„Er hatte das Bedürfnis, die Teile zu verbinden und nicht zu trennen.“
Eva Dolezalova vom Zentrum für Mediävistik in Prag
„Er dachte nicht nur an seine Amtszeit, sondern darüber hinaus.“
Historikerin Eva Dolezalova
Wer als Besucher durch Prags verwinkelte Gassen spaziert, trifft fast auf jedem Schritt auf das große Erbe Kaiser Karls des Vierten. Da ist der Veitsdom auf dem Burgberg Hradschin, den jedes Jahr Millionen von Touristen besuchen. Anno 1344, ordnete Karl IV. den Bau der Kathedrale an, da war Prag gerade zum Erzbistum erhoben worden. Und am prominentesten und berühmtesten natürlich: die Karlsbrücke mit ihren 16 steinernen 25-Meter-Bögen, die zu ihrer Zeit als ein technisches Wunderwerk galt. 1357 hatte der Kaiser den Grundstein legen lassen, weil die ältere Judith-Brücke von einem Hochwasser weggeschwemmt worden war. Noch heute blickt der Herrscher, dessen 700. Geburtstag an diesem Samstag ansteht, vom Altstädter Brückenturm auf die Passanten hinunter.
Gleich nebenan erinnert eine Statue des Dresdner Bildhauers Ernst Hähnel an den römisch-deutschen Kaiser und König von Böhmen. Erkennbar ist er an seinem trendigen Vollbart. Und im „Karolinum“ erhalten Studenten der Universität ihren Abschluss, die Karl IV. 1348 als erste Hochschule Mitteleuropas gegründet hatte.
Dennoch hatte Karl IV. – geboren am 14. Mai 1316, gestorben 1378 – aus dem Hause Luxemburg bei deutschen Chronisten lange ein Imageproblem: Der kirchenhörige Pfaffenkönig habe sich mehr um sein Königreich Böhmen als das Reich gekümmert, hieß es in Deutschland lange. Anders sieht es naturgemäß im Nachbarland aus, wo „Karel“ in Umfragen immer wieder zum größten Tschechen aller Zeiten gekürt wird. Die Wirklichkeit war wie immer komplizierter.
„Karl IV. hätte über sich mit Sicherheit nie gesagt: Ich bin Tscheche oder ich bin Deutscher“, sagt Eva Dolezalova vom Zentrum für Mediävistik in Prag. Der Herrscher sei ein Europäer gewesen – am französischen Hof erzogen, zur Hälfte luxemburgischer Herkunft und fließend in mindestens fünf Sprachen. „Er hatte das Bedürfnis, die Teile zu verbinden und nicht zu trennen“, sagt Historikerin Dolezalova.
Daher passt es, dass Tschechien und Bayern dem Friedensfürsten im Jubiläumsjahr ihre erste gemeinsame Landesausstellung widmen. Sie wird erst in Prag und dann in Nürnberg zu sehen sein.
Aus dem Geschlecht Luxemburg-Limburg
Karls Großvater Heinrich VII. hatte im Jahr 1308 als erster aus dem Geschlecht Luxemburg-Limburg den Sprung auf den deutschen Königsthron geschafft. Sein Sohn Johann der Blinde wurde nicht nur Landgraf von Luxemburg, sondern auch König von Böhmen und Markgraf von Mähren. Er machte sich einen Namen als Schlachten- und Turnierheld, erblindete aber 1340 völlig und fiel im August 1346 in der Schlacht von Crécy. Sein auf den Namen Wenzel getaufter Sohn konnte sich vom Schlachtfeld absetzen – und wurde gut ein Jahr später als Karl I. von einer Ständeversammlung zum König von Böhmen gewählt. Am 5. April 1355 folgte in Rom die Krönung zum Kaiser. Unter dem klugen Herrscher war das Haus Luxemburg auf dem Höhepunkt seiner Macht.
Als römisch-deutscher Kaiser herrschte Karl IV. über ein Gebiet von Luxemburg bis Graz und von Nizza bis Hamburg. Im Reich nie völlig akzeptiert, konzentrierte er sich auf seine Hausmacht, die er von Böhmen bis zur Mark Brandenburg ausdehnte. „Und es war dieser Kaiser ein sehr kluger Mann, und er gewann die Herrschaft mehr durch Überzeugungskraft als durch Waffen“, lobte ein Chronist.
Als Anthropologen vor einigen Jahren das Skelett des Kaisers untersuchten, zeigte sich ihnen ein Mann, der sehr viel Zeit im Sattel verbracht hatte. Ursprünglich wohl 1,73 Meter groß und von athletischer Gestalt, bot der Herrscher später als Folge von Turnieren oder Kampf ein Bild des Grauens: Seine Halswirbelsäule war verkrümmt, der Kiefer einmal eingeschlagen, und von einer Augenbrauen zog sich quer übers Gesicht eine tiefe Schnittwunde, die eine hässliche Narbe hinterlassen haben muss. Vielleicht, so wird gemutmaßt, ließ er sich deswegen einen Bart wachsen.
