Argwöhnisch beobachten sie einander: Die Ultras der Würzburger Kickers und die Polizei. Die Kickers-nahe Initiative "Fanhilfe Würzburg" hatte kürzlich "massive Grundrechtsverletzungen" gegen Fußballfans angeprangert.
Auch Kickers-Chef Benjamin Hirsch hatte auf Anfrage dieser Redaktion das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden gegen Fußballfans kritisiert. Hirsch hatte sich kurz vor dem Unterfranken-Derby demonstrativ vor die Kickers-Fans gestellt. Es sei eine Entwicklung erkennbar, die er "sehr kritisch und bedenklich" sehe, sagte er damals. Doch was meint er damit?
Kickers-Ultras wurden nach Demo von Polizei fotografiert und vermessen
Im Dezember 2020 sollen mehrere Ultras eine "Querdenker"-Demonstration angegangen haben. Laut Polizei hatten die Männer die Demo "mit geballten Fäusten" gestört und sie zwischenzeitlich blockiert.
Die Kriminalpolizei hatte deshalb im Februar 2021 eine "erkennungsdienstliche Behandlung" für fünf dieser Männer angeordnet. Das heißt: Sie wurden fotografiert, vermessen und mussten Fingerabdrücke abgeben. Ein Eingriff in die Grundrechte, gegen den die Männer vor dem Würzburger Verwaltungsgericht und dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geklagt haben – jedoch erfolglos.

Nachvollziehen kann Kickers-Chef Hirsch, der einen der Beschuldigten als Rechtsanwalt vertritt, das nicht: Die Polizei habe zur Begründung ihrer Maßnahmen vor Gericht "auf Textbausteine zurückgegriffen und sich weder mit der vermeintlichen Tat und schon gar nicht mit der Person auseinandergesetzt", kritisiert er.
Sowohl aus juristischer als auch aus gesellschaftlich-sportlicher Perspektive halte er das Vorgehen der Polizei gegen Fußballfans teilweise für problematisch: "Meine Ansichten als Rechtsanwalt und als Vorstandsvorsitzender unterscheiden sich in diesem Fall nicht."
Klage der Betroffenen von Verwaltungsgericht Würzburg abgewiesen
Dem Bescheid, der der erkennungsdienstlichen Behandlung zugrunde liegt, fehlten konkrete Ausführungen zur angeblichen Straftat, argumentierte Hirsch vor Gericht. Die Vorwürfe seien unspezifisch und würden gegen fünf Beschuldigte wortgleich vorgebracht. Dies reiche für einen derartigen kritisierten Eingriff in die Grundrechte nicht aus.
"Die gerichtliche Entscheidung halte ich nach wie vor für falsch."
Benjamin Hirsch, Vorstandsvorsitzende der Würzburger Kickers und Rechtsanwalt
Dem widersprach das Verwaltungsgericht und wies die Klage ab: "Wenn gegen den Kläger (...) keinerlei Erkenntnisse vorlägen, hätte die Staatsanwaltschaft allerdings entweder nie Ermittlungen aufgenommen oder diese bereits eingestellt", heißt es dazu unter anderem in der Begründung, die offenbar auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof teilt. Dieser hat eine Beschwerde der Beschuldigten im Januar 2023 abgelehnt.
Kickers-Chef Benjamin Hirsch sieht Eingriff in Grundrechte der Würzburger Ultras
Die Staatsanwaltschaft Würzburg legt vier Männern gemeinschaftlichen Landfriedensbruch sowie gemeinschaftliche versuchte Nötigung und einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz zur Last. Sie beantragte Strafbefehle für Geldstrafen zwischen 90 und 150 Tagessätzen. Das Amtsgericht Würzburg prüft die Anträge derzeit noch.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hatten einige Männer die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der "Querdenker"-Demo im Dezember 2020 durch "martialisches Auftreten und Androhung von Tätlichkeiten eingeschüchtert". "Die Männer gehörten einer Gruppe gewaltbereiter Anhänger des Fußballvereins Würzburger Kickers an. Sie hatten sich hierbei mit Anhängern des linksextremen politischen Spektrums in Würzburg zusammengetan", sagt Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach.

"Die gerichtliche Entscheidung halte ich nach wie vor für falsch. Erkennungsdienstliche Maßnahmen sind ein Eingriff in Grundrechte. Deshalb sind solche Eingriffe gut zu begründen", sagt dazu Kickers-Chef Benjam Hirsch. "Es ist leider festzustellen, dass die Hürde für derartige Grundrechtseingriffe immer weiter abgesenkt wird."
Welche Folgen kann eine erkennungsdienstliche Behandlung für Ultra-Fans haben?
Unterstützung bekommt Kickers-Chef Benjamin Hirsch von René Lau, Fachanwalt für Sport- und Strafrecht aus Berlin. Lau sagt: "Eigentlich ist das, was hier passiert ist, ein klassischer Fall für eine Einstellung des Verfahrens." Nach allem was bekannt ist, sei keine Gewalt ausgeübt worden. Er sehe den Fall daher, "wenn überhaupt, am unteren Ende einer etwaigen Strafbarkeit angesiedelt".
Das Vorgehen der Polizei gegen Fußballfans sei in den vergangenen Jahren härter geworden, so Lau. "Vorfälle, die früher mit einem mahnenden Wort der Polizei an Fans geklärt worden wären, kommen heute sofort zur Anzeige."

Eine erkennungsdienstliche Behandlung, ist Lau überzeugt, "kann Jahre später noch weitreichende Folgen haben". Denkbar sei etwa ein Eintrag in die Polizeidatenbank "Datei Gewalttäter Sport". Dies wiederum könne dazu führen, dass die Bundespolizei Betroffene am Flughafen mit Verweis auf die erkennungsdienstliche Behandlung nicht ausreisen lässt. "Betroffene werden weder über einen Eintrag benachrichtigt noch gibt es Rechtsmittel gegen die Eintragung", sagt Lau.
Auch Professor Harald Lange, der an der Universität in Würzburg zum Thema Fankulturen im Fußball forscht, sieht das Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden kritisch. "In Würzburg sehe ich die von den Ultras ausgehende Gefahr als äußerst gering an", sagt Lange. Das Polizeiaufgebot sei "teilweise unangemessen hoch", das Verhältnis zwischen Ultras und Polizei sei "zerrüttet".

Abgesehen von der Fan-Szene äußere Lange zufolge kaum jemand Kritik an den großangelegten Polizeieinsätzen am Rande des Fußballfelds. "Die Polizei muss sich nicht rechtfertigen und deswegen rechtfertigt sie sich nicht. Das wird nicht weiter hinterfragt", sagt der Fan-Forscher.
Bekenntnis des Kickers-Chefs zu den eigenen Ultras als neue Entwicklung
Dass sich mit Benjamin Hirsch der Vorstandsvorsitzende der Würzburger Kickers zu seinen Ultras bekennt und öffentlich für deren Rechte eintritt, sei eine relativ neue Entwicklung, die sich auch bei anderen Vereinen bemerkbar mache.
Aus Sicht von Fan-Forscher Lange haben sich in der Corona-Pandemie viele Fans vom Profifußball abgewandt. Einige Vereine hätten festgestellt, dass man die Fans aktiv zurückgewinnen und deren Interessen auch öffentlich vertreten muss. "Fußballfans haben keine Lobby", sagt der Sportwissenschaftler. "Für ein gutes Standing des Vorstands ist es erforderlich, sich auch in kritischen Fragen zu positionieren." Beispielsweise dann, wenn es um etwaige Eingriffe in Grundrechte gehe.