Der Chef der Landtags-Grünen Ludwig Hartmann hat die von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angestoßene Diskussion über eine Laufzeitverlängerung der noch in Betrieb befindlichen deutschen Kernkraftwerke als "Phantom-Debatte" bezeichnet. Wieder über die Atomkraft in Deutschland nachzudenken, seien nur "Tagträume der Ewiggestrigen".
Grünen-Chef Hartmann: "Atomkraftwerke liefern Strom, nicht Wärme"
Im Zusammenhang mit dem russischen Krieg in der Ukraine gebe es in Bayern kein Stromproblem, so Hartmann. Gefährlich sei vielmehr die hohe Abhängigkeit von russischem Gas zur Wärmeerzeugung: "Doch Kernkraftwerke liefern Strom, nicht Wärme."
Das letzte bayerische Kernkraftwerk Isar 2 bei Landshut in Niederbayern produziere zudem rund elf Terrawattstunden Strom im Jahr. Der gesamte deutsche Gasverbrauch liege aber bei mehr als 1000 Terrawattstunden. Söders Atom-Vorschlag beziehe sich also auf nur auf eine Energie-Leistung von rund einem Prozent des Gasverbrauchs, kritisiert Hartmann – was nahe lege, dass es dem CSU-Chef nicht um eine Lösung der aktuellen Probleme gehe, sondern um "rein politische Motive".

Söder hatte am Mittwoch gesagt, eine Laufzeitverlängerung der letzten noch am Netz befindlichen deutschen Kernkraftwerke für einen "kurz begrenzten Zeitraum" von drei bis fünf Jahren könne in der aktuellen Situation "sehr helfen". Angesichts des Krieges in der Ukraine sei es ihm lieber, die Energieversorgung durch Kernenergie zu sichern als durch Kohlekraftwerke, so Söder.
Umweltminister Glauber: Weiterbetrieb bayerischer Atomkraftwerke möglich
Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) widersprach zudem einer Einschätzung des Bundesumweltministeriums, wonach eine Laufzeitverlängerung aus Sicherheitsgründen unmöglich sei. Sowohl ein längerer Betrieb des noch bis Jahresende laufenden AKW Isar 2 wie auch die Wiederinbetriebnahme das Ende 2021 abgeschalteten Kernkraftwerks im schwäbischen Gundremmingen "wären grundsätzlich möglich", so Glauber. Das unterfränkische Kernkraftwerk Grafenrheinfeld ging bereits 2015 vom Netz und wird bereits zurück gebaut.
"Die verlängerten Jahre wären die gefährlichstenAKW-Jahre überhaupt."
Ludwig Hartmann (Grüne) zur neuen Laufzeitdebatte für Atomkraftwerke
Der Grüne Hartmann bezweifelt allerdings, dass die auslaufenden Reaktoren sicher weiterbetrieben werden könnten: "Alleine die Beschaffung neuer Brennelemente würde ein bis zwei Jahre dauern", glaubt er. Zudem seien die alten Kernkraftwerke "wie Autos, bei denen man weiß, dass im nächsten Jahr der Tüv abläuft", warnt Hartmann: "Da investiert man nur noch, was nötig ist, damit es solange noch fährt." Auf dieser Basis könne ein sicherer Weiterbetrieb aber nicht gewährleistet werden, befürchtet Hartmann: "Die verlängerten Jahre wären die gefährlichsten AKW-Jahre überhaupt."

Hartmann räumte ein, dass es nicht möglich sei, sich schnell von der Abhängigkeit von Gas im Wärmebereich zu verabschieden: "Deshalb ist eine schnelle Effizienz-Steigerung sehr wichtig", findet er. "Jede Kilowattstunde Gas, die wir jetzt nicht verbrauchen, hilft uns auch über den nächsten Winter", glaubt auch der Grünen-Energieexperte Martin Stümpfig.
Grüne: Jetzt schon Gas sparen hilft uns auch über den nächsten Winter
Bayern befinde sich aber nicht in einer Energiekrise, sondern in einer Energie-Preis-Krise. Diese sei nur "durch Einsparung, Effizienz und staatliche Unterstützung" zu meistern, glauben die Grünen. Die Partei fordert deshalb in Bayern unter anderem einen "Wärme-Fonds" für den Austausch ineffizienter Heizungen sowie ein "Energie-Sozial-Programm" zur Abfederung steigender Energiekosten für sozial schwache Haushalte. "Das kann Söders Staatsregierung hier und heute sofort alleine machen", findet Hartmann.