Auch nach der Fertigstellung der bereits beschlossenen neuen, großen Stromtrassen bis Mitte des nächsten Jahrzehnts wird es einen weiteren Ausbau der Stromnetze gerade auch in Bayern geben müssen. Dieser Ansicht ist der für die Stromnetze in Deutschland zuständige Präsident der Bundesnetzagentur Jochen Homann. „Es muss jedem klar sein: Die Energiewende ist 2025 nicht zu Ende“, sagte Homann auf einer Diskussionsveranstaltung des industrienahen Wirtschaftsbeirates Bayern in München.
Ein Grund für den massiven Ausbau der Stromnetze liege in der grundsätzlich anderen Struktur einer auf erneuerbaren Energien basierenden Stromerzeugung: Anstatt gleichmäßig über das Land verteilter Großkraftwerke werde der Strom nun dezentral und in kleineren Anlagen erzeugt. „Diese verstreute Erzeugungslandschaft schließt logisch an, dass man die Erzeuger mit Leitungen verbinden muss“, erklärte Homann.
Nord-Süd-Teilung wächst
Hinzu komme eine massiv wachsende Nord-Süd-Teilung zwischen Stromerzeugung und Stromverbrauch in Deutschland, die nach dem Abschalten der letzten süddeutschen Atomkraftwerke 2022 noch stärker sichtbar werde: Hochrechnungen der Bundesnetzagentur zeigen laut Homann, dass im Jahr 2030 im Norden und Osten Deutschlands rund 100 Terawattstunden mehr Strom erzeugt, als verbraucht werden – eine gigantische Strommenge, die in etwa dem jährlichen Stromverbrauch von drei Vierteln aller deutschen Privathaushalte entspricht. Dieser Überschuss werde gleichzeitig im Süden und Westen Deutschlands benötigt, um das dort nach dem Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken entstehende Erzeugungsdefizit auszugleichen.
Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass zur Deckung dieses Strombedarfs die Leistung von Offshore-Windkraftanlagen im Meer von heute 3,4 Gigawatt bis 2030 auf bis zu 15 Gigawatt ausgebaut werden muss.
Windkraftanlagen an Land könnten von von heute gut 41 auf bis zu rund 60 Gigawatt wachsen. Bei der Photovoltaik mit derzeit knapp 40 Gigawatt sei zudem fast eine Verdoppelung der Leistung möglich.
Neue Windräder und Solaranlagen entstünden künftig aber vor allem im Norden und Osten Deutschlands, nicht mehr in Bayern, glaubt Homann. Als einen Grund nannte der oberste Stromnetz-Verantwortliche die dort billigeren Grundstückspreise. Doch auch rechtliche Rahmenbedingungen wie die bayerische „10-H-Regelung“, die den Windkraftausbau in Bayern weitgehend zum Erliegen gebracht hat, könnten dabei eine Rolle spielen. Unterm Strich bleibe jedenfalls ein „massiver Stromtransportbedarf“ von Nord nach Süd, so Homann: „Das ist der Grund für weiteren Netzausbau in Deutschland.“
Die Versorgungssicherheit sieht der Behörden-Chef allerdings auch nach dem Ende der Atomkraft nicht gefährdet: „Es werden sicher nicht die Lichter ausgehen.“ Auch die Sorge, dass mehr E-Mobilität die Netze zusammenbrechen lasse, sei übertrieben, findet Homann. „Für deutlich mehr E-Autos brauchen wir aber auch mehr Stromleitungen, Windräder und PV-Anlagen“, mahnte er.
Der Preis der Netzstabilität
Die hohe Netzstabilität sei zudem „nicht ganz billig“: So sei schon heute eine Stromreserve von 8,4 Gigawatt allein zur Sicherung des Netzes nötig. In Süddeutschland sollen darüber hinaus zusätzliche „Stabilisierungskraftwerke“ entstehen – bezahlt von den Stromkunden.
„Es braucht inzwischen mehrfach am Tag Eingriffe, um das Stromnetz stabil zu halten“, warnt Homann zudem. Dieser „Redispatch“ sei nicht nur sehr teuer – 2015 rund 1,1 Milliarden Euro –, sondern auch extrem gefährlich, „wenn mal jemand einen Fehler macht“.
Am weiteren Stromnetzausbau führt aus Sicht des Netzagentur-Chefs deshalb kein Weg vorbei – auch wenn die Kosten dafür bis 2030 auf bis zu 59 Milliarden Euro geschätzt werden. Neue Leitungen müssten schließlich nur einmal bezahlt werden, argumentierte Jürgen Homann. Die Kosten der Netzstabilisierung „hätten wir dagegen auf Dauer am Hals“. Foto: Daniel Biscan