Seit Juli hat er das Sagen beim Fußball-Drittligisten FC Würzburger Kickers: Christian Jäger. Der Vorstandsvorsitzende hatte sich die ersten fünf Monate seiner Amtszeit am Dallenberg vor allem aus sportlicher Sicht sicher einfacher vorgestellt. Als Zweitligaabsteiger stehen die Rothosen nach 17 Partien mit nur 15 Punkten auf dem vorletzten Tabellenplatz der 3. Liga. Im Interview am Morgen nach der desaströsen Heimniederlage der Kickers gegen Eintracht Braunschweig spricht der 54-Jährige vor dem Auswärtsspiel beim Halleschen FC (Samstag, 14 Uhr) über die aktuelle Situation, den anstehenden Stadionumbau und seine Ziele mit den Kickers.

Herr Jäger, wie tief sitzt der Schock am Morgen nach der desolaten Leistung der Kickers gegen Braunschweig?
Christian Jäger: Wir waren alle sehr enttäuscht. Über das Ergebnis und über die Leistung der Mannschaft. Da hatten wir uns etwas anderes erwartet. Vor allem, wenn man die Entwicklung der Mannschaft seit dem Trainerwechsel beobachtet. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir die richtigen Schlüsse daraus ziehen und in Halle schon eine andere Leistung sehen werden.
Sie saßen noch lange nach dem Spiel zusammen mit Danny Schwarz. Wie haben Sie den Trainer nach der Partie wahrgenommen?
Jäger: Natürlich herrschte auch bei ihm große Enttäuschung. Aber ich habe auch den absoluten Willen und Kampfgeist bei ihm gespürt. Ich mache mir keine Sorgen, dass wir so eine Leistung nochmal sehen werden. Das Trainerteam wird die richtigen Maßnahmen ergreifen.
Wie ist eine derart schwache Leistung zu erklären?
Jäger: Aus meiner Sicht hat vor allem die Leidenschaft, der Kampfgeist gefehlt. Biss, Wille. Dass die gesamte Mannschaft so kollektiv enttäuscht, das ist schwer zu erklären. Die Mannschaft hat unter dem neuen Trainer ja mehrfach gezeigt, dass es anders geht.
War spätestens dieses Spiel das Zeichen, dass es im Winter neues Personal braucht?
Jäger: Es ist augenscheinlich, dass wir zu wenig Tore erzielen. 12 Tore in 17 Spielen, das ist nicht gut genug. Wir schauen uns intensiv um, welche Möglichkeiten es gibt. Dann werden wir eine Entscheidung treffen, was wir in Anbetracht der Gesamtsituation verantworten können.
Also, was das Budget hergibt.
Jäger: Wir werden keine unvernünftigen Dinge machen. Klar ist aber auch, dass wir alles dafür tun werden, den Klassenerhalt zu sichern. Mir ist zudem wichtig, zu betonen: Die Mannschaft hat mehrfach bewiesen, dass sie in der Lage ist, in dieser Liga eine gute Rolle zu spielen.
Mit Torsten Ziegner ist der erste Trainer bereits wieder weg. War er die einzige Fehleinschätzung zu Saisonbeginn oder gibt es weitere Stellschrauben, an denen gedreht werden muss?
Jäger: Die 3. Liga ist sehr kompliziert und enorm ausgeglichen. Wir sind nicht der erste Absteiger, der sich hier schwertut. Jedes Spiel ist offen. Wir haben in Magdeburg gewonnen, haben zu Hause gegen Saarbrücken und Osnabrück unentschieden gespielt. Wir haben bewiesen, dass wir mithalten können. Aber wir hatten auch immer wieder Spiele, in denen die Mannschaft extrem wenig Leidenschaft und Biss gezeigt hat. Deswegen haben wir uns auch für den Trainerwechsel entschieden. Diesen Negativtrend hätten wir in der damaligen Konstellation nicht mehr aufhalten können.
Ziegner war nicht der einzige, der gehen musste. Auch Ihr Vorstandskollege Sebastian Schuppan musste seinen Posten räumen. Bekommen die Kickers das Image des Chaos-Klubs je wieder los?
Jäger: Ich glaube schon, dass wir in den letzten Monaten gezeigt haben, dass wir hier seriös und kontinuierlich arbeiten wollen. Dass es im Zuge des Trainerwechsels auch zur Abberufung von Sebastian Schuppan gekommen ist, ist letztendlich eine Entscheidung, die der Aufsichtsrat getroffen hat.
In einer solch ausgeglichen Liga spielen Kleinigkeiten eine große Rolle, beispielsweise auch die Stimmung auf den Rängen. Nun stehen wieder Geisterspiele in Bayern bevor.
