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MÜNCHEN: Bayerns einzige Fahrschule nur für Frauen

MÜNCHEN

Bayerns einzige Fahrschule nur für Frauen

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    Café? Einrichtungsladen? Nein, Fahrschule! Nina Kandlbinder setzt ganz bewusst auf optische Effekte. Hier unterrichtet die Münchnerin vier Kundinnen in einer abendlichen Theoriestunde.
    Café? Einrichtungsladen? Nein, Fahrschule! Nina Kandlbinder setzt ganz bewusst auf optische Effekte. Hier unterrichtet die Münchnerin vier Kundinnen in einer abendlichen Theoriestunde. Foto: Fotos: Ulrich Wagner

    Das erste Klischee droht gleich beim Ausparken. „Passen Sie auf, es sind viele Fahrradfahrer unterwegs“, sagt Nina Kandlbinder. Die Schülerin nickt. Sie prüft den Verkehr und fährt los. Der Wagen stockt. Handbremse nicht ganz gelöst. „Kein Problem“, versichert die Fahrlehrerin. Kopfkino bei Millionen Männern. Frauen und Autos . . . Sie brauchen die Begriffe nur zu hören und bekommen schon diesen leicht amüsierten Zug um die Lippen. Comedyprogramme verbinden, was vermeintlich nicht zusammenpasst. „Ach, Frauen und Autos“, ruft sogar manche weibliche Fahrerin fast entschuldigend, wenn das Einparken ausnahmsweise mal nicht klappt.

    Frauen und Autos. Die Werbung zeigt am deutlichsten, wie sich diese Beziehung über die Jahrzehnte verändert hat. Erst saß die Frau noch brav auf dem Rücksitz. Irgendwann rekelte sie sich auf der Motorhaube. Später durfte sie selbst ans Steuer – manchmal zumindest. Die Botschaft: tolle Frau, tolles Auto.

    Fahrschülerin Daniela fährt an diesem Tag nicht in einem werbeträchtigen Jaguar und auch nicht in einem Aston Martin. Der schwarze Mini mit der rosafarbenen Aufschrift erregt aber mindestens genauso viel Aufmerksamkeit auf der Nymphenburger Straße in München, wo zur Mittagszeit die Hölle los ist. Daniela ist nervös. Es ist ihre sechste Fahrstunde. Ihren vollständigen Namen sagt sie nicht. Muss ja nicht jeder wissen, dass sie sich ihr ganzes Leben lang sogar als Fußgängerin auf der Straße unsicher fühlte. Dass ihre Angst immer größer wurde, seit sie vor acht Jahren von einem Auto angefahren wurde. Und dass sie jetzt, mit 45 Jahren, doch noch ihren Führerschein macht.

    An ihrer Seite: Nina Kandlbinder, 35, Chefin der Fahrschule Pro-Frau. Bislang ist das die einzige in Bayern, in der nur Frauen unterrichtet werden. Es gibt sie seit 2010. „Eine Frauenfahrschule zu eröffnen“, sagt Kandlbinder, „war die beste Idee, die ich je hatte.“ Hier sieht es so gar nicht aus wie in den tristen Theorieräumen, an die sich Generationen von Fahrschülern erinnern. Keine ausgeblichenen Plastikstühle. Kein Diaprojektor. Keine ADAC-Flyer. Stattdessen: Sessel und Sitzkissen in Lila-Weiß. Auf dem Tisch ein Notebook. Und in einem Korb auf dem Fenstersims Heftchen über allerlei Frauenthemen, „Gesund abnehmen“ zum Beispiel.

    Wer nicht weiß, dass hier eine Fahrschule ist, würde die Räume mit der großen Panoramascheibe eher für ein Café halten. Wäre da nicht die Silhouette einer jubelnden Dame, gleich neben dem Schriftzug „Fahrschule Pro-Frau“.

