In der epischen Western-Oper "Spiel mir das Lied vom Tod" von Sergio Leone kommt es am Ende zu dieser großartigen Szene und zumindest in der deutschsprachigen Synchronisation zu diesem epochalen Dialog: Die sich nach ihm sehnende Witwe Claudia Cardinale, die dabei ist, einen Bahnhof und eine Stadt zu bauen, sagt zu dem namenlosen Revolverhelden: "Sweetwater wartet auf dich." Der Mann mit der Mundharmonika, Charles Bronson, antwortet: "Irgendeiner wartet immer." Dann packt er sein Bündel und geht. Leones Meisterwerk ist der Lieblingsfilm von Denis Wucherer. Ein Gespräch mit dem am Freitag 48 gewordenen Cheftrainer von Basketball-Bundesligist s.Oliver Würzburg über eine schwierige Saison, an deren Ende den Baskets der Klassenerhalt mit Hängen und Würgen gelang, und über eine bessere Zukunft.
Frage: Worauf warten Sie? Oder packen Sie auch Ihre sieben Sachen?
Denis Wucherer (lacht erst ein wenig, dann überlegt er länger): Gerade warte ich eigentlich gar nicht, ehrlich gesagt. Höchstens auf ein bisschen Aufbruchstimmung. Wir werden das jetzt mal alles aufarbeiten. Wir müssen analysieren, welche Fehler begangen wurden und welche Risiken wir eingegangen sind. Und was wir anders machen wollen und müssten, um in der kommenden Saison wieder in Richtung Tabellenmittelfeld anzugreifen. Darum geht es vor allem. Und da warten wir auf . . . (er zögert ein bisschen)
. . . die Zusage und Gewissheit, mehr Geld zur Verfügung zu haben als in der abgelaufenen Runde!
Wucherer (lacht erneut): . . . so kann ich das natürlich nicht formulieren. Aber wir warten tatsächlich auf die entsprechenden Rauchzeichen, sozusagen. Ich glaube aber auch, dass wir diesen Sommer ein bisschen geduldiger sein müssen und es etwas länger dauern könnte, bis wir Nägel mit Köpfen machen können, weil einfach noch lange nicht feststeht, wie die kommende Saison aussehen kann, ob und wie die Pandemie überstanden ist, oder wie es weitergeht. Wir müssen geduldig sein, aber eben auch vorbereitet, dass wir dann eine Mannschaft zusammenstellen können.
Also, fürs Protokoll: Auch wenn die Baskets bestimmt nicht so attraktiv sind wie Claudia Cardinale und Würzburg auch nicht Sweetwater ist: Sie bleiben?
Wucherer (lacht): Ja, ich bleibe.
Lesen Sie hier: Ein Kommentar zur Saison und zur Zukunft der Baskets
Wie realistisch ist es denn, nächste Runde eine bessere Rolle zu spielen - wenn sich der Etat nicht groß verändern und um einiges erhöhen würde?
Wucherer: Mit einem Budget, mit dem wir gearbeitet haben und der für Bundesligaverhältnisse begrenzt und überschaubar war, musst du auch Glück haben, um eine gute Rolle zu spielen. Sowohl Geschäftsführer Steffen Liebler als auch die Gesellschafter wissen, dass du über kurz oder lang mit so einem begrenzten Budget in der Bundesliga dem Abstieg nicht mehr von der Schippe springen wirst.

Und was hat diese Erkenntnis für Konsequenzen? Wird sich etwas ändern, oder wagt der Klub das nächste Vabanquespiel?
Wucherer: Auch wenn das Thema Finanzen natürlich nicht zuvorderst meine Baustelle ist, kann man doch sagen, dass die gute Stimmung, die wir mit den neuen Gesellschaftern haben, die alle sehr motiviert sind und sich stark einbringen, und das auch schon in den letzten Monaten taten, durchaus Hoffnung machen kann. Es wird an vielen Stellen hart daran gearbeitet, dass wir in der kommenden Saison größere Chancen haben, wieder anzugreifen. Dazu gehört, dass es uns gelingt, zum Beispiel auch auf den Importpositionen wieder Gesichter zu finden, mit denen man sich identifizieren kann. Und wir dann eben auch wieder wegkommen von diesem – wie Sie es ja mal genannt haben – Söldnertum.
Das ist Zukunftsmusik. Lassen Sie uns kurz zurückblicken. Welche Fehler hat der Klub und welche haben Sie gemacht, dass es letztlich am Ende so ein Gewürge wurde?
Wucherer: Die Kombination aus Rekonvaleszenten, also Spielern, die von schwierigen Verletzungen zurückkamen wie Justin Sears und Brekkott Chapman, und vielen Neulingen, die die Bundesliga noch nicht kannten, das war zu viel Risiko und ist letztlich nach hinten losgegangen. Bei lange verletzten Spielern besteht immer die Gefahr, dass entweder dieselbe Verletzung nochmal aufbricht oder eben Folgeverletzungen kommen, wie es bei Sears und Chapman der Fall war. Dazu haben wir auch pandemiebedingt, im Nachhinein betrachtet, an den falschen Ecken gespart, unter anderem im physiotherapeutischen und athletischen Bereich. Das alles zusammen war keine gute Kombination. Diese Fehler dürfen wir nicht noch einmal begehen. Was allerdings auch nicht bedeutet, dass wir nicht wieder Risiken eingehen werden müssen.

