Um es gleich zu Beginn festzuhalten: Es ist vernünftig und richtig, dass Bayern als das am stärksten vom Coronavirus getroffene Bundesland einen strengeren Kurs bei den Ausgangsbeschränkungen fährt als andere Länder. Es wäre fatal, jetzt den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, das öffentliche Leben wieder zu reaktivieren, dann aber – wenn die Infektionszahlen wieder steigen sollten – zurückrudern zu müssen. Dass die als Lockerungen bezeichneten Änderungen der bestehenden Regeln noch lange keiner Rückkehr zum Normalzustand gleichkommen, ist nicht das Problem. Das Problem ist die Kommunikation: Die Pressekonferenz der Staatsregierung hinterließ am Donnerstag nämlich erneut mehr Fragen als Antworten.
- Hintergrund: Söder verkündet Corona-Erleichterungen für Bayern
Seit dem 20. März, dem Tag als die erste bayerische Ausgangsbeschränkung verkündet wurde, geht das so. Die Redaktion bekommt die Verwirrung ganz direkt mit – durch konkrete Fragen aus der Leserschaft: Was ist ein "triftiger Grund" die eigenen vier Wände zu verlassen? Darf man alleine auf einer Parkbank sitzen und ein Buch lesen? Wann ist der Besuch eines Physiotherapeuten "medizinisch notwendig"? "Niemand sagt mir, was ich tun und lassen soll, aber ich trage das Risiko", schimpfte kürzlich ein Leser am Telefon mit Blick auf die Kontrollen zur Ausgangsbeschränkung.
Experten in den zuständigen Ministerien müssen Regeln interpretieren
Auch der 16. April, der Tag, an dem zwar Lockerungen angekündigt, die Regeln im Kern aber bis Anfang Mai verlängert wurden, wird wieder für viele Fragen sorgen. Dass Ministerpräsident Markus Söder während einer Pressekonferenz nicht auf jedes Detail eingehen kann, ist verständlich. Dass er aber für Nicht-Juristen schwammig von einem "Mundschutzgebot" beim Einkaufen und im öffentlichen Nahverkehr spricht, verunsichert. Dass er selbst auf Nachfrage nicht erklärt, ab wie vielen Teilnehmern eine Veranstaltung zur Großveranstaltung wird und deshalb bis mindestens 31. August nicht stattfinden darf, ist unbefriedigend. Und wie ein Ladenbesitzer es kontrollieren soll, dass sich in seinem Laden pro 20 Quadratmeter nur eine Person aufhält, bleibt ungeklärt.
Nachfragen drängen sich also auch jetzt wieder auf. Die Redaktion wird sie wieder stellen. Beantworten müssen sie dann Mitarbeiter im Gesundheits- oder Innenministerium. Die vergangenen Wochen haben aber gezeigt: Auch die Experten sind mit dem Interpretationsspielraum, den die bayerischen Regelungen bieten, überfordert. Bei den Kontrollen setzt man auf das Fingerspitzengefühl der Polizei.
Wie sich Hubert Aiwanger im Ton vergriff
Und dann ist da noch ein anderes Kommunikationsproblem. Hubert Aiwanger hat sich am Donnerstag an einer Stelle im Ton vergriffen. Es ging um die finanziellen Soforthilfen für Betriebe, die aufgrund der Corona-Krise derzeit – und teilweise auch weiterhin – nicht öffnen dürfen. Die Schuld daran, dass die Bearbeitung der Anträge so lange dauert, gab der Wirtschaftsminister nämlich kurzerhand den Antragstellern. Diese würden die Formulare falsch ausfüllen und damit die Sachbearbeiter aufhalten. Das mag in der Sache richtig sein. Doch für Gastronomen oder Friseure, die sich mit solchen Anträgen nie beschäftigen mussten, kann ein solches "zweiseitiges Formular" eine hohe Hürde sein.
Die, die gerade finanziell mit dem Rücken zur Wand stehen, nun öffentlich zu kritisieren, ist kein guter Stil. Die Kehrseite der Medaille ist nämlich: Noch im März hat Aiwanger versprochen, binnen acht Tagen eine Milliarde Euro an Soforthilfen auszuzahlen. Das Ziel hat er bis heute nicht erreicht.
Immerhin wurde in Bayern das Ziel erreicht, das Tempo, mit dem sich das Virus verbreitet, zu bremsen. Das haben Bürger und Regierung gemeinsam geschafft. Doch damit die Stimmung in den kommenden Wochen in der Bevölkerung nicht kippt, müssen Söder und seine Minister für maximale Klarheit und Offenheit sorgen.