Ein großer Vorteil von Horst Seehofer im Wahlkampf ist seine Körperlänge: Egal, wie groß das Gedränge auch ist – weil der CSU-Chef die meisten anderen Menschen fast um Kopfeslänge überragt, ist seine silbergraue Haarpracht auch aus größerer Entfernung stets leicht auszumachen. Und steht man Seehofer direkt gegenüber, muss man in der Regel zu ihm aufschauen.
„Mensch, sind Sie groß“, entfährt es deshalb dem Wirt von „Rampls Festhalle“ in Hinterskirchen zur Begrüßung. Seehofer ist zu einem Wahlkampfauftritt in das kleine niederbayerische Dorf im Landkreis Landshut gekommen: Zwei Straßenkreuzungen, vielleicht drei Dutzend Häuser, eine kleine Schreinerei. „Mich hat der eine oder andere in München schon gefragt: Muss das sein?“, kokettiert Seehofer gleich zu Beginn seiner Rede. Er meint: Wahlkampf auf dem Dorf, in einer alten Zuchtvieh-Vermarktungshalle, in der sonst laut Aushang ein „gesamtbaierisches Tanzfest“ stattfindet.
Seehofer gibt eine Antwort, wie er sie gerne gibt: in Form einer aus der Begrüßungsanekdote entwickelten Seehofer'schen Lebensweisheit. „Wenn ein Ministerpräsident zu groß wird für kleine Gemeinden, wird er bald zu klein für große Aufgaben.“
Schon mit diesem Satz ist der Wahlkampfausflug aufs Land für Seehofer das, was man in Altbayern eine „gmahde Wiesn“ nennt. Mögen vor der Tür Bürgerinitiativen gegen den Ausbau des nahen Münchner Flughafens protestieren. Mögen die Freien Wähler vor Ort die größeren Wahlplakate haben. Mag ihm der örtliche CSU-Landtagskandidat Erwin Huber auch in nur mühsam kaschierter inniger Feindschaft verbunden sein. Die vielleicht 800 Besucher in „Rampls Festhalle“ wissen spätestens jetzt, wer auch nach dem 15. September ihr Ministerpräsident sein soll.
Seehofer kann so etwas. Er ist ein begnadeter Menschenfischer. Einer, der jedem Gesprächspartner binnen Sekunden das Gefühl geben kann: Ich versteh' dich. Du bist mir wichtig. Ich kümmere mich um dich. Und Horst Seehofer ist ein außergewöhnlich talentierter Redner, der mit einfachen, klaren Sätzen allen Menschen alles erklären kann. Und wahrscheinlich auch das Gegenteil davon. Und er kann so richtig schöne Sätze sagen, zart schmelzend wie ein Rosamunde-Pilcher-Film: „Bayern ist nicht direkt das Paradies. Aber die Vorstufe zum Paradies“, sagt er dann. Oder: „Die größte Gefahr für die Zukunft liegt im Erfolg der Gegenwart.“
Im Wahlkampf sind solche Fähigkeiten natürlich besonders nützlich. Weshalb die CSU-Wahlkampagne ganz auf die Person Horst Seehofer zugeschnitten ist. „Authentisch und unmittelbar“ soll der CSU-Chef dabei rüberkommen, heißt es dazu in der Parteizentrale. Und „als Mensch“, nicht also als Regierungschef oder Parteivorsitzender – wo auch immer der genaue Unterschied liegen mag. Bierzelt, Brezen, Blasmusik allein reichen dabei nicht mehr als Erfolgsgaranten: „Leicht und locker“ soll der CSU-Wahlkampf sein, forderte Seehofer schon vor Wochen. Einen Wahlkampfbus wie SPD-Kontrahent Christian Ude hat der 64-Jährige deshalb zum Beispiel nicht. Völlig aus der Zeit seien solche Wahlkampftouren, finden die CSU-Strategen.
Vielleicht ist die Investition aber auch einfach gar nicht nötig, denn Seehofer bereist bereits seit Monaten als Ministerpräsident mit seinem gesamten Kabinett das Land. Die regionalen CSU-Minister hatten zuvor den Auftrag bekommen aufzulisten, welche Wohltaten in den einzelnen Regierungsbezirken verkündet werden können. Umgehungsstraßen, Schulen, auch mal ein Kurhotel wurden so beschlossen. Noch vor zwei Wochen versprach Seehofer im oberfränkischen Kronach eine Staatsbürgschaft für den wankenden Fernseher-Produzenten Loewe. „Die Wahrheit liegt in der Wahlurne“, hatte Seehofer bereits 2008 kurz nach seinem Wechsel nach München gesagt. Es gibt selbst in der CSU Leute, die der Ansicht sind, alles, was Seehofer seitdem politisch bewegt habe, habe irgendwie auch mit Wahlkampf zu tun gehabt.