Richtig daneben gegriffen habt Ihr vor der Saison zwar nur bei der Besetzung des Aufbauspielers mit Tyler Persons, aber es ist natürlich bei Ihrem bevorzugten Spielsystem vielleicht eine noch wichtigere Schlüsselposition als in anderen Systemen.
Wucherer: Da haben wir uns wirklich vertan. Wir sind ja üblicherweise auch eher geduldig und geben den Jungs Zeit, sich zu entwickeln. Aber in dem Fall Persons war relativ schnell klar, dass es nicht wirklich funktioniert auf dem Niveau in der Bundesliga. Ansonsten waren wir eigentlich mit den Verpflichtungen zufrieden. Und mit dem Plan, dass dann Chapman und Sears zurückkommen sollten, hatten wir eigentlich das Gefühl, eine interessante BBL-Mannschaft an den Start zu bringen. Ich erinnere mich an die drei Wochen, bevor wir in Bonn und in Frankfurt gewonnen haben, da hatten wir eine Mannschaft, die auch auf gutem BBL-Niveau trainiert hat. Wir waren voller Vorfreude auf die nächsten Wochen und Monate, weil wir wussten: Wir werden zwar nicht jedes Spiel gewinnen, aber regelmäßig erfolgreich sein. Da waren wir auf dem richtigen Weg. Dann kam die Verletzung von Sears in Bonn, dann die von Chapman in Frankfurt. Danach waren wir personell und auch vom Spielerischen her in einer Situation, in der wir uns sehr schwergetan haben.
Also mussten Verstärkungen und Nachverpflichtungen her. Nach langer Suche haben Sie dann mit Perry Jones, Murphy Holloway und Rob Lowery auch drei gefunden, die dem Spiel erst einmal sehr guttaten . . .
Wucherer: Genau. Und da hatten wir vor den Partien gegen Gießen und in Crailsheim wieder eine Situation, in der wir gut trainieren konnten, und wir hatten auch wieder das Gefühl: Mit der Mannschaft könnte auch mehr gehen als nur der Klassenerhalt.

Sie haben beide Spiele gewonnen und lagen plötzlich nur zwei oder drei Siege hinter Play-off-Rang acht . . .
Wucherer: . . . und dann kam das Training, in dem sich Lowery den Ellbogen bricht. Er hatte die Jungs mitgenommen mit seiner Energie und seinem Spiel. So fielen wir ins nächste Loch, und aus dem sind wir bis zum Saisonende auch nicht mehr rausgekommen. Zum Glück haben wir dieses Schüttelspiel in Gießen noch gewonnen und gegen Bamberg noch einen richtig guten Tag erwischt, um letztlich mit einem blauen Auge davonzukommen. Aber insgesamt war die zweite Saisonhälfte mit nur drei Siegen natürlich hochgradig frustrierend.
Der Eindruck, der, nachdem der Klassenerhalt feststand, nach den letzten drei Spielen gegen Chemnitz, Frankfurt und vor allem Absteiger Vechta, erst einmal hängenbleibt, ist natürlich fatal und kann etwa mit einem Sieg nächstes Wochenende auch nicht korrigiert werden . . .
Wucherer: Richtig, und da müssen nun auch erst einmal zwei, drei Wochen ins Land ziehen. Was deutlich wichtiger ist als dieser letzte Eindruck ist aber, und das ist das, was im Endeffekt zählt, auch wenn das ein bisschen abgedroschen klingen mag: Wir haben das Saisonziel erreicht, wenn auch mit Ach und Krach. Wir haben zwei Mannschaften hinter uns gelassen, die vom Kader her nicht unbedingt Abstiegsmannschaften sind. Wir haben irgendwie neun Siege eingefahren, und das war wichtig.