    Frauen und rosa. Ein bisschen viel Klischee, oder? „Eigentlich wollten wir lila und pink. Aber das sah auf den schwarzen Fahrschulautos blöd aus“, sagt Nina Kandlbinder und grinst. Klischees zu bedienen, so ist das halt, gehört auch zu ihrem Geschäftsmodell. Ein Fahrschulauto in Schwarz-Rosa, das spreche eben viele Frauen an. Und die Männer können sich so schön bestätigt fühlen. So wie der am Straßenrand. Er steht genau dort, wo Daniela darauf wartet, den Fahrstreifen zu wechseln. Man kann sehen, wie er den Schriftzug an der Seite des Wagens mustert. Ausgerechnet jetzt stirbt Daniela der Motor ab. Der Mann grinst. Und steigt in seinen dicken BMW.

    Das Konsumverhalten von Fahrerinnen

    Natürlich richten sich Angebote wie Pro-Frau an einen bestimmten Frauentypus, sagt Doris Kortus-Schultes. Die Professorin für Betriebswirtschaft leitet das Kompetenzzentrum Frau und Auto an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach. Seit zwölf Jahren erforschen sie und ihr Team das Konsumverhalten speziell von Autofahrerinnen. Kundinnen von Frauenfahrschulen seien oft auf der Suche nach einem Ort, „an dem sie sich in ihrer Unsicherheit aufgehoben fühlen“. Empfindsame Frauen, die nicht zum forschen Auftreten neigen. Frauen, denen die Farbe Rosa vielleicht sogar so etwas wie Geborgenheit vermittelt.

    Viele der Frauen, die bei Pro-Frau das Fahren lernen, sind keine 16 oder 17 mehr. Nur etwa 40 Prozent seien Fahranfängerinnen, sagt Kandlbinder. Andere haben die Fahrerlaubnis schon und wollen ihre Kenntnisse auffrischen. Die derzeit älteste Schülerin ist 80.

    Frauen und Autos. Rein statistisch gehört das genauso zusammen wie Männer und Autos. Zahlen des Kraftfahrtbundesamts zeigen, dass heute ebenso viele Frauen einen Autoführerschein besitzen wie Männer. Betrachtet man aber gesondert die über 65-Jährigen, haben Männer mehr als doppelt so oft die Fahrerlaubnis wie gleichaltrige Frauen.

    „Heute scheint Autofahren selbstverständlich“, sagt Nina Kandlbinder. „Viele Frauen trauen sich deswegen nicht zu sagen, dass sie Angst davor haben.“ Doch gerade ältere Damen hätten trotz Führerscheins oft ewig nicht hinter dem Steuer gesessen. „Da ist jahrzehntelang der Mann gefahren – und wenn er nicht mehr kann, heißt es plötzlich: ,Fahr du.'“

    Daniela ist in ihrer Familie die erste Frau, die den Führerschein macht. Gerade fährt sie hinter einem Bus her. Das Schild an dessen Heck warnt vor „Überlänge 23 Meter“. Früher hätte so eine Situation sie an den Rand der Panik gebracht. Genau deshalb hatte sie schon aufgegeben. Die Ausbildung bei einer normalen Fahrschule brach sie ab. „Der Fahrlehrer hatte so eine schroffe Art“, erzählt sie. „Er hat mich entweder angeschrien oder gar nichts gesagt und mir ständig ins Lenkrad gefasst.“ Irgendwann war die Münchnerin so ängstlich und verspannt, dass sie zum Hausarzt musste. „Ich habe mich regelrecht ans Lenkrad geklammert.“

    Der psychologische Aspekt

    Frauen und Autos. Da ist immer auch ein bisschen Psychologie dabei. In der Frauenfahrschule wird nicht geschrien. Außer der Chefin arbeiten bei Pro-Frau noch zwei weitere Fahrlehrerinnen. Regelmäßig gibt eine Verkehrspsychologin Seminare gegen Fahrangst. Acht von zehn ihrer Schülerinnen schafften auf Anhieb den Führerschein, sagt Kandlbinder – mehr als im bayerischen Durchschnitt.