Auf Statuen des selbstverliebten Herrschers ist von den Narben nichts zu sehen, wie etwa am Schönen Brunnen in Nürnberg. Die fränkische Handelsstadt hatte Karl IV. neben Prag zu seiner Residenz gemacht. 1355 stiftete der Kaiser dort die Frauenkirche als Hofkapelle, die erste gotische Hallenkirche in Franken. Als Baumeister gilt Peter Parler aus Schwäbisch Gmünd, den Karl später auch für den Bau der mächtigen Steinbrücke in Prag holte.
Die Golene Bulle von 1356
Noch heute erinnert an der Frauenkirche das sogenannte „Männleinlaufen“ der sieben Kurfürsten um den Kaiser an ein denkwürdiges Ereignis: Am 10. Januar 1356 verkündete Karl IV. auf dem Nürnberger Hoftag die „Goldene Bulle“. Die Urkunde bildete über Jahrhunderte, bis 1806, so etwas wie das Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Ihr goldenes Metallsiegel (lateinisch bulla), das als Beglaubigungsmittel angehängt war, gab dem Kodex seinen Namen. Die sieben Originale der Urkunde sind bis heute erhalten geblieben und Weltdokumentenerbe der Unesco.
In lateinischer Sprache legte Karls Dokument fest, wie die deutschen Könige gewählt wurden. Die sieben Kurfürsten, die allein zur Wahl berechtigt waren, entschieden mit einfacher Mehrheit. Das sollte Zweideutigkeiten und Doppelwahlen verhindern, die im 13. und 14. Jahrhundert zu ständigem Streit geführt hatten. Der Herrscher selbst nannte die Urkunde „unser keiserliches rechtbuch“. Die ersten 23 der insgesamt 31 Kapitel wurden 1356 auf besagtem Nürnberger Hoftag verkündet, der Rest folgte am Jahresende in Metz.
Offenbar wurde so weitgehend das vorhandene Gewohnheitsrecht festgeschrieben. Die Kurfürsten erhielten das Recht, Münzen zu prägen und Zölle zu erheben. Es gab Bestimmungen über den Landfrieden und das Fehderecht, aber auch über die Sitzordnung der Kurfürsten und andere Protokollfragen.
Bestand über Jahrhunderte
Dem früheren Versuch Karls des Vierten, auch seinem Königreich Böhmen ein Grundgesetz zu geben, war indes kein Erfolg beschieden. Die Maiestas Carolina scheiterte an der Ablehnung der böhmischen Stände. Doch Karls Regelungen zur Königswahl hatten über Jahrhunderte bestand, obwohl er bei der Krönung seines eigenen Sohnes Wenzel noch pragmatisch über die Bulle hinwegsah.
Mit ähnlicher Weitsicht gründete er unzählige Burgen, Klöster und Siedlungen. Das könnte auch eine Lehre für heutige Politiker sein, sagt Historikerin Eva Dolezalova: „Er dachte nicht nur an seine Amtszeit, sondern darüber hinaus.“
Karl der Vierte war nicht nur Politiker, Friedensfürst und Verfasser der ersten Autobiografie eines mittelalterlichen Herrschers, der Vita Caroli Quarti. Er war auch ein zutiefst gläubiger Mensch und eifriger Sammler von Reliquien. „Für ihn war es ein Weg zu Gott und keine Sammelleidenschaft in dem Sinne, dass ihm noch der Heilige Nikolaus oder der Heilige Prokop fehlte“, sagt Dolezalova.
Heiligen-Reliquien gesammelt
Zahlreiche Überreste von Heiligen trug der Herrscher auf seinen Streifzügen durch Europa zusammen – nicht immer zum Gefallen der Eigentümer. Einer Legende nach griff Karl einmal selbst zum Messer, um ein Stück eines Heiligenfingers abzuschneiden. Als frisches Blut floss, habe er es zurückgelegt – und der Finger sei wieder ganz geworden.
Landesausstellung
Kaiser Karl IV. steht 700 Jahre nach seiner Geburt in Prag im Mittelpunkt einer ganzen Reihe von Veranstaltungen und Ausstellungen.
Am Geburtstag, 14. Mai, öffnet in Prag die mit Spannung erwartete Bayerisch-Tschechische Landesausstellung ihre Tore. Rund 150 Kunstwerke, Urkunden, Handschriften und andere Exponate bieten einen einmaligen Überblick über den „Kaiser mit Schwert und Feder“. Ein Höhepunkt ist die Krone der Karlsbüste, die Karl IV. den Aachenern gestiftet hatte. Die Schau ist bis 25. September in Prag und ab 20. Oktober in Nürnberg zu sehen.
Die Kronjuwelen des Königreichs Böhmen werden nur zu seltenen Ereignissen hervorgeholt. Vom 15. bis zum 29. Mai sind Krone, Reichsapfel und Zepter im Wladislaw-Saal der Prager Burg zu sehen. Dann werden die kostbaren Insignien wieder im Kronjuwelenzimmer des Veitsdoms verschlossen.