Hat Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das Land nicht gut genug auf den zweiten Corona-Winter vorbereitet? In einer leidenschaftlichen Landtagsdebatte zu den neuen Corona-Regeln in Bayern warfen jedenfalls Redner der Opposition dem Regierungschef schwere Versäumnisse vor: Dass eine vierte Welle komme und das angesichts der niedrigen Impfquote in Bayern auch mit Wucht, sei keine Überraschung, kritisierte etwa Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze. Dass Söder beständig das Gegenteil behaupte, sei "dreist und stimmt so nicht."

Wissenschaft und Medizin hätten "geliefert" um Corona zurückzudrängen: "Wer nicht geliefert hat, ist diese Regierung", kritisierte die Grüne: "Sie haben es versäumt, die nötigen Schutzmaßnahmen zu beschließen für diesen Herbst." So habe es den von Söder versprochenen "Impf-Turbo" nicht gegeben, eine Info- und Werbekampagne für das Impfen habe gefehlt. Stattdessen habe Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger (Freie Wähler) mit seiner Impfverweigerung die Verunsicherung geschürt und Söder sei im Bundestagswahlkampf "mit Warnungen vor einem Linksrutsch beschäftigt gewesen".
"Wer nicht geliefert hat, ist diese Regierung."
Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze mir Blick auf die Söder-Koalition
Dass in der schwierigen Pandemie-Bekämpfung auch politische Fehler passieren, sei klar, räumte Schulze ein. Was bei Söder aber vor allem fehle, "ist auch nur ein Funken an Selbstkritik": Schuld seien für Söder immer die anderen – Nachbarländer mit hohen Inzidenzen, der Bund oder eine im Süden historisch begründete Impfskepsis. "Die Lage in Bayern könnte weniger schlimm sein, wenn rechtzeitig die richtigen Schritte unternommen worden wären", hielt auch SPD-Fraktionschef Florian von Brunn dem Regierungschef vor.
Söder: Corona-Einschränkungen wären früher nicht möglich gewesen
Zuvor hatte Söder in einer kämpferischen Regierungserklärung Zeitpunkt und Inhalt der erneuten Corona-Verschärfungen für Bayern verteidigt: Es sei "der richtige Zeitpunkt jetzt zu handeln". Aktuelle Debatten über 2G-Regeln oder gar eine Impfpflicht wären noch "vor ein paar Wochen nicht möglich gewesen". Viele Experten seien zudem überrascht über die Vehemenz der Neuinfektionen in Bayern. Auch in der Politik hätten sich viele geirrt, etwa "Freedom Days" gefordert. "Ehrlich sein und auf die Zukunft konzentrieren, dann kommen wir besser durch die nächsten Wochen", forderte Söder deshalb von der Opposition.
"Der ganze Alpenraum hat ein Impfproblem. Das ist kein Vorwurf, sondern die Beschreibung der Realität."
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Landtag
Den Hauptgrund für die vielen Neuinfektionen im Bayern sieht Söder nicht in politischen Versäumnissen, sondern in der Impfskepsis vor allem in Altbayern: "Der ganze Alpenraum hat ein Impfproblem", so Söder: "Das ist kein Vorwurf, sondern die Beschreibung der Realität." Doch "ohne Impfen gibt es auf Dauer keine Freiheit", warnt er. Um nicht in eine Endlosschleife der Corona-Wellen zu kommen, müsse man deshalb auch über eine Impfpflicht diskutieren. Schon jetzt gebe es zum Schutz der Gesellschaft eine "moralische Impfpflicht", findet Söder: "Wir brauchen mehr Idealisten im Land statt Ichlinge."

"Nur mit Testen allein schaffen wir keine Immunisierung", warnte im Landtag auch der Freie Wähler Florian Streibl. Um die Krise zu überwinden, sollten sich die Parteien aber nicht Fehler vorhalten, sondern Lösungen suchen: "Vorwürfe helfen nicht, es langt schon ein Spaltpilz hier im Haus", findet Streibl. Damit war die AfD gemeint, für die der Unterfranke Christian Klingen sprach: Corona sei nicht der Grund für die Notlage in den Kliniken, sondern "politische Fehlentscheidungen der letzten Jahre", glaubt der neue AfD-Fraktionschef. Trotzdem werde nun "eine Zwangsimpfung durchgepeitscht".
Grüne fordern Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Kliniken
Am Vormittag hatte das Söder-Kabinett die am Freitag angekündigten Corona-Verschärfungen offiziell beschlossen. Im Landtag lehnte die FDP den neuen Lockdown in extremen Corona-Hotspots ab. Die Grünen unterstützen die Regel-Verschärfungen, verlangten von Söder aber weitere Maßnahmen, wie einen Einsatz der Bundeswehr zur Unterstützung der Kliniken, PCR-Pooltests für alle in Hotspots oder eine Info-Kampagne für die bald mögliche Impfung der Fünf- bis Zwölfjährigen. Fehler der Vergangenheit dürften sich zudem nicht wiederholen, forderte Grünen-Chefin Schulze von Söder: "Das ist jetzt ihre Aufgabe."