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München: 50 Jahre nach Münchner Olympia-Attentat: Bei der Gedenkfeier droht ein Eklat

München

50 Jahre nach Münchner Olympia-Attentat: Bei der Gedenkfeier droht ein Eklat

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    Ein ausgebrannter Hubschrauber am 6. September 1972 auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck. Dort waren neun Geiseln und ein Polizist bei einer gescheiterten Befreiungsaktion nach der palästinensischen Terrorattacke auf das israelische Olympia-Team gestorben. 
    Ein ausgebrannter Hubschrauber am 6. September 1972 auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck. Dort waren neun Geiseln und ein Polizist bei einer gescheiterten Befreiungsaktion nach der palästinensischen Terrorattacke auf das israelische Olympia-Team gestorben.  Foto: Göttert, dpa

    Die Worte sind harsch, der Zorn sitzt ganz offensichtlich sehr tief: "50 Jahre Schmähungen, Lügen, Erniedrigung und Abweisungen durch die deutsche Regierung und insbesondere bayerische Behörden sind mehr als genug für uns." So begründen Ankie Spitzer und Illano Romano, zwei der Witwen der bei dem Olympia-Attentat 1972 getöteten elf israelischen Sportler, die Absage der Teilnahme aller Opferfamilien an einer geplanten Gedenkfeier 50 Jahre nach dem schrecklichen Ereignis.

    Die am 5. September in München und Fürstenfeldbruck geplante Veranstaltung drohe ohne die Angehörigen der Opfer jedoch "zur Groteske zu verkommen", warnt der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU). Zumal er den Zorn der Hinterblieben gut verstehen kann: "Auch 50 Jahre nach dem palästinensischen Terroranschlag sind wir noch meilenweit von einem fairen Umgang entfernt."

    Spaenle nennt deutschen Umgang mit den israelischen Opferfamilien "beschämend"

    So werde bis heute von Seiten des deutschen Staates mit den Opferfamilien "nicht auf Augenhöhe gesprochen", kritisiert Spaenle. Zudem müsse die Bundesrepublik Deutschland endlich "die nötigen Mittel für eine Entschädigung bereitstellen", fordert er. Es sei geradezu "beschämend", wie stattdessen auch nach 50 Jahren noch immer "der Mantel des Schweigens über das Versagen des Staates bei dem Attentat gebreitet" werde.

    Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, rechts), Carmela Shamir, Generalkonsulin von Israel, und Ludwig Spaenle (CSU) bei einer Gedenk-Veranstaltung an das Olympia Attentat im Juli 2022 im Münchner Olympiapark.
    Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU, rechts), Carmela Shamir, Generalkonsulin von Israel, und Ludwig Spaenle (CSU) bei einer Gedenk-Veranstaltung an das Olympia Attentat im Juli 2022 im Münchner Olympiapark. Foto: Stefan Puchner, dpa

    Am 5. September 1972 waren acht palästinensische Terroristen in die Unterkunft der Israelis im Olympischen Dorf eingedrungen. Zwei Sportler wurden sofort ermordet, die neun anderen Geiseln starben zusammen mit einem bayerischen Polizisten Stunden später bei einem dilettantischen Befreiungsversuch in Fürstenfeldbruck. Dort lief so ziemlich alles schief, was schief laufen konnte: So waren etwa zu wenige Scharfschützen vor Ort, weil die Information über die Anzahl der Geiselnehmer nicht rechtzeitig weitergegeben wurde. Radpanzer der Polizei blieben auf dem Weg nach Fürstenfeldbruck im Verkehr stecken. Bei den in Fürstenfeldbruck eingesetzten Polizisten handelte es sich zum Teil um junge Freiwillige ohne jegliche Erfahrung bei Geiselnahmen.

    Zuvor war offenbar von deutscher Seite ein israelisches Angebot zum Einsatz einer eigenen Spezialeinheit abgelehnt worden – wer dafür verantwortlich war, ist bis heute unbekannt. Eine Befreiungsaktion im Olympiadorf scheiterte auch daran, dass die Vorbereitungen live im Fernsehen zu sehen waren – auch von den Terroristen.

    Das Fiasko bei der gescheiterten Geiselbefreiung "war schlicht Staatsversagen"

    Der gescheiterte Polizeieinsatz, zunächst im Olympischen Dorf und dann auf dem Militärflugplatz in Fürstenfeldbruck "war schlicht Staatsversagen", findet Spaenle deshalb: "Das muss man endlich auch einmal so sagen."

    Moralisch vielleicht noch schlimmer, als dieses erste Versagen, war aber der Umgang der Verantwortlichen aus Politik und Polizei in den Jahren danach mit den Hinterbliebenen. Die forderten vor allem Aufklärung über die Umstände des Todes ihrer Angehörigen: "Niemand hat sich jemals bei mir entschuldigt, bis heute nicht", sagte Ankie Spitzer, die damals ihren Ehemann Andrei verloren hatte, kürzlich der "Süddeutschen Zeitung".

