Zum Gespräch empfängt Günther Felßner in seinem schlichten Münchner Büro mit Blick auf rostige Bahngleise in der Nähe des Ostbahnhofs. Der triste Ausblick störe ihn nicht, beteuert der Mittelfranke. Denn es gibt viel zu tun für den im Oktober 2022 gewählten neuen Präsidenten des Bayerischen Bauernverbandes. Das fränkische Schäufele zu retten, könnte dabei noch eine der leichteren Aufgaben sein.
Frage: Das fränkische Schäufele ist in Gefahr, haben Sie kürzlich gewarnt. Wieso das?
Günther Felßner: Wir erleben im Moment einen Zusammenbruch der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Bayern. Und der ist leider hausgemacht: Da gibt es die Bedenken bezüglich einer gesunden Ernährung – obwohl die Wissenschaft ganz klar sagt: Zu einer gesunden Ernährung gehören auch tierische Produkte. Hinzu kommen politische Vorgaben, die in Deutschland strenger sind als in vielen anderen Ländern, aber trotzdem sehr niedrige Preise. Für viele Betriebe lohnt sich der Aufwand nicht mehr, weshalb wir schon jetzt nicht mehr genug Fleisch für die Eigenversorgung produzieren. Deshalb kann es sehr gut sein, dass das Schäufele nicht mehr aus Franken stammt, sondern aus Spanien oder Dänemark.
Ist das nicht Marktwirtschaft? Wenn dort billiger produziert wird, zahlt der Verbraucher weniger. Was haben die Menschen denn vom heimisch produzierten Schäufele?
Felßner: Wir haben doch auch das Gas von dort bezogen, wo es am billigsten war – und haben gesehen, wohin uns das geführt hat. Und bei Lebensmitteln geht es ganz besonders darum, dass sie jederzeit sicher zur Verfügung stehen. Wir dürfen deshalb gerade bei der Ernährung nicht abhängig sein von Lieferketten und globalen Krisen, sondern müssen unsere Grundversorgung selbst produzieren können. Dazu kommt, dass wir hier sehr hohe Standards für Lebensmittel haben. Bei Importen weiß man oft nicht, wie die Lebensmittel produziert wurden. Wenn wir über globalen Klimaschutz und Tierwohl sprechen, sollte uns das doch nicht egal sein.
Das heißt: Heimische Produktion ist nicht nur im Interesse der Landwirte, sondern im Interesse der ganzen Gesellschaft?
Felßner: Absolut. Es geht hier nicht nur um die zwei Prozent Bauern. Wir wollen keinen plumpen Lobbyismus, sondern Ideenfabrik für die ganze Gesellschaft sein. Wir sollten auch nicht davon ausgehen, dass genug Lebensmittel immer automatisch verfügbar sind. Denn wenn wir es schon nicht mehr schaffen, uns selbst zu ernähren, wie können wir dann glauben, dass woanders immer so viel Überschuss produziert wird, um dort problemlos zukaufen zu können.
"Wir wollen keinen plumpen Lobbyismus, sondern Ideenfabrik für die ganze Gesellschaft sein."
Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbandes
Bauern sollen aber nicht nur gesunde Lebensmittel herstellen, sondern auch zum Schutz des Klimas und der Artenvielfalt beitragen oder grünen Strom produzieren. Ist die Landwirtschaft in Bayern dieser Herausforderung gewachsen?
Felßner: Wenn es jemand in Bayern leisten kann, klimaneutral zu werden, nachhaltig zu produzieren und mit den Ressourcen vor Ort auszukommen, dann sind das die Bauern. Weil wir weltweit die beste Ausbildung haben und auch das Bewusstsein, dass Landwirtschaft nicht nur für die Ernährung da ist, sondern auch für Biodiversität oder Energie. Wir haben zudem die Technik und die Infrastruktur. Wir sind Macher: Wir wollen die Zukunft aktiv gestalten – als Landwirte, aber auch als Gesellschaft, etwa bei der Energiewende.
Was konkret kann denn die Landwirtschaft für den Klimaschutz leisten?
Felßner: Wir sind die einzige Branche, die schon jetzt mehr Sauerstoff produziert als verbraucht. Und die mehr CO2 binden kann als sie freisetzt – mit den Pflanzen auf unseren Feldern. Wir könnten sogar als Dienstleistung für andere Branchen CO2 dauerhaft in unseren Böden binden. Wir können all dies allerdings nur, wenn wir von unserer vielfältigen Arbeit auch leben können. Wir brauchen deshalb den Dialog mit der Gesellschaft: Was wollt ihr essen? Wie sollen wir produzieren? Was sollen wir darüber hinaus noch tun? Und wie bezahlen wir für das alles?

Dieser Dialog war in den letzten Jahren oft schwierig: Viele Bauern fühlten sich etwa durch das Bienen-Volksbegehren zu Unrecht an den Pranger gestellt, während aus der Bevölkerung der Vorwurf kann, die Landwirtschaft tue viel zu wenig für Artenschutz oder Tierwohl. Wie wollen Sie diese Gräben schließen?
Felßner: Wir haben uns nach dem Bienen-Volksbegehren gefühlt wie ein Champions-League-Sieger, dem alle Welt vorwirft, er könne gar nicht Fußball spielen. Denn wir spielen in Bayern beim Artenschutz schon lange Champions League. Wir haben das Votum aber akzeptiert, wir machen jetzt noch mehr – nicht nur für die Bienen. Was mir aber immer noch fehlt, ist eine Beteiligung der Bevölkerung: Wo sind die Steingärten verschwunden? Wo bleiben die Blühwiesen stehen? Wo gehen nachts die Lampen aus für die Insekten? Wir Bauern, zwei Prozent der Bevölkerung, können die Bienen nicht allein retten.
Bei manchen Bürgern kam die Reaktion der Bauern auf das Volksbegehren eher als beleidigte Bockigkeit an.
Felßner: Wir werden uns öffnen und den Dialog mit der Bevölkerung suchen. Das muss aber beidseitig gelten. Wir können viel ändern bei der Produktion oder beim Artenschutz. Aber wir machen an jede Maßnahme ein ehrliches Preisschild dran. Und wenn man es wirklich will, dann muss es auch bezahlt werden.

Ein großes Problem für die Landwirtschaft in Bayern ist der hohe Flächenverbrauch. Die Staatsregierung setzt zur Verringerung seit Jahrzehnten auf Freiwilligkeit, ohne Erfolg. Ist dieses Konzept gescheitert?
Felßner: Wir können nicht auf Dauer zwölf Hektar täglich zubauen. Ich hoffe deshalb sehr, dass das Bewusstsein zum Flächensparen stärker wird bei den Kommunen. Ich bin hoch gespannt, ob das doch noch freiwillig funktioniert. Ich denke aber, es ist nur fair, hier noch einmal eine letzte Chance einzuräumen. Wenn es in der Freiwilligkeit aber weiter nicht geht, dann muss 2030 eine gesetzliche Regelung her.

Geht uns bald das Land aus, um genug hochwertige Lebensmittel produzieren zu können?
Felßner: Das könnte passieren, vor allem wenn wir viel Eigenversorgung auf hohem Standard wollen. Wir müssen in jedem Fall aufhören, extensiv Flächen zu verbrauchen. Bei einem gesunden Mix der Produktion und auch der Ernährung haben wir aber schon noch genug Flächen. Wir brauchen aber eine Art nachhaltige Intensivierung: Denn die wenigen Flächen müssen ja nicht mehr nur Lebensmittel produzieren, sondern auch Energie und gleichzeitig noch das Wasser und die Arten schützen. Diese intensivere Nutzung müssen wir nachhaltig hinkriegen mit cleveren Konzepten. Da gibt es schon hervorragende Ansätze.
Landwirtschaft in Bayern wird auch in Zukunft nicht ohne staatliche Subventionen gehen. Wie erklären Sie den Menschen, dass ihr Geld bei den Bauern gut angelegt ist?
Felßner: Jede Bürgerin, jeder Bürger in Deutschland zahlt rund 23 Cent pro Tag für die Art, wie wir Landwirtschaft machen. Dafür bekommt man mit die besten Lebensmittel der Welt, eine Pflege der Kulturlandschaft, die wir alle lieben, und viele Leistungen für den Natur- und Artenschutz. So gesehen sind 23 Cent doch fast schon ein Schnäppchen.
Der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes (BBV)Günther Felßner, Jahrgang 1966, stammt aus Lauf a. d. Pegnitz in Mittelfranken. Er bewirtschaftet einen Milchviehbetrieb mit 100 Kühen und Nachzucht mit 50 Prozent Grünlandanteil, Futterbau und 20 ha Wald sowie 150 kw Photovoltaik auf Dachflächen. Nach seiner landwirtschaftlichen Lehre studierte Felßner Landwirtschaft in Triesdorf. Seit 20 Jahren engagiert sich Felßner ehrenamtlich im Bayerischen Bauernverbandes. 2012 wurde er zum Bezirkspräsidenten in Mittelfranken gewählt, außerdem zum stellvertretenden BBV-Präsidenten. Zudem übernahm er die Funktion des Milchpräsidenten im BBV. Von 2014 bis 2017 stand er als Vorsitzender der Landesvereinigung der bayerischen Milchwirtschaft vor.
Kommunalpolitisch engagiert sich der 55-Jährige seit vielen Jahren für die CSU im Stadtrat in Lauf und als Kreisrat im Landkreis Nürnberger Land. Der Bayerische Bauernverband (BBV) hat rund 14.000 ehrenamtliche und 400 hauptamtliche Mitarbeiter und vertritt etwa 140.000 Mitglieder, davon mehr als 100.000 aktive Landwirtinnen und Landwirte.