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Dreifachmord von Langweid: Augsburgerin verlor ihren Sohn

Augsburg

Dreifachmord von Langweid: "Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen"

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    Eveline Haltmayrs Sohn und die Schwiegertochter sind ermordet worden. Vor allem der Tod des geliebten Sohnes macht der Augsburgerin schwer zu schaffen. Was bleibt, sind Erinnerungen und Bilder.
    Eveline Haltmayrs Sohn und die Schwiegertochter sind ermordet worden. Vor allem der Tod des geliebten Sohnes macht der Augsburgerin schwer zu schaffen. Was bleibt, sind Erinnerungen und Bilder. Foto: Ina Marks

    Aus den großen Fenstern ihrer Wohnung im vierten Stock hat Eveline Haltmayr einen wunderbaren Weitblick auf Augsburgs Türme und Kirchen. Vor wenigen Jahren erst hatte sie ihr Haus auf dem Land aufgegeben und ist in die Innenstadt gezogen. Ihr Sohn Wolfgang hatte ihr dabei geholfen. Der Sohn. Gerne erzählt die 75-Jährige von ihm. Doch am Ende gelangt Eveline Haltmayr immer wieder zu jenem Tag. Dann versagt ihre Stimme, sie weint. Bald jährt sich das Unfassbare: ihr Sohn und ihre Schwiegertochter – vom Nachbarn erschossen. Kaltblütig hingerichtet. Der Täter brachte eine weitere Hausbewohnerin um, verletzte zwei Menschen schwer. Dafür muss sich der mutmaßliche Dreifachmörder von Langweid, Gerhard B., derzeit vor dem Augsburger Landgericht verantworten. Im Juli soll das Urteil gegen den 64-Jährigen fallen. Eveline Haltmayrs seelische Wunden aber werden wohl nie verheilen. 

    Dreifachmord von Langweid: Nachts um ein Uhr klingelte es Sturm

    Von ihrem Stuhl am Wohnzimmertisch aus hat die 75-Jährige die Tür des Aufzugs, der in ihre Wohnung mündet, im Blick. „An diesem Nachmittag war Wolfgang noch bei mir. Ich weiß noch genau, wie er im Aufzug stand, was seine letzten Worte waren und wie sich die Tür schloss.“ Eveline Haltmayr wird leise. „Ich hätte ihn nicht gehen lassen dürfen.“ Ihren „Bua“, wie sie ihn liebevoll nennt. 

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    In Langweid im Landkreis Augsburg hat am Freitag ein Mann fünf Menschen niedergeschossen. Drei von ihnen starben. Die Polizei war mit einem Großaufgebot vor Ort.

    „Wolfgang und ich waren sehr eng miteinander, er half mir oft, wir haben viel Zeit zusammen verbracht.“ Der Sohn sei eine Art Partner-Ersatz gewesen, meint sie. Eveline Haltmayrs erster Ehemann, Wolfgangs Vater, starb, als sie 39 Jahre alt war. Auch ihr zweiter Mann lebt nicht mehr. Wolfgang sei immer für sie da gewesen. Bis er im Aufzug nach unten fuhr. Wie viele Polizisten sich Stunden später nach und nach in ihrer Wohnung einfanden, weiß sie nicht mehr. Es war nachts um ein Uhr, als es bei ihr Sturm läutete. Das gehe sie nichts an, habe sie sich gedacht, und sich im Bett umgedreht. Doch das Schicksal lässt sich nicht ignorieren. 

    Polizei in Augsburger Wohnung: „Wir müssen ihnen etwas Schlimmes sagen“

    Erst als der Enkel sie auf dem Handy informierte, sie solle öffnen und dann noch die Polizei anrief, gab Eveline Haltmayr nach. Eine Polizistin und ein Polizist rieten ihr, sich zu setzen. „Wir müssen ihnen jetzt etwas Schlimmes sagen. Ihr Sohn und ihre Tochter sind ums Leben gekommen. Sie wurden vom Nachbarn erschossen.“ In diesem Moment habe nur noch ihr Körper funktioniert, sagt Eveline Haltmayr. Nicht nur der Schock, sondern auch die erste Verwirrung, dass es neben ihrem Sohn nämlich nicht die Tochter war, die auch getötet wurde, sondern die Schwiegertochter, setzten ihr zu. Später kamen der Enkel, der auf einen Schlag seine Eltern verloren hatte, und die Tochter in ihrer Wohnung dazu. Haltmayr weiß nur noch, dass sich eine „nette Dame“ vom Kriseninterventionsdienst um sie gekümmert habe. Und dass sie eine Spritze zur Beruhigung bekam. 

