Es ist der 6. März 2019, Paris St. Germain wurde gerade überraschend von Manchester United aus dem Champions-League-Achtelfinale geworfen, und der 23-jährige Abwehrspieler Presnel Kimpembe sitzt weinend auf dem Rasen. Es war der von ihm verursachte Handelfmeter für die Engländer, der die Franzosen in der vierten Minute der Nachspielzeit um den Einzug ins Viertelfinale brachte. Keiner aus der Pariser Mannschaft ist da, um den Kameraden zu trösten. Bis ein Engländer seinen siegtrunkenen Kameraden auf dem Weg in die Fankurve den Rücken kehrt. Doppeltorschütze Romelu Lukaku, der gefeierte Held des Abends, läuft auf Kimpembe zu, hilft ihm auf die Beine und hält den weinenden Jungen minutenlang im Arm - während er ihm hinter vorgehaltener Hand Tröstendes und Aufmunterndes ins Ohr flüstert.
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Für den Sportjournalisten und Fußball-Kommentator Marcel Reif ist diese große Geste ein Sinnbild für Fairness. "Das war eine Szene, dafür liebe ich den Fußball", sagte der 69-Jährige, der die Partie in der Vorwoche live kommentiert hatte. Am Montagabend war er der Ehrengast eines Galaabends im Würzburger Vogel Convention Center, bei dem das Medienhaus Main-Post und die Kanzlei Bendel & Partner die Sieger ihrer Aktion "Fair ist mehr" ehrten. Im Gespräch mit den Moderatoren Natalie Greß und Kai Dunkel sprach Reif oft von "meinem Fußball", der ihm als Kind, so sagte er es "wirklich das Leben gerettet hat".

Reif, der als Kind von Polen über Tel Aviv in die Pfalz gekommen ist, begann seine journalistische Laufbahn beim ZDF im Ressort Politik und hatte zunächst keinerlei Ambitionen, als Sportreporter zu arbeiten: "Ich wollte mir mein Hobby nicht durch die Arbeit versauen." Erst als ihm die Korrespondentenstelle in London, die er interimsweise hatte, auf Dauer verwehrt blieb, wechselte er die Redaktion und hat seine Entscheidung bis heute nicht bereut: "Ich muss revidieren, wenn ich mal gesagt habe, das ist doch nur Fußball. Das ist nicht so, das ist viel mehr." Die Freude an "der schönsten Nebensache der Welt" ist ihm bis heute geblieben, vor allem deshalb, weil sie Männer noch immer zu Kindern werden lässt: "Da kann ich mit knapp 70 noch ein Kindskopf sein."
Umso sorgenvoller beobachtet er die aktuellen Entwicklungen im Profi-Fußball. "Obszöne Summen" und "zunehmende Kommerzialisierung" nimmt Reif, der am Zürichsee lebt, als gegeben hin, als nicht änderbare Tatsache. Was ihn aber stört, ist der Versuch, den Anhängern das "Event Fußball" noch als "echte Liebe" oder "Familie" verkaufen zu wollen. "Wenn das weiter zunimmt, fürchte ich, dass die junge Generation abhaut", äußerte der Schweizer seine Bedenken.
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Mangelnde oder abnehmende Fairness wollte er dem Profisport allerdings nicht unterstellen. Im Gegenteil: "Eine Schwalbe ist nicht nur eine Sauerei, sondern mit den vielen Kameras im Stadion inzwischen einfach dämlich." So sorge die zunehmende Technisierung des Fußballs – von der Torlinientechnik bis zum Videobeweis – zwangsläufig für weniger unsportliche Aktionen: "Andi Möller würde nicht noch einmal so oft der Schwerkraft anheimfallen."
Kritisch sieht Reif ein Publikum, das sich mehr und mehr vom Fußball entfremdet – wie er am Beispiel des Zweitliga-Derbys des Hamburger SV gegen den FC St. Pauli erklärte. Drei- bis viermal sei das Spiel unterbrochen worden, weil "Fans" in der Südkurve Pyrotechnik gezündet hatten. "Da nimmt sich das Publikum wichtiger als das Spiel. Ich frage mich auch, ob 90 Minuten langes Gesinge sinnvoll ist", sinnierte der 69-Jährige, der allerdings manchmal selbst zum Hooligan wird. Dann nämlich, wenn einer seiner Söhne auf dem Feld steht: "Da bin ich laut, flegelhaft und ungezügelt."
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