Jäger: Wir waren wie alle optimistisch, dass das dieses Jahr anders wird als letzte Saison. Die Anzeichen waren ja insgesamt ganz positiv, obwohl es Einschränkungen wie Maskenpflicht und das Alkoholverbot gab. Vor vier Wochen herrschte hier nahezu Normalität. Beim Sieg gegen Türkgücü München haben wir eine tolle Unterstützung vom Publikum erfahren. Das braucht man natürlich auch genau dann, wenn man sportlich nicht so gut dasteht. Dass jetzt wieder Geisterspiele kommen, ist einfach bitter. Gerade das Heimspiel gegen 1860 München hätte eine tolle Kulisse verdient. Aber wir müssen mit der Situation eben so zurechtkommen, wie sie ist. Und das Beste daraus machen.
Ist diese Entscheidung der Politik für Sie nachvollziehbar? Oder wird am Fußball einfach nur ein Exempel statuiert?
Jäger: Ich glaube, es ist noch nirgendwo nachgewiesen worden, dass durch den Fußball riesige Infektionsketten entstehen. Aus meiner Sicht geht es der Politik um die Signalwirkung. Der Fußball hat eine exponierte Stellung, und wenn es Geisterspiele gibt, kommt auch bei den sorglosesten Menschen an, dass man sich an die Regeln halten muss.
Wie immens wäre der finanzielle Schaden, sollten wieder Spiele vor leeren Rängen kommen?
Jäger: Tatsächlich sind Spiele mit einer 2G+ -Regel aus rein finanzieller Sicht für uns am schlechtesten. Wir haben dadurch einen enormen Aufwand, da wären Geisterspiele in der Tat besser. Aber die Frage ist ja auch, welche Auswirkungen Geisterspiele auf den Fußball insgesamt haben. Ich glaube schon, dass wir einige Fans verloren haben, die sich andere Freizeitbeschäftigungen gesucht haben. Und nun eben nicht mehr zu jeden Heimspiel kommen, sondern sich das ein oder andere vor dem Fernseher anschauen. Das sind mittelfristige Folgen, über die noch niemand redet.
Kann es überhaupt gelingen, diese Menschen wieder für die Kickers zu gewinnen?
Jäger: Ein wichtiges Ziel von mir ist es, dass die Kickers in Würzburg besser wahrgenommen werden. Natürlich wollen wir uns auch neue Zielgruppen erschließen. Die Aktion für Studenten vor dem ursprünglichen Spiel gegen Braunschweig wurde sehr gut angenommen. Dann wurde das Spiel leider verlegt. Ich hoffe sehr, dass wir die Aktion im Frühjahr wieder durchführen können – unter normalen Gegebenheiten. Auch Nachhaltigkeit wird künftig eine große Rolle spielen. Aktuell prüfen wir, inwieweit wir einen CO²-neutralen Spieltag durchführen können: Von der Anreise der Fans bis hin zu allen Organisationen, die an einem Spieltag zum Einsatz kommen. Das wäre eine Aktion, die für viele Unternehmen interessant ist und auch zum Image der Stadt Würzburg passt. Zudem wollen wir uns künftig gesellschaftlich stärker in der Stadt Würzburg engagieren.
Auch die vergangene Zweitligasaison war nicht gerade förderlich für das Klima zwischen Verein und Fans. Felix Magath, den Thorsten Fischer als Berater seiner Firma Flyeralarm installiert hatte, hat tiefe Gräben hinterlassen. Werden die Kickers das je wieder los?
Jäger: Wenn wir die alten Kamellen immer wieder hervorkramen, kriegen wir das nie los. Ich würde lieber in die Zukunft schauen. Mir geht es auch nicht um eine Imagekorrektur. Es ist grundsätzlich die Aufgabe eines jeden Unternehmens, sich Gedanken zu machen, wie man auch in Zukunft erfolgreich sein kann. Und für die Kickers heißt das: Wie erreiche ich meine Fans, meine Sponsoren, die Menschen, und wie kann ich diese für die Kickers begeistern? Auf diese Herausforderung habe ich Lust und diesen Weg werden wir in den nächsten Monaten und Jahren einschlagen müssen.

Sie sind inzwischen etwa fünf Monate bei den Kickers. Gab es bereits Probleme, die für Sie vorher so nicht abzusehen waren?