    Der grausame Schicksalsschlag ist der Frau, die mit ihrer Familie seit über 50 Jahren auf dem Augsburger Christkindlesmarkt Glühwein verkauft, nicht anzusehen. Das Gesicht der Seniorin ist offen und freundlich, die blonden Haare sind akkurat frisiert, sie trägt Perlenohrringe, die Fingernägel sind rosafarben lackiert, vereinzelt mit weißen Blümchen bemalt. „Das macht mir immer meine Enkelin Jessica.“ Der äußere Schein der Normalität, er trügt. „Ich bin in ein Loch gefallen und komme nicht mehr heraus. Im Juli wird es jetzt ein Jahr und es wird bei mir schlimmer statt besser“, sagt Haltmayr. Auch die Psychotherapie helfe ihr nicht. „Ich kann das nicht verarbeiten. Wenn es bei Wolfgang eine Krankheit gewesen wäre, aber das …“ Sie lässt den Satz unbeendet. Was passiert ist, ist für sie unaussprechlich. 

    Der 64-jährige Mann, der im Landkreis Augsburg drei Menschen erschossen und zwei weitere schwer verletzt haben soll, soll noch am Wochenende dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden. Dies sagte ein Sprecher der Polizei am Samstagmorgen
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    Ein Mann hat in Langweid am Freitagabend drei Menschen erschossen und zwei weitere schwer verletzt. In der Nachbarschaft herrscht Trauer und Fassungslosigkeit.

    Haltmayr hat sämtliche Artikel über den sogenannten Dreifachmord von Langweid und den Prozess ausgedruckt und in einem Schnellhefter abgelegt. Warum, kann sie nicht sagen. Die Artikel liest sie nicht. „Am liebsten ist mir, wenn ich nicht darauf angesprochen werde.“ Ans Grab schafft sie es nur in Begleitung einer Freundin, der Gang ans Landgericht fällt ihr schwer. In der Hauptverhandlung wird sie von der Augsburger Anwältin Isabel Kratzer-Ceylan vertreten. Der regelmäßige Kontakt zur Rechtsanwältin tue ihr gut, sagt sie. Eveline Haltmayr erschien bislang zu zwei Verhandlungstagen. Mit Sonnenbrille saß sie als Nebenklägerin neben ihrer Anwältin. 

    Prozess am Landgericht Augsburg: Die Details waren unerträglich

    Beim Prozessauftakt war sie dabei, musste während der Anklageverlesung den Saal verlassen. Zu unerträglich waren die Details. Neulich, als die Ehefrau des Angeklagten und der Stiefsohn aussagten, war Haltmayr wieder im Gerichtssaal. „Ich wollte die Situation sehen, wie er sich gegenüber seiner Frau gibt, er hat sie nicht einmal angeschaut.“ Er, Gerhard B., der sich mit seinen Nachbarn im Haus immer wieder wegen Nichtigkeiten gestritten haben soll. Bis er eines Tages wohl völlig ausrastete und zu seiner Waffe gegriffen hat. „Ich wüsste nicht, was ich mit ihm anstellen würde, wäre ich mit ihm allein“, sagt die Hinterbliebene. Rund vier Jahre erst habe ihr Wolfgang mit seiner Frau und dem Sohn in dem Mehrfamilienhaus in Langweid gelebt. 

    „Ich weiß, wie alles losging. Es gab Streit zwischen ihm (Gerhard B., Anm. d. R.) und anderen Nachbarn und mein Bua mischte sich ein, um zu schlichten. Ab dem Zeitpunkt hatte er Wolfgang auf dem Kieker.“ Sie selbst habe den ständigen Ärger um den Nachbarn gar nicht so ernst genommen, wenn ihr Sohn davon erzählte. „Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihn nicht gehen lassen an jenem Nachmittag.“ Sie weint. „Wissen Sie, normal wäre es doch, wenn ich mit 75 Jahren gehen müsste, aber doch nicht er mit 53 und nicht so.“ Seine letzten Worte im Aufzug haben sich bei ihr eingebrannt.

    Bei der Verabschiedung ging es um den geplanten Mutter-Sohn-Urlaub in Italien. Eveline und Wolfgang Haltmayr waren bereits im Vorjahr zusammen in Jesolo und Venedig. Sie wollten die Reise zur jährlichen Tradition machen. Beide frotzelten darüber. „Seine letzten Worte zu mir waren: ‚Heuer zahlst du meine Pizza.‘“ Sie waren so normal, diese letzten Worte.

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