Mit Sears, Cameron Hunt und Joshua Obiesie haben noch drei Spieler wie auch Sie noch einen Vertrag für die nächste Saison. Wie wahrscheinlich ist es, dass mehr als zwei der zuletzt 16 Spieler im Kader auch nächste Saison in Würzburg spielen?
Wucherer: Na ja, mit Sears haben wir jemanden unter Vertrag, der hoffentlich zumindest in Richtung Saisonstart wieder fit ist, das sieht gerade ganz gut aus. Cameron Hunt ist ein interessanter Spieler, der sich noch zwei Jahre bei uns entwickeln kann. Und falls das nicht der Fall sein sollte, bekommen wir eine Ablöse. Ich gehe davon aus, dass wir nun schnell mit Felix Hoffmann verlängern werden und ihn mittelfristig in den Verein einbinden. Auch Julius Böhmer werden wir wiedersehen. Und dann müssen wir überlegen, wie wir eventuell in der Spitze investieren können, um eben diese ein, zwei Spieler neben Sears zu haben, die uns mehr Stabilität geben, die auch schon in der Bundesliga oder auf ähnlichem Niveau gespielt haben. Und Spieler wie Julian Albus, Jonas Weitzel und Elijah Ndi, der von hinten ranschnuppert, könnten zum Beispiel ebenfalls weiterhin im Kader stehen. Der Sommer wird dann darüber entscheiden, ob wir in der Lage sind, dann noch ein, zwei deutsche Spieler zu verpflichten, die uns nach vorne bringen.

In Ihrer Liste fehlen unter anderem Florian Koch und Joshua Obiesie . . .
Wucherer: Bei ihnen, aber auch bei Nils Haßfurther und Alex King stehen Gespräche an und werden Entscheidungen in den kommenden Wochen fallen.
Summa summarum: Es scheint, als seien zumindest der Cheftrainer und sein Assistent motiviert, es nächste Saison besser hinzukriegen . . .
Wucherer (lacht): Ich kenne es ja so, dass du nach einer Saison in ein Loch fällst. In meinem ersten Jahr in Würzburg haben wir dieses europäische Finale dumm verloren. Wie gerne würde ich diese letzten drei Minuten noch einmal nachspielen lassen. Und wir haben wegen eines Sieges die Play-offs verpasst. Das war frustrierend. Dann die zweite Saison: tolle Mannschaft, den Kern zusammengehalten, vereinzelt verstärkt, wir waren ganz klar auf Play-off-Kurs – plötzlich wirst du durch die Pandemie gestoppt und darfst noch nicht einmal bei diesem Jedermannsturnier am Ende mitmachen (Anmerk. d. Red: Er meint das Meisterschaftsturnier in München, für das sich letztlich jeder Bundesligist bewerben durfte). Im Endeffekt war es natürlich die richtige Entscheidung, dort nicht mitzumachen, weil wir dadurch viel Geld gespart haben. Aber das alles zu verarbeiten, hat richtig gedauert. Zugegeben: Jetzt, am Sonntagabend auf der Couch bei einem Glas Wein, habe ich mich gefreut. Weil ich genau weiß, dass nicht viel gefehlt hat, und es wäre zum kompletten Desaster geworden. Vor allem für den Verein und seine Fans, aber auch für die Spieler und uns Trainer. Ich weiß nicht, wie viele Niederlagen wir mit 20 Punkten Unterschied oder mehr eingesteckt haben. Aber wir haben es irgendwie geschafft, mit dieser Mannschaft, die über die Saison mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen hatte, neun Siege zu holen und zwei hinter uns zu lassen. Das hat mich richtig gefreut, und ich war erleichtert und bin froh, dass das rum ist. Es fühlt sich ein bisschen so an, wie bei dem, der Dritter wird und sich mehr freut als der Zweite. Der Zweite ärgert sich darüber, nicht Erster zu sein. Der Dritte ist froh, auf dem Podest und nicht Vierter geworden zu sein.
Zur PersonDenis Wucherer, geboren am 7. Mai 1973 in Mainz, ist 123-facher Nationalspieler und gewann bei der EM 2005 die Silbermedaille. Er ist vierfacher deutscher Meister und zweimaliger Pokalsieger, alle Titel gewann er in den Neunzigern mit Bayer Leverkusen. Seit 2018 ist der Vater zweier Söhne, von dem einer bei ihm lebt, Cheftrainer bei Bundesligist s.Oliver Würzburg, sein Vertrag läuft bis Ende der Saison 2021/22. (tbr)