München, Odeonsplatz, Café Tambosi. CSU-Wahlkampf „leicht und locker“. „Lounge in the City“ heißt die bayernweite Veranstaltungsreihe, die vor allem jüngere Frauen ansprechen soll – eine Problemgruppe für die Partei. Das Publikum in München ist schick, sehr trendy, nicht immer ganz so jung. Für die Adresse in einer Anmeldeliste gibt es einen kostenlosen Cocktail sowie ein T-Shirt, auf dem in elegantem Schwung „Bayern – Das Land“ steht, als wäre es ein Mode-Label.
Horst Seehofer kommt als eine Art Überraschungsgast. Am Eingang lässt er den Blick schweifen über die gut gefüllten Tische unter schattigen Bäumen und das Publikum: „Ach ja, ist das schön, die Politik“, sagt er. Dann schlendert er von Tisch zu Tisch. Ein paar Fotos werden gemacht, er plaudert witzig, charmant, entspannt. Eine Rede ist nicht vorgesehen und auch gar nicht nötig. Die Botschaft kommt auch so an.
Besonders viel authentischen Seehofer bekommt man allerdings bei „Seehofer direkt“: In allen Regierungsbezirken stellt sich der CSU-Chef zwei Stunden lang ungefilterten Bürgerfragen – und kann dabei alle seine Stärken ausspielen. Im Würzburger „Saalbau Luisengarten“ zum Beispiel wandelt er Kritik an zu viel Durchgangsverkehr elegant in ein Plädoyer für seine Forderung nach einer Pkw-Maut um. Seinen Plan, in München einen neuen, sündteuren Konzertsaal zu bauen, verteidigt er so eloquent, dass er dafür selbst von den kritischen Würzburgern kräftigen Applaus bekommt.
Seehofer agiert hier ohne Netz und doppelten Boden. Doch seine Themen sind die gleichen wie bei seinen Wahlkampfreden: Finanzausgleich, Mütterrente, Ruhe an den Schulen, Energiewende nur „im Einklang mit Mensch und Natur“. Dazwischen ein paar Franz-Josef-Strauß-Zitate und ein paar Anekdoten aus der großen weiten Welt („als ich mit Siemens-Chef Löscher bei Putin war . . .“).
Kritische Fragen oder schwierige Themen scheinen ihn sogar zu reizen: In Würzburg ruft er etwa höchstpersönlich einen jungen Mann auf, obwohl die Zeit schon abgelaufen ist: „Fragen Sie, Sie schauen so kampfeslustig aus“, sagt Seehofer.
Dass es am 15. September auch eine andere Möglichkeit geben könnte, als den CSU-Chef wieder zum Ministerpräsidenten zu machen, scheint weder den fragenden Gästen noch Seehofer selbst in den Sinn zu kommen. Kein Koalitionsvorbehalt, kein „wenn ich die Mehrheit bekommen sollte“. Und die politische Konkurrenz? Wird ganz im Sinne der Strauß'schen Lehre von Seehofer nicht einmal ignoriert.
Eine Sache wurmt den CSU-Vorsitzenden aber offenbar doch noch: Wenn immer wieder von seiner Beliebigkeit zu lesen sei, von seinen inhaltlichen Wenden: „Glauben Sie kein Wort“, empfiehlt Seehofer etwa zum Abschluss seiner Rede in der „Festhalle Rampl“. Zur Erläuterung schweift er ab in die Geschichte: „Wir Bayern standen immer auf der Seite der Sieger. Und wenn nicht, haben wir danach die Seiten gewechselt.“ Viele Historiker würden diese Flexibilität heute als „historischen Weitblick“ bezeichnen, berichtet Seehofer. Deshalb habe er noch „eine Denksportaufgabe“ für den Heimweg: „Mal da, mal dort – historischer Weitblick!“ Wen könnte Horst Seehofer damit wohl gemeint haben?