Die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger ist auch ein Dilemma für die CSU. Früh hatte sich Markus Söder auf eine Fortsetzung der Koalition mit den Freien Wählern festgelegt. Angesichts der schweren Vorwürfe gegen deren Chef war Söder nun auch in seiner eigenen Partei mit unangenehmen Fragen konfrontiert: War dieses Festlegen klug? Wie kann man mit Aiwanger und den Freien Wählern weitermachen? Und gäbe es überhaupt Alternativen?
Doch Söder hat sich aus diesem Dilemma - zumindest für den Moment - befreit. Dafür genügten dem Ministerpräsidenten am Dienstag knapp sechs Minuten, in denen er einmal mehr eines seiner größten Talente demonstrierte: Rhetorik. Ohne Aiwanger vorzuverurteilen oder in Schutz zu nehmen und ohne die Freien Wähler vor den Kopf zu stoßen, erhöhte er den Druck auf seinen Stellvertreter und den Koalitionspartner massiv. Und gab damit sich und der CSU etwas Zeit zum Durchatmen.
Beim Ansehen Bayerns ist Söder empfindlich
"Der Ball liegt bei den Freien Wählern und Hubert Aiwanger", sagte Söder und präsentierte eine Dreifach-Taktik. Erstens: Aiwanger in die Pflicht nehmen. Der Freie-Wähler-Chef soll nun einen 25-Fragen-Katalog beantworten. Und zwar "rasch" und "umfangreich". Davon macht er Wohl und Wehe für Aiwanger abhängig.
Zweitens: Aiwanger anzählen. Schon von der Weigerung seines Stellvertreters, sich gegen Corona impfen zu lassen, war Söder sichtlich genervt. Zuletzt erzürnte ihn Aiwangers Rede in Erding. Und die aktuellen Vorwürfe machen für Söder jetzt das Maß voll. Aus Sicht des Landesvaters ist das Ansehen Bayerns, das er eng mit seinem eigenen verknüpft, angekratzt. Und da ist Söder empfindlich. "Es darf jetzt nichts mehr dazu kommen", mahnte er. Es klang wie die letzte Warnung eines Direktors an einen Schuljungen.
Sind die Freien Wähler ohne Hubert Aiwanger denkbar?
Drittens: Die Freien Wählern zum Nachdenken bringen. Die Fortsetzung der Koalition hänge "nicht an einer einzigen Person", sagte Söder. Er formulierte so die Idee, dass sich die Freien Wählern von ihrem Zugpferd emanzipieren und auch ohne Aiwanger weiterregieren könnten. Ein Gedanke, den man in der Aiwanger-Partei wohl bislang kaum zu denken wagte.
Doch am Ende wird der Ball wieder bei Söder liegen. Was passiert, wenn neue unangenehme Fakten ans Licht kommen? Oder wenn Aiwanger zu einem späteren Zeitpunkt wieder aus der Reihe tanzt? Wie konsequent Söder dann handelt - davon wird seine eigene Glaubwürdigkeit abhängen.