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WÜRZBURG: Alkohol, die legale Droge

WÜRZBURG

Alkohol, die legale Droge

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    Alkohol schadet dem Körper und ist ein Suchtmittel. Die Hersteller von Spirituosen, Wein und Bier versuchen, eine gesetzliche Regulierung zu verhindern.
    Alkohol schadet dem Körper und ist ein Suchtmittel. Die Hersteller von Spirituosen, Wein und Bier versuchen, eine gesetzliche Regulierung zu verhindern. Foto: Foto: Patrick Pleul, dpa

    Fehltage am Arbeitsplatz, ärztliche Behandlungen, Polizeieinsätze. 60 Milliarden Euro kostet der Alkoholkonsum die Gesellschaft hierzulande jedes Jahr. Das hat im vergangenen Jahr die Universität Hamburg ausgerechnet. Bier, Wein und Schnaps haben ein vergleichsweise gutes Image. Dabei ist seit Jahrzehnten bekannt, wie gefährlich Alkohol ist.

    „Alkohol ist ein Zellgift und trifft jede Zelle des menschlichen Körpers“, sagt Professor Helmut Seitz, der 1984 als einer der weltweit ersten Wissenschaftler nachgewiesen hat, dass Alkohol Krebs verursachen kann. „Man sagt heute, dass Alkohol über 200 Krankheiten oder Symptome auslösen kann.“ Unabhängige Forscher sind sich einig, dass der Konsum drastisch reduziert werden muss – auch wenn der Alkoholverbrauch in Deutschland leicht sinkt: 1990 trank der Deutsche noch 12,1 Liter Alkohol pro Jahr, 2014 waren es laut der Datenbank Statista noch 9,6 Liter.

    Seit Sommer 2015 gilt zwar bundesweit ein neues Präventionsgesetz. Darin steht das Ziel: Alkoholkonsum reduzieren. Was aber nicht im Gesetz steht: Wie? Internationale Studien haben gezeigt, was Menschen dazu bringt, weniger zu trinken: höhere Preise, weniger Werbung und kein Alkoholverkauf mehr rund um die Uhr. Wie das umgesetzt werden kann, soll eine Arbeitsgruppe klären.

    Das Recherchenetzwerk Correctiv.org und ZDFzoom haben diese Arbeitsgruppe in den vergangenen Monaten begleitet. Bis heute, gut eineinhalb Jahre nach Beginn der Beratungen, gibt es keinen Abschlussbericht. Neben Ärztevereinigungen, Krankenkassen oder Suchtexperten sitzen auch vier Vertreter von Ministerien in der Arbeitsgruppe: Gesundheit, Familie, Ernährung und Wirtschaft. Die Ministerien haben ein Vetorecht. Solange ihnen etwas nicht passt, gibt es keinen Bericht.

    Und die Bundesregierung macht sich, so scheint es, die Interessen der Industrie zu eigen. Die Branche sitzt zwar offiziell nicht mit am Tisch. Dennoch nimmt sie Einfluss auf die Beratungen. Das zeigen Dokumente, die ZDFzoom und correctiv.org mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes erhalten haben. Dazu gehören zwei Briefe an das Bundeswirtschaftsministerium.

    Am 17. September 2015 schreibt der Deutsche Brauer-Bund: „Uns liegt nunmehr der überarbeitete Entwurf für die sogenannten Gesundheitsziele vor“, beginnt der Brief. Die Brauer wollen den Titel der Gruppe „Alkoholkonsum reduzieren“ ändern und strengere Gesetze verhindern. Sie wollen keine neuen Steuern und keine neuen Regeln für den Verkauf von und die Werbung für Alkohol. Einen Tag später wendet sich auch der Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie an das Ministerium.

    Hermann Schmitt, Geschäftsführer des Fränkischen Weinbauverbandes, sagt, dass der Deutsche Weinbauverband bereits 2015 der Bundesregierung sein Befremden mitgeteilt hat, „dass die Wirtschaft in diesen Beratungsprozess nicht eingebunden ist“. Mit „großer Sorge“ stelle der Weinbauverband fest, dass im aktuellen Entscheidungsprozess „Maßnahmen in Erwägung gezogen werden, die nicht nur übermäßigen Alkoholkonsum betreffen, sondern mit Regelungen für den Konsum alkoholischer Getränke schlechthin weit über das Ziel hinaus schießen“.

    Nach Ansicht des Fränkischen Weinbauverbandes braucht es keine neuen gesetzlichen Regelungen, die Werbung für oder den Verkauf von Alkohol einschränken: „Ein eindeutiges Nein“, antwortet Hermann Schmitt auf diese Frage – und führt als Argument den aktuellen Bericht der Drogenbeauftragten der Bundesregierung an. Neben dem sinkenden Alkoholverbrauch werde darin auch festgestellt, „dass seit 1995 die Entwicklung eines riskanten Alkoholkonsums bei den 18- bis 59-Jährigen gesunken ist“, so der Geschäftsführer des Weinbauverbandes.

    Auch sei ein deutlicher Rückgang beim unerlaubten Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen festgestellt worden, was Schmitt zu dem Schluss bringt: „Offenbar ist die bisherige deutsche Präventionspolitik erfolgreich.“ Der Weinbaufunktionär wird deutlich: „Der Deutsche Weinbauverband und seine Mitgliedsverbände lehnen deshalb alle Maßnahmen mit großer Entschiedenheit ab, die jeglichen Alkoholkonsum in Misskredit bringen und den Konsum alkoholischer Getränke reduzieren wollen.“ Er ist gegen eine Steuererhöhung, gegen eine staatlich regulierte Preisgestaltung und gegen eine Einschränkung von Werbung und Verfügbarkeit, so Schmitt. Er verweist auf die Beteiligung am sogenannten Wine-in-Moderation-Programm, das unter anderem für einen sensiblen Umgang mit Wein wirbt und vor negativen Folgen von Alkoholmissbrauch warnt.

    Andere Lobbygruppen indes freuen sich bereits, dass „einige der im Sommer bereits erörterten Kritikpunkte offenbar aufgegriffen wurden“. Die Einflussnahme der Industrie scheint erfolgreich zu sein. Denn die Bundesregierung verhindert wenige Monate später in der Arbeitsgruppe tatsächlich härtere Regeln, was aus internen Schreiben hervorgeht. Diese zeigen, dass vor allem das Wirtschafts- und das Landwirtschaftsministerium entscheidende Formulierungen der Gesundheitsexperten blockieren.

    Ein Beispiel ist die Formulierung „Der Verkauf von Alkohol an Tankstellen und in Supermärkten wird beschränkt“. Sie wurde vom Bundeswirtschaftsministerium gestrichen. Auch in anderen Kapiteln hangelt sich die Regierung erstaunlich dicht an den Positionen der Industrie entlang. Während die Bundesärztekammer, die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen und der Fachverband Sucht eine harte Regulierung von Alkoholwerbung verlangen, setzt das Wirtschaftsministerium voll auf die Selbstkontrolle der Industrie. Und stellt nebenbei infrage, ob Steuererhöhungen wirklich den Alkoholkonsum reduzieren können – obwohl der Zusammenhang wissenschaftlich klar belegt ist.

    Gesundheitsexperten wie Gabriele Bartsch von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen ärgern sich über den Widerstand der Ministerien. „Bei uns hat man den Eindruck, dass die Wirtschaft überall sehr dominant ist“, sagt Bartsch. „Und dass die unternehmerischen Interessen doch sehr im Vordergrund stehen.“

    Ist das ein Sieg der Lobby? Alle vier beteiligten Ministerien waren für Gespräche angefragt. Keines wollte ein Interview geben. Nur das Bundesgesundheitsministerium teilte schriftlich mit, dass alle Beteiligten Änderungen vorschlagen könnten und die Arbeit am Gesundheitsziel „Alkoholkonsum reduzieren“ noch nicht abgeschlossen sei.

    Aus dieser Recherche ist auch eine halbstündige Reportage bei ZDFzoom entstanden. Diese ist in der ZDF-Mediathek abrufbar. Die Autoren Sanaz Saleh-Ebrahimi und Daniel Drepper arbeiten für das Recherchezentrum CORRECTIV. Die Redaktion, mit der diese Zeitung kooperiert, finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: Mit gründlicher Recherche Missstände aufzudecken und unvoreingenommen darüber zu berichten. Wenn Sie CORRECTIV unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Infos finden Sie unter correctiv.org

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