernseher. Doch nicht nur das: Trotz Corona werden auch täglich rund 3000 Fans im Alexandra Palace vor Ort sein, in der Regel kostümiert und feierwütig. Auch in Unterfranken boomt Darts – wenn auch mit weniger Show als in der britischen Metropole.
Die perfekte Ausbeute
"Ooooneee-huuuundreeed-and-eiiiightyyyy!" Brüllt der Schiedsrichter diesen Satz in sein Mikrofon und quer durch den Ally Pally, wie der Alexandra Palace von Dart-Fans liebevoll genannt wird, gibt es kein Halten mehr. Die Fans tanzen zu Partymusik auf den Bänken, halten Papptafeln mit einer 180 in die Luft und grölen um die Wette. Eine One-hundred-and-eighty, also 180, ist die maximal mögliche Punkteausbeute, die ein Dartspieler mit drei Darts erreichen kann, eine perfekte Serie aus drei Pfeilen.
Doch diese Höchstpunktzahl ist keinesfalls nur den Profis vorbehalten: Tobias Weihs, Fußball-Landesliga-Torwart bei der TG Höchberg und leidenschaftlicher Dartspieler im DC Waldbüttelbrunn, erinnert sich mit einem Strahlen in den Augen an seine eigene erste 180: "Das war schon etwas ganz Besonderes, drei Mal dieses kleine Triple-20-Feld zu treffen. Das vergisst man nie."

Der 25-jährige Student stellt augenzwinkernd fest, dass er bei seinem Umzug nach Waldbüttelbrunn vor gut zwei Jahren gar keine Wahl hatte: "In Waldbüttelbrunn ist es wirklich schwer, um den Dartclub herumzukommen. Gefühlt ist dort fast jeder Mitglied, und der Club ist donnerstags und freitags eine echte Anlaufstelle." Zunächst stand er noch mit geliehenen Pfeilen, bald aber schon mit eigenen selbst immer öfter am Board.
Auch 25 Kilometer weiter östlich in Kitzingen fliegen regelmäßig die Pfeile – doch Darts ist nicht gleich Darts. Während Weihs und Co. in Waldbüttelbrunn Steeldarts werfen – also mit Stahlspitzen – spielt Rot-Weiß Kitzingen Electronic Darts. Das bedeutet, dass Pfeile mit Plastikspitzen auf elektronische Scheiben geworfen werden, die oftmals auch in Bars stehen. Eine, die für den RWK überaus erfolgreich spielt und eine Ausnahme in der Männerdomäne Darts bildet, ist Selin Kuruoglu.
"Manchmal kommen von den Gegnern schon ein paar Sprüche, weil ich eine Frau bin. Aber das motiviert mich nur, mich noch mehr zu beweisen"
Selin Kuruoglu, Dart-Spielern
Die 20-Jährige wurde quasi vor der Dartscheibe erwachsen, nachdem ihre Eltern ehrenamtlich die Vereinsgaststätte in Kitzingen betreiben. "Mit 15 Jahren hab' ich angefangen, richtig Darts zu spielen. Heute hat mein Papa eigentlich keine Chance mehr gegen mich", erzählt sie lachend. Gegen Männer anzutreten, ist sie dabei gewohnt – schließlich ist sie auch in ihrer eigenen Mannschaft die einzige Dame. "Manchmal kommen von den Gegnern schon ein paar Sprüche, weil ich eine Frau bin Aber das motiviert mich nur, mich noch mehr zu beweisen!" Dem angehenden Wirtschaftsprüfer Weihs ist es indes völlig einerlei, gegen wen er antritt: "Im Prinzip spielt man nicht gegen den Gegner, sondern gegen die Scheibe."

Mit seinem Team spielt er in der zweithöchsten Dartsliga in Unterfranken, der UDV 2 West. Insgesamt sind 52 Vereine aus ganz Unterfranken in diesem Ligasystem für Steeldarts organisiert, oftmals aus kleinen Dörfern. Aktueller Tabellenführer in der höchsten Liga UDV 1 ist der DJK aus Dipbach, einem kleinen Ortsteil von Bergtheim. Im Electronic Darts gibt es ebenfalls ein Ligensystem, in dem Kuruoglu mit ihrem Team antritt – und zwar überaus erfolgreich: Gemeinsam mit ihren männlichen Teamkollegen ist sie in der vergangenen Saison ohne Niederlage in die Bezirksoberliga aufgestiegen. Die Zeitsoldatin, die zunächst bei der deutschen Post eine Ausbildung gemacht hatte, war auch bereits zu Lehrgängen der Nationalmannschaft eingeladen.

Beide freuen sich schon auf die anstehende Weltmeisterschaft – und feuern zufällig sogar denselben Spieler an: Der Schotte Gary Anderson, auch unter seinem Wettkampfnamen "The Flying Scotsman" bekannt, steht in ihrer beider Gunst ganz oben. "Anderson hat technisch einfach einen sehr schönen Wurf, spielt immer mit einem Lächeln und bleibt auch bei einer Niederlage immer absolut fair", schwärmt Weihs. Gemeinsam mit den Kollegen vom Dartclub wird er die WM jeden Tag verfolgen, und drückt natürlich auf den deutschen Teilnehmern die Daumen.
Seine eigene Erfahrung lässt seinen Respekt vor den Sportlern dort nur noch mehr wachsen: "Es ist schon für mich ein riesiger Unterschied, ob ich im Training allein oder im Spiel vor gut 30 Zuschauern werfe. Da kann ich mir nur ausmalen, wie hoch der Druck vor 3000 oder mehr Leuten sein muss." Ob ein solches Event in Corona-Zeiten sinnvoll ist, dies wollen beide nicht beurteilen. "Aus Sportlersicht ist es natürlich fantastisch, von so vielen Zuschauern angefeuert zu werden. Aber insgesamt gesehen ist es schon ungut, dass die Regeln für Veranstaltungen so krass verschieden sind", zeigt sich Kuruoglu zwiegespalten.

Bleibt noch die Gretchenfrage: Ist Darts denn nun ein Sport – oder doch mehr Show? Auch hier sind sich Kuruoglu und Weihs einig – es ist definitiv ein Sport. Der Fußball-Torwart relativiert den Eventcharakter: "Heutzutage ist es in allen Sportarten so, dass Sport und Show einfach zusammengehören. Wer aber mal in einem Ligaspiel am Board stand, der merkt, wie extrem angespannt man im ganzen Körper ist und wie mental zehrend das Spiel ist." Für Kuruoglu steht auch der Trainingsaspekt im Vordergrund: "Man muss Darts trainieren, um besser zu werden. Vielleicht kann man es ein wenig mit Golf vergleichen, wo man auch nicht körperlich übermäßig angestrengt wird. Aber es ist definitiv ein Sport."
Und der schlechte Ruf als Kneipensport? "Wer sagt, dass Darts nur ein Kneipen- oder Saufsport ist, ist ganz weit weg von der Realität", unterstreicht Weihs. Darts ist also ein Sport – schließlich sagen das diejenigen, die es wissen müssen.