    Kämpft seit fünf Jahrzehnten für Aufklärung über die Umstände der gescheiteten Geiselbefreiung und für eine Anerkennung der deutschen Mitverantwortung am Tod der elf israelischen Sportler: Ankie Spitzer, Witwe des ermordeten Fechters Andrei Spitzer.
    Kämpft seit fünf Jahrzehnten für Aufklärung über die Umstände der gescheiteten Geiselbefreiung und für eine Anerkennung der deutschen Mitverantwortung am Tod der elf israelischen Sportler: Ankie Spitzer, Witwe des ermordeten Fechters Andrei Spitzer. Foto: Karel Prinsloo, dpa

    Stattdessen seien die Angehörigen Jahrzehnte lang von deutschen und bayerischen Behörden belogen worden – etwa indem behauptet wurde, es gäbe keine Akten zur gescheiterten Befreiungsaktion. Eine Lüge, die erst zusammenbrach, als ein Archivmitarbeiter den Angehörigen 1992 anonym 80 Seiten aus eben diesen Akten zuspielte. Trotzdem werde "bis heute vieles verborgen gehalten", kritisiert Spitzer. Der frühere Münchner Polizei-Vizepräsident Georg Wolf habe ihr sogar einst vorgeworfen, die Israelis seien selbst schuld gewesen an dem Massaker – weil sie "den Terror auf deutschen Boden gebracht" hätten, so erzählt es Spitzer.

    Seit Jahrzehnten kämpfen die Hinterbliebenen um Aufklärung und eine Entschädigung

    Seit Jahrzehnten kämpfen die Angehörigen um eine Anerkennung des deutschen Versagens und eine Entschuldigung, aber auch um eine deutliche finanzielle Entschädigung. Zehn Millionen Dollar pro Opferfamilie wären angemessen, findet Spitzer: "Wir fordern das nicht aus Habgier, uns geht es um Gerechtigkeit", beteuert sie. Denn nur eine hohe Summe, so sehen das die Hinterbliebenen, wäre auch eine symbolische Anerkennung der deutschen Verantwortung für das tödliche Fiasko. 

    "Wir fordern das nicht aus Habgier,uns geht es um Gerechtigkeit."

    Ankie Spitzer, Sprecherin der Opferfamilien, zur geforderten Entschädigung

    Die Bundesregierung hat nun kürzlich offenbar zehn Millionen Euro angeboten – für alle elf Opferfamilien. Davon sollten noch viereinhalb Millionen Euro abgezogen werden, die bereits 1972 und 2002 als humanitäre Hilfe gezahlt wurden. "Hochnotpeinlich", nennt Spaenle diese Verrechnung. Die Angehörigen lehnten das Angebot empört ab – und kündigten in einem Brief an Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an, die offizielle Gedenkfeier Anfang September zu boykottieren.

    Zwar betonten Sprecher der Bayerischen Staatsregierung und des Bundesinnenministeriums, auch nach der Absage weiter mit den Hinterbliebenen verhandeln zu wollen. Dennoch droht das Gedenken nun endgültig im Eklat zu versinken. Denn wenn die israelischen Opferfamilien nicht kommen, wird auch mit einer Absage des ebenfalls geladenen israelischen Staatspräsidenten Izchak Herzog gerechnet.

    Bayerns Innenminister will an Gedenkfeier auch ohne die Angehörigen festhalten

    Dabei hatte sich die deutsche Seite durchaus bewegt: Das Bundesinnenministerium hat unter dem Titel "Aufarbeiten. Erinnern. Anerkennen." ein Konzept vorgelegt, das unter anderem eine deutsch-israelische Historiker-Kommission zur Aufarbeitung offener Fragen vorsieht sowie eine "klare politische Einordnung" des Attentats in Aussicht stellt. Bislang hatte einzig Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) eine deutsche Mitverantwortung angedeutet – 2017, 45 Jahre nach dem Attentat.

    Spaenle hält eine Gedenkfeier ohne die Hinterblieben dennoch für fragwürdig. Man müsse eine Absage deshalb "ernsthaft prüfen" findet er. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will an der Veranstaltung auf dem Gelände des Flugplatzes in Fürstenfeldbruck dennoch festhalten: Der Anschlag von 1972 sei "einer der schlimmsten Terrorakte, der in München und Bayern jemals stattgefunden hat", sagte er dem "Münchner Merkur". Ein Gedenken sei deshalb für München, Bayern und Deutschland sehr wichtig – "auch dann, wenn die Angehörigen aus den Opferfamilien, wie zu befürchten, nicht kommen werden".

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