Jäger: Ich hätte mich gerne bei den Nachbarn, die einem Stadionumbau sehr kritisch gegenüberstehen, persönlich vorgestellt. Das habe ich versucht. Aber als die Antwort kam, dass ich den Vorstellungstermin über den Rechtsanwalt vereinbaren soll, hat mir da ein Stück weit das Verständnis gefehlt. Das finde ich sehr schade. Ich bin als Person so, dass ich zunächst einmal offen auf alle Menschen zugehe und mich unvoreingenommen austausche. Das hätte ich mir auch von Seiten der Nachbarn gewünscht. Das ist ja etwas ganz Normales, sich vorzustellen, wenn man irgendwo neu einzieht. Das hätte ich gerne gemacht.
Das bestehende Stadion soll am aktuellen Standort umgebaut und modernisiert werden, ein Umzug ist vom Tisch. Sie werden künftig also noch öfter mit den Nachbarn zu tun haben.
Jäger: Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass ein Stadionumbau am derzeitigen Standort nach neuesten Schallschutzkriterien für die Nachbarn nur Vorteile hat. Der Schallschutz wird durch einen Umbau in jedem Fall verbessert werden. In den nächsten Wochen und Monaten werden die Planungen dafür konkretisiert. Es ist also noch nicht so, dass wir jetzt schon einen Bauantrag stellen können. Aber wir sind bereits mit Architekten im Austausch, was die Realisierung dieses Plans angeht – natürlich in enger Abstimmung mit der Stadt.
Wie abhängig sind Sie bei diesen Planungen vom sportlichen Erfolg?
Jäger: Sportlicher Erfolg hilft immer, keine Frage. Klar ist aber, dass unser Stadion weder in der 2., noch in der 3. Liga konkurrenzfähig ist. Wenn wir in Würzburg langfristig Profifußball behalten wollen, brauchen wir ein neues Stadion, das steht außer Frage.
Hat Würzburg die geeigneten Voraussetzungen als Profifußballstandort? Die Stadt vibriert ja nicht gerade, wenn die Kickers spielen.
Jäger: Die Unterstützung muss man sich erarbeiten und verdienen. Ich kenne die fränkische Mentalität inzwischen seit vielen Jahren, auch wenn ich erst seit einem halben Jahr in Würzburg lebe. Beim Franken ist generell das Glas immer halb leer. Das merke ich hier natürlich auch. Aber wir haben hier in der Region absolut das Potenzial, erfolgreich Profifußball zu betreiben. In einem Radius von hundert Kilometern um Würzburg gibt es nicht viele Vereine, die auf diesem Niveau Fußball spielen. Es muss unsere Zielsetzung sein, dass wir uns zur ersten Adresse in dieser Region entwickeln. Der Standort lässt Profifußball absolut zu.
Dafür gibt es die Konkurrenz anderer Sportarten. Ist in Würzburg ausreichend Platz für Fußball, Basketball und Handball auf Profiniveau?
Jäger: Absolut. Ich habe sowohl mit den Baskets als auch den Wölfen bereits gute Gespräche geführt und ich glaube, dass wir hier alle Platz haben. Dass man nicht unbedingt immer konkurrieren muss, sondern auch an einem Strang ziehen kann. Das hat zum Beispiel die gemeinsame Impfkampagne gezeigt. Ich fände es schön, wenn Würzburg nicht nur als Universitätsstadt wahrgenommen wird, sondern sich auch zu einer Sportstadt entwickelt.
Bei Ihrem Antritt sagten Sie, das Ziel sei, die Kickers unter die Top 40 deutscher Fußballklubs zu bringen. Die Realität heißt jedoch Abstiegskampf in der 3. Liga. Müssen Sie das Ziel korrigieren?
Jäger: Natürlich können wir das schaffen. Aber es wird ein langer Weg werden. Aber das treibt mich nur noch mehr an. Die Zielsetzung bleibt, die Kickers unter den Top 40 Fußballvereinen in Deutschland zu etablieren. Ein neues Stadion ist dafür allerdings die Grundvoraussetzung.
Zur PersonChristian Jäger ist 54 Jahre alt und hat seine ersten Schritte im Profisport als Leiter Vereinsmanagement des Basketball-Bundesligisten ENBW Ludwigsburg unternommen. 2004 wechselte der Vater zweier Kinder (zehn und 13 Jahre) zum Sportrechtevermarkter Sportfive. Dort stieg der am Bodensee aufgewachsene Schwabe bis zum Vice President Football der Region Süddeutschland auf und leitete unter anderem die Vermarktungsteams der Traditionsklubs Hertha BSC Berlin und 1. FC Nürnberg. Im Juli dieses Jahres folgte er als Vorstandsvorsitzender der Würzburger Kickers auf den ausgeschiedenen Daniel Sauer und sagte bereits bei seinem Antritt zum Thema Stadion: "Es muss zuerst die Infrastruktur stimmen, dann kommt der sportliche Erfolg."Quelle: fmo