Die Frage ist provokant: „Lieben sie Kinder mehr als ihnen lieb ist“, heißt es in einer Anzeigenkampagne, die schon bald in bayerischen Ballungsräumen zu sehen sein soll. Geworben wird damit für ein Therapieprojekt für Männer mit pädophilen Neigungen, das in diesen Tagen an der Universität Regensburg startet.
Schließlich müsse das Ziel von Gesellschaft und Politik sein, alles zu tun, um Kinder von vorneherein vor sexuellen Übergriffen zu schützen, erklärt Bayern Justizministerin Beate Merk (CSU), deren Haus das Projekt mit jährlich 200 000 Euro unterstützt. „Harte Strafen alleine genügen nicht“, findet Merk. Denn es gebe „viele Männer mit sexuellen Neigungen zu Kindern, die bereit sind, sich helfen zu lassen, damit sie nicht zu Tätern eines sexuellen Kindesmissbrauchs werden“. Dies habe sich in einem Pilotprojekt in Berlin gezeigt, das seit 2005 läuft und an dem bisher rund 650 Männer teilgenommen haben.
„Die Erfahrungen dort sind vorwiegend positiv“, berichtet Professor Michael Osterheider, der die sogenannte „sexualwissenschaftliche Ambulanz“ in Regensburg leiten wird. Die Abbrecherquote in der Therapie sei gering. Und aus der Gruppe derjenigen, die die Behandlung erfolgreich abgeschlossen haben, seien bisher keine einschlägigen Straftaten bekannt.
Ziel: Die Neigung kontrollieren
Nach Schätzungen von Experten ist rund ein Prozent der Männer in Deutschland „pädophil orientiert“. Für Bayern würde dies eine Größenordnung von etwa 50 000 Personen bedeuten. Pädophilie sei als psychiatrische Störung allerdings nicht mit sexuellem Missbrauch gleichzusetzen, warnt der Mediziner Osterheider: Nicht jeder Pädophile vergehe sich an einem Kind. Und nicht jeder sexuelle Übergriff auf Minderjährige werde von einem Pädophilen verübt. Allerdings zeige die Erfahrung, dass bei Pädophilen das Risiko, zum Täter zu werden, mit fortschreitendem Alter steigt. Die vorbeugende therapeutische Hilfe sei deshalb so früh wie möglich notwendig, um Kinder vor möglichen Übergriffen besser schützen zu können.
Zwar könne man Pädophilie „nicht im eigentlichen Sinne heilen, aber dazu beitragen, diese Neigung zu kontrollieren“, erläutert Osterheider. Aufbauend auf den Berliner Erfahrungen setzt man dabei in Regensburg auf eine Psychotherapie, die die Einstellung der Betroffenen in Bezug auf ihr sexuelles Erleben und Verlangen verändern soll. Dazu kommt eine unterstützende Behandlung mit antidepressiven und triebdämpfenden Medikamenten.
Volle Anonymität für Betroffene
Hilfesuchende können sich unter der Regensburger Telefonnummer 09 41/941 10 88 ab sofort an die sexualwissenschaftliche Ambulanz wenden. Trotz der finanziellen Unterstützung durch das Justizministerium könnten sich die Betroffenen dabei darauf verlassen, dass ihre Neigung vertraulich behandelt wird, betont Ministerin Merk: „Anonymität und ärztliche Schweigepflicht sind die Grundpfeiler des Projekts.“ Die ärztliche Schweigepflicht gelte selbst dann, wenn bereits Taten begangen wurden, die noch nicht bekannt geworden sind.