    „Die Schülerin soll mit einem guten Gefühl aus dem Auto steigen“, sagt Kandlbinder. Dieser psychologische Aspekt kommt ihr in der „Männerdomäne Fahrschule“ oft zu kurz. „Bei der Ausbildung ist das sehr oberflächlich und müsste unbedingt ausgebaut werden.“

    Walter Weißmann ist Chef des Landesverbands Bayerischer Fahrlehrer und sieht das ziemlich anders. „Psychologie wird meiner Meinung nach deutlich überbewertet“, sagt er. Frauen und Autos – Weißmann verbindet mit solchen Kategorien keine Vorurteile. Fast 40 Jahre lang hat er selbst eine Fahrschule geleitet. Für ihn, sagt er, seien alle Schüler gleich. Wer Angst vor schwierigen Situationen auf der Straße habe, sollte sie vor allem bewältigen, „indem er das Fahren lernt und im Straßenverkehr sicher wird. Nur wer so große Ängste hat, dass er sie trotz ausreichender Übung nicht ablegen kann“, sagt Weißmann, „braucht vielleicht sogar professionelle Hilfe von einem Psychologen.“

    Dass Frauen vorsichtiger Auto fahren als Männer, ist statistisch bewiesen. Schweizer Verkehrspsychologen definierten über Jahre hinweg verschiedene Fahrstiltypen. Ihr Forschungsfeld war der tägliche Wahnsinn auf den Straßen. Ihr Ergebnis: 44 Prozent der Frauen hinterm Steuer praktizieren den „ruhig-ausgeglichenen Fahrstil“. Männer hingegen fahren demnach am häufigsten „aktiv-dynamisch“ (31 Prozent). Einen „aggressiv-rücksichtslosen“ Fahrstil wiesen die Wissenschaftler bei neun Prozent der Männer nach. Erst ich, dann die anderen – Autofahrerinnen denken nur zu drei Prozent so. Ein Blick ins Verkehrszentralregister bestätigt die Studie. Gut 77 Prozent derer, die am 1. Januar 2014 dort eingetragen waren, sind Männer. Mehr als die Hälfte der Verstöße entfällt auf zu schnelles Fahren. Bei Frauen und Männern übrigens.

    Frauen und Autos. Überhaupt sei diese Beziehung gerade dabei, ein paar Vorurteile abzuwerfen, sagt Doris Kortus-Schultes vom Forschungszentrum in Mönchengladbach. „Frauen schlagen heute viel stärker steile Karrierepfade ein als früher. Das sieht man auch an ihren Autos.“ Schnell und schnittig, das passe dann zum Lebensstil.

    Frauen um die 50 benähmen sich heute „nicht mehr wie ihre Mütter“, schreibt die Wissenschaftlerin in einem Aufsatz. Wenn die Kinder ausgeflogen sind, würden sich viele von ihnen ein neues Auto gönnen – nur für sich und ganz nach ihren Bedürfnissen. Auf den Begriff Frauenauto reagieren heute viele Damen allergisch. „Sie wollen nicht geschrumpft werden auf klein und rund und rosa.“

    Danielas Fahrstunde ist nach 45 Minuten auf den belebten Straßen Münchens vorbei. „Dann machen wir das Auto mal parkfertig“, sagt Nina Kandlbinder. „Puh, aufregend“ – die Schülerin stellt den Motor ab und atmet durch. Kandlbinder spricht mit ihr noch einmal die Stunde durch. Dass Daniela den Führerschein schaffen wird, daran hat die Fahrlehrerin keinen Zweifel. Daniela steigt aus, sie muss zurück zur Arbeit. Sie nimmt ihre Sonnenbrille aus dem Haar, setzt sie auf und verabschiedet sich.

    Ach so, wen's interessiert: Perfekt eingeparkt.

    Die erste Frau am Steuer

    Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Bertha Benz, Ehefrau des Auto-Erfinders Carl, weltweit als erste Frau am Steuer Schlagzeilen machte. 1888 unternahm Bertha Benz, geboren am 3. Mai 1849, die erste Überlandfahrt in der Geschichte des Autos. Zwei Jahre zuvor hatte ihr Ehemann das Patent auf seinen „Benz Patent-Motorwagen“ erhalten. Bertha Benz fuhr 106 Kilometer weit – von Mannheim nach Pforzheim, meist auf unbefestigten Straßen. Benzin besorgte sie sich der Überlieferung nach in einer Apotheke. Heute erinnert die Bertha Benz Memorial Route an ihre Fahrt. Führerscheinpflicht gab es damals nicht. Die ist erst seit 1909 Gesetz. Text: sari, Foto: dpa

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