Fußball-Hooligans, militante Rechtsextremisten, Rocker-Banden – viele organisierte Gewalttätige sind solide trainiert. Auch Kampfsportschulen stehen deshalb in der Kritik: Werden wissentlich Kriminelle für den Straßenkampf ausgebildet? Nein, sagt Tarik Kuzucu, unter dem "Künstlernamen" Eric Gold Kickbox-Weltmeister und Inhaber der Würzburger Kampfkunstschule "True Martial Arts". Er schränkt aber ein: "Einige repräsentieren die böse Seite, vielleicht zehn Prozent. Doch die sind sichtbar."
Diese Sichtbarkeit unseriöser Kampfsport-Studios hat Rechtsextremismus-Experte Robert Claus im vom Bundesfamilienministerium geförderten Hannoveraner Modellprojekt "Vollkontakt – Demokratie und Kampfsport" analysiert. Claus schaut auf "schädigungsorientierte Vollkontaktsportarten" wie Kickboxen oder Mixed Martial Arts (MMA) und sagt: "Die sind für Gewalttäter attraktiv, weil die sich im Straßenkampf gut anwenden lassen."

Der 41-jährige gebürtige Rostocker nennt die Gruppe in der Fanszene des Fußball-Regionalligisten FC Schweinfurt 05, die sich um den Rechtsextremisten Marc R. formiert hat. Sie würde einem "männerbündischen Gewaltideal" folgen. R. hat an Käfigkämpfen teilgenommen. Bilder davon erinnern an die illegale schwedische Veranstaltungsserie "King of the streets", millionenfach geklickte Youtube-Videos.

In der Gesellschaft scheint diese Form der gewaltvollen Auseinandersetzung angekommen: Als RTL im Oktober 2024 den MMA-Kampf zwischen dem Stuttgarter Ex-Hooligan Christian Jungwirth und dem Hells-Angels-Rocker sowie früheren Eintracht-Hooligan Christian Eckerlin zeigte, saßen 60.000 Menschen im Frankfurter Waldstadion, 400.000 vor dem Fernseher.
Zwischen Werten und Gewaltbereitschaft: Drei Kategorien von Trainingskulturen und Studios
Claus stellt mit Blick auf Trainingskulturen die Frage: Wie geht ein Studio mit Vielfalt, Antidiskriminierung, Gewalt und Rechtsextremismus um? Seine Forschungsgruppe nennt drei Kategorien: präventive Kampfsportschulen mit gelebtem Leitbild, den indifferenten Typus, der sich erst auf medialen Druck von Extremismus abgrenzt, sowie gewaltoffene Kampfsportstudios.
Eric Gold, der für einen Sicherheitsdienst bei Fußballspielen, auch dem Derby zwischen Schweinfurt und den Würzburger Kickers, im Einsatz war, teilt diese Kategorisierung. Er selbst will traditionelle Werte vorleben. Nur, wie der schwarzen Schafe habhaft werden? Mit Verboten? "Man darf Feuer nicht mit Feuer bekämpfen", warnt der 37-Jährige. Das dränge solche Studiobetreiber in den unkontrollierbaren Untergrund.
Training im Schweinfurter Parteibüro des "III. Weg"
Dann werde in Hinterhöfen oder Räumlichkeiten wie dem Oberndorfer Parteibüro der Neonazi-Partei "Der III. Weg" oder dem "Flieder Volkshaus" der Eisenacher Zentrale des NPD-Nachfolgers "Die Heimat" trainiert, sagt auch Claus. Mitglieder der thüringischen Kampfsportgruppe "Knockout 51" standen bereits wegen Gründung einer kriminellen Vereinigung vor Gericht.

Gold wünscht sich striktere Regeln für den Betrieb von Kampfsportschulen. "Reinzukommen, nur weil man zahlt und schlagen will, ist zu wenig. Wir geben den Menschen eine Waffe. Ein gezielter Schlag kann großen Schaden anrichten." Ihm selbst würden Kung-Fu-Filme gefallen, sagt der Würzburger Studioleiter: "Da sitzt der Schüler tagelang vor der Tür des Klosters, um aufgenommen zu werden."
Er selbst müsse integer sein: "Wir haben eine Uniform in unserer Schule." In Deutschland sei dies beim Kickboxen oder MMA "alles andere als Standard". Was Uniform bedeutet? "Menschen, die mit martialischen Tattoos ein brutales Image pflegen und Aggression verkörpern, kommen erst gar nicht. Man muss an der Tür sein Ego ablegen. Das ist eine coole Grenze", sagt Gold.
"Ich weiß, wie es sich anhört, wenn sie 'Schlag den Türken tot' singen."
Eric Gold über die hässliche Seite des Kampfsports
Grenzen würden auch seinen eigenen Weg zeichnen. Der begann im Kinderzimmer. Sein älterer Bruder sei mitunter nicht zimperlich gewesen, sagt Gold: "Ich lebte in täglicher Angst, dass er mich angreift." Wenn seine Mutter staubsaugte, sei es kritisch geworden, weil sie ihn dann nicht mehr hören konnte: "Ich kann bis heute kein Staubsaugergeräusch ertragen." Zu seinem Bruder aber habe er längst ein sehr gutes Verhältnis.
Vorbild für die türkischen Migrantenkinder im Viertel
Sein Kinderzimmer-Trauma habe jedenfalls ein Bedürfnis geweckt, sagt der 37-Jährige mit türkischen Wurzeln. "Ich fand es schlimm, wenn Menschen körperliche Überlegenheit missbraucht haben."
Er liebt die Heldengeschichten, die ihm seine Mutter vorliest, will selbst ein Held werden - und beginnt zu trainieren. Erst traditionell Taekwondo, Judo und Karate. Mit 14 wechselt er zum Kickboxen, der Action wegen. Da habe es "Klick" gemacht, sagt er heute. Er schafft es aufs Gymnasium.

Seine Eltern hätten Wert auf Disziplin und Fairness gelegt. Er selbst wird für die türkischen Migrantenkinder im Viertel zum Vorbild. Das will er auch in seiner Kampfsportschule umsetzen: "Hier gibt es keine Nationalität, keine Schichten. Die Menschen verbindet ein gemeinsames Ziel."
Gold studiert Deutsch und Sport auf Lehramt. Er entwickelt sich zu einem spirituellen Menschen. Bis der andere Teil seiner Persönlichkeit nach vorn drängt: der Sportler. 2009 feiert er als 22-Jähriger mit dem Weltmeistertitel der World Kickboxing Association (WKA) seinen größten Erfolg. Vier Jahre später gründet er die eigene Kampfkunstschule, die inzwischen 850 Mitglieder zählt.

Der Spagat zwischen traditionellen Werten und trendigen Kampfsportarten wie Mixed Martial Arts gelingt. "Es geht nicht nur ums Draufhauen", sagt Gold. Im vergangenen Jahr hat er ein Buch geschrieben: "Kleine Entscheidungen, große Erfolge.". Resilienz, also eine lebensmutige Grundeinstellung, sowie Wertevermittlung sind die Säulen seiner Arbeit. Sein Youtube-Kanal führt über 1160 Videos, jeder Monat hat ein Motto. Aktuell: Empathie.
Kickboxer Eric Gold: "Macht geben - und die Fähigkeit, damit umzugehen"
Die Realität holt Eric Gold bei Wettkämpfen stets ein. Die hässliche Seite der Kampfsportszene versteckt sich nicht. "Ich weiß, wie es sich anhört, wenn sie im Publikum 'schlag den Türken tot' singen", sagt der 37-Jährige. Eine heile Welt konstruieren zu wollen, sei kontraproduktiv. "Menschen setzen sich immer weniger körperlich auseinander. Doch je mehr Menschen Kampf ignorieren, desto mehr propagieren ihn im Gegenzug."
Gold wünscht sich die goldene Mitte und zitiert eine asiatische Weisheit: "Es ist besser, ein Krieger in einem Garten zu sein, als ein Gärtner in einem Krieg." Freiwillig friedlich sein, weil man die Wahl hat - darin sieht er die Verantwortung der Kampfschulen: "Macht geben – und die Fähigkeit, damit